18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Oberlandesgericht Celle Beschluss10.08.2018

500.000 Euro Schmerzensgeld für ärztlichen Behand­lungs­fehler nach intramuskulärer Injektion von Solu-Decortin und DiclofenacInjektion der Medikamente ist als grober Behand­lungs­fehler zu werten

Die intramuskuläre Injektion von Solu-Decortin und Diclofenac ist als grob fehlerhaft anzusehen und rechtfertigt daher ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 Euro für einen ärztlichen Behand­lungs­fehler. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Celle hervor.

Im zugrunde liegenden Fall waren einem 50-jährigen Patienten von dessen Hausarzt binnen einer Woche wegen akuter Rückenschmerzen aufgrund langjährig bestehender Bandschei­ben­schäden viermal die Präparate Solu-Decortin und Diclofenac gleichzeitig in die Gesäßmuskulatur injiziert worden. Einige Stunden nach Verabreichung der vierten Spritze kollabierte der Patient zu Hause. Er wurde mit Schüttelfrost, Atemschwie­rig­keiten und Schmerzen als Notfall im Krankenhaus aufgenommen, wo er sofort inten­siv­me­di­zinisch behandelt wurde.

Spritzenabszess führt zu septischem Schock und multiplem Organversagen

Auslöser des erlittenen Kollapses war ein schwerer septischer Schock, der ein multiples Organversagen und schließlich dauerhaft eine weitgehende Körperlähmung bei dem Patienten bewirkte. Ursache der Sepsis war - wie sich später herausstellte - ein sogenanntes Spritzenabszess. Das septische Infek­ti­o­ns­ge­schehen war für die Ärzte im Krankenhaus nicht zu beherrschen. Es schloss sich ein mehr als ein Jahr andauernder dramatischer Leidensprozess an, während dessen der Patient ohne Aussicht auf eine Besserung dauerhaft künstlich beatmet werden musste und weitgehend gelähmt blieb. Am Ende dieses Leiden­spro­zesses stand der ärztlich begleitete Freitod des Patienten, der seinen Sterbewunsch über Monate hinweg geäußert und diesen auch in Ethikgesprächen mit den behandelnden Ärzten bekräftigt hatte. Der Patient war verheiratet und Vater von drei minderjährigen Kindern.

Arzt auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch genommen

Die Witwe und ihre Kinder als Erben­ge­mein­schaft nahmen den Hausarzt, der die Spritzen verabreicht hatte, vor dem Landgericht Lüneburg wegen eines Behand­lungs­fehlers auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch.

LG bejaht Schmerzensgeld aufgrund eines ärztlichen Behand­lungs­fehlers

Das Landgericht Lüneburg wertete die ärztliche Behandlung als grob fehlerhaft und verurteilte den Hausarzt zur Zahlung eines Schmer­zens­geldes in Höhe von 500.000 Euro. Nach Überzeugung des durch einen medizinischen Sachver­ständigen beratenen Landgerichts widersprach die intramuskuläre Injektion der beiden Präparate sowohl dem fachlichen medizinischen Standard als auch den gängigen Leitemp­feh­lungen.

Kontrain­di­zierte Behandlung kann nicht durch Patien­ten­ein­wil­ligung gerechtfertigt werden

Die gegen dieses Urteil von dem Hausarzt eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das Oberlan­des­gericht Celle wies die Berufung als unbegründet zurück. In einem voraus­ge­gangenen Hinweis­be­schluss vom 5. Juni 2018 hatte das Oberlan­des­gericht ausgeführt, dass die Entscheidung des Landgerichts rechts­feh­lerfrei sei. Mit Recht habe das Landgericht auf der Grundlage des überzeugenden Sachver­stän­di­gen­gut­achtens die Injektion der konkret verabreichten Medikamente als einen groben Behandlungsfehler gewertet. Es komme auch nicht darauf an, ob der Patient vor Verabreichung der Injektionen in diese eingewilligt habe, weil eine kontrain­di­zierte Behandlung nicht durch eine Einwilligung gerechtfertigt werden könne. Dass der dramatische Krank­heits­verlauf ungewöhnlich und nicht vorhersehbar gewesen sei, stehe der Haftung des Hausarztes ebenfalls nicht entgegen.

Extremes Leiden des verstorbenen Patienten rechtfertigt Höhe des Schmer­zens­geldes

Das vom Landgericht zugesprochene Schmerzensgeld sei auch in der ausgeurteilten Höhe angemessen, denn es müsse insbesondere das extreme Leiden des verstorbenen Patienten berücksichtigt werden, der sich seiner Beein­träch­ti­gungen bewusst gewesen sei und deshalb in besonderem Maße darunter gelitten habe. Dass sich dieser Leidensprozess über einen Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr erstreckt und nicht länger gedauert habe, rechtfertige es nicht, ein geringeres Schmerzensgeld festzusetzen. Der Dauer des Leidens komme wegen der besonderen Umstände des Todes des Patienten bei der Bemessung des Schmer­zens­geldes keine Bedeutung zu, denn dieser habe den Freitod nur gewählt, um sein Leiden zu beenden.

Quelle: Oberlandesgericht Celle/ra-online (pm)

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