21.11.2024
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Urteil19.12.2013

Großmutter hat keinen Anspruch auf Übernahme von Fahrtkosten durch das Jobcenter zum Besuch ihrer EnkelkinderAufwendungen für Fahrten müssen aus Regelleistungen finanziert werden

Großeltern haben keinen Anspruch auf Übernahme der Umgangskosten mit ihren Enkeln durch das Jobcenter. Aufwendungen, wie z.B. Fahrkosten für Besuche, sind aus der Regelleistung zu finanzieren.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die 1963 geborene Großmutter wohnt in Hannover und steht im laufenden Bezug von Grund­si­che­rungs­leis­tungen (umgangs­sprachlich: "Hartz IV"). Ihre achtjährige Enkeltochter, die Tochter ihres Sohnes, der im Streitzeitraum inhaftiert war, wohnt mit der Kindesmutter in Rastede, nahe Oldenburg. Nach einer Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Kindesmutter unter Beteiligung des Jugendamtes wurde geregelt, dass die Enkeltochter an jedem zweiten Wochenende ihre Großmutter in Hannover besuchen dürfe, während ein Umgang des Kindesvaters mit seiner Tochter nur in Begleitung der Großmutter gestattet wurde. Die Klägerin verlangt vom Jobcenter die Übernahme der Kosten für zwei Bahnfahrten mit jeweils einem Nieder­sach­sen­ticket (21 Euro) für das Abholen und das anschließende Zurück­brin­gender Enkeltochter.

Voraussetzungen für die Anwendung der so genannten Härte­fa­ll­re­gelung nicht erfüllt

Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen hat die zusprechende Entscheidung des Sozialgerichts Hannover aufgehoben und die Klage abgewiesen. In der mündlichen Urteils­be­gründung erläuterte das Gericht, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der so genannten Härte­fa­ll­re­gelung nach § 21 Absatz 6 Zweites Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB II) nicht erfüllt seien. Danach wird bei Leistungs­be­rech­tigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendung Dritter sowie unter Berück­sich­tigung von Einspa­r­mög­lich­keiten der Leistungs­be­rech­tigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durch­schnitt­lichen Bedarf abweicht.

Atypische Situation der Klägerin im Vergleich zu anderen Großeltern hier nicht feststellbar

Erforderlich für die Übernahme der durch das Umgangsrecht entstehenden Fahrkosten ist nach Auffassung des Gerichts zunächst eine außer­ge­wöhnliche Bedarfslage. Eine außer­ge­wöhnliche Bedarfslage sei gegeben, wenn ein Bedarf, der an sich von der Regelleistung erfasst sei, aufgrund von besonderen Lebensumständen in einem atypischen Umfang anfällt. Eine atypische Situation der Klägerin im Vergleich zu anderen Großeltern sei jedoch nicht feststellbar. Die Kontaktpflege zwischen Großeltern und Enkelkindern sei regelmäßig und typisch durch räumliche Trennung und damit verbundene Kosten gekennzeichnet. Dies sei der wesentliche Unterschied zu den Umgangskosten für getrennt lebende Elternteile. Daraus ergebe sich keine Verpflichtung zur Gleich­be­handlung der bei Großeltern anfallenden Besuchskosten, auch nicht unter Berück­sich­tigung des grund­ge­setz­lichen Schutzes für die Familie aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz. Im Gegenteil sei der getrennt lebende Elternteil Grund­recht­s­träger des aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Elternrechts, während Großeltern ein solches Grundrecht gerade nicht zugeordnet sei. Etwas anderes ergebe sich nicht aus § 1685 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der zum Wohle des Kindes ein Umgangsrecht mit weiteren Famili­en­mit­gliedern bzw. wichtigen Bezugspersonen des Kinders ermöglichen wolle. Zentraler Schutzzweck dieser Vorschrift sei nämlich das Kindeswohl und nicht vorrangig das subjektive Recht von Großeltern.

Hilfe­be­dürftigen müssen mit Festbetrag auskommen und auf den in der Regelleistung enthaltenen Sparanteil zurückgreifen

Ferner sei zu verlangen, dass der durch die Atypik bedingte, besondere Bedarf auch unabweisbar sein müsse. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Regelleistung durch Pauschalbeträge abgebildet werde, um einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Bedarfs­po­si­tionen zu ermöglichen. Der Hilfe­be­dürftigen mute also der Gesetzgeber zu, ihr individuelles Verbrauchs­ver­halten so zu steuern, dass sie mit dem Festbetrag auskommen und bei besonderen Bedarfen zunächst auf den in der Regelleistung enthaltenen Sparanteil zurückgreifen müsse.

Kostenpauschale zur Pflege sozialer Kontakte und Mobilität in Regelleistung enthalten

Eine Unabweisbarkeit der geltend gemachten Fahrtkosten könne im Fall der Klägerin jedoch nicht festgestellt werden. In der von ihr bezogenen Regelleistung sei eine Kostenpauschale zur Pflege sozialer Kontakte und Mobilität enthalten. Es sei weder aus den gesetzlichen Grundlagen noch aus den Gesamtumständen ersichtlich, dass die Pflege zwischen­mensch­licher Beziehungen nicht auch die Pflege familiärer Kontakte umfassen solle. Damit seien die regelmäßigen Besuche der Großeltern bei den Enkelkindern von der Regelleistung abgedeckt. Soweit die Klägerin über diesen Rahmen hinaus höhere Umgangskosten zum Besuch ihrer Enkeltochter veranlasse, sei diese private Disposition durch andere Bedarfs­pau­schalen bzw. durch das Ansparpotenzial auszugleichen.

Grund für finanzielle Besserstellung des Verhältnisses zwischen Großeltern und Enkelkindern gegenüber anderen Famili­en­mit­gliedern nicht ersichtlich

Dabei hat das Landes­so­zi­al­gericht auch berücksichtigt, dass regelmäßige Kontakte zwischen Großeltern und Enkeln, wie auch sonstige regelmäßige familiäre Kontakte zu nahen Verwandten, als Teilhabe am sozialen Leben zu den zu berück­sich­ti­genden persönlichen Bedürfnissen gehören. Hieraus folge aber im Rahmen der Existenz­si­cherung kein konkreter Anspruch auf Bewilligung der jeweils erforderlichen Einzel­fahrt­kosten, sondern lediglich ein Anspruch auf die erfolgte Berück­sich­tigung im Rahmen der Regel­be­da­rfs­fest­setzung, wobei das Bundes­ver­fas­sungs­gericht dem Gesetzgeber bei der finanziellen Ausfüllung des sozio­kul­tu­rellen Minimums im Vergleich zum physischen Existenzminimum einen größeren Spielraum zubillige. Für das konkrete Verhältnis zwischen Großeltern und Enkelkindern sei aber gerade kein zwingender Grund für eine finanzielle Besserstellung gegenüber anderen Famili­en­mit­gliedern ersichtlich, der im wirtschaft­lichen Erfolg eine Erhöhung der laufenden Regelleistungen bedeuten würde.

Nicht streit­ge­gen­ständlich war im vorliegenden Fall, ob die Enkeltochter selbst einen Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten der Großeltern z.B. nach § 18 Abs. 3 des Sozial­ge­setz­buches Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) hat.

Sozial­ge­setzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954)

§ 21 Mehrbedarfe (in der Fassung vom 13. Mai 2011)

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 6, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

[...]

(6) Bei Leistungs­be­rech­tigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berück­sich­tigung von Einspa­r­mög­lich­keiten der Leistungs­be­rech­tigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durch­schnitt­lichen Bedarf abweicht.

[...].

Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen/ra-online

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