21.11.2024
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Urteil12.12.2018

Auflösung des Arbeits­verhältnisses zur Pflege der schwer­be­hin­derten und pflege­be­dürftigen Mutter stellt kein sozialwidriges Verhalten darDreimal täglich anfallende Pflege bei Arbeit im Schichtsystem auf Abruf mit variablen Zeiten nicht realisierbar

Löst eine Angestellte das Arbeits­ver­hältnis mit ihrem Arbeitgeber auf, um ihre schwer­be­hinderte und pflege­be­dürftige Mutter pflegen zu können, stellt dies nicht zwingend ein sozialwidriges Verhalten dar. Zwar sind selbst bei einer Pflegestufe II Arbeitszeiten von bis zu sechs Stunden pro Tag zumutbar. Bei einer Arbeit im Schichtsystem auf Abruf mit variablen Zeiten, bei denen die Einsatzzeiten erst vier Tage vor dem Einsatz mitgeteilt werden, ist jedoch eine dreimal täglich anfallende Pflege nicht zu realisieren. Dies geht aus einer Entscheidung des Landes­sozial­gerichts Niedersachsen-Bremen hervor.

Im zugrunde liegenden Fall lebte ein 38-jähige Frau gemeinsam mit ihrer schwer­be­hin­derten und pflege­be­dürftigen Mutter in einem gemeinsamen Haushalt im Landkreis Osterholz. Sie hatte eine Vollzeitstelle als Hallenaufsicht am Bremer Flughafen angenommen und wollte Stewardess werden. Zugleich kümmerte sie sich um die Pflege ihrer Mutter. Nachdem sich deren Gesund­heits­zustand durch einen Rippenbruch verschlechtert hatte, konnte sie Arbeit und Pflege nicht mehr vereinbaren und schloss daraufhin mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag. Vom Jobcenter bezog sie Grund­si­che­rungs­leis­tungen (Hartz IV).

Jobcenter rügt sozialwidriges Verhalten aufgrund Auflösung des Arbeits­ver­hält­nisses

Die Auflösung des Arbeits­ver­hält­nisses bewertete das Jobcenter als sozialwidriges Verhalten und nahm eine Rückforderung von zuletzt rund 7.100 Euro vor. Die Frau habe schon bei Abschluss des Arbeitsvertrags gewusst, dass sie im Schichtdienst arbeiten würde und dass ein Umzug nicht möglich sei. Die Mutter habe die Pflegestufe II und die Tochter müsse nicht selbst die Pflege übernehmen. Dies könne auch durch einen Pflegedienst geschehen. Die Auflösung des Arbeits­ver­hält­nisses sei dafür nicht notwendig. Dieses Verhalten sei zumindest grob fahrlässig.

LSG verneint sozialwidriges Verhalten

Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen schloss sich der Rechts­auf­fassung des Jobcenters nicht an und verneinte ein sozialwidriges Verhalten. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls. Grundsätzlich sei zwar jede Arbeit zumutbar, wenn die Pflege von Angehörigen anderweitig sichergestellt werden könne. Selbst bei Pflegestufe II seien Arbeitszeiten von bis zu sechs Stunden pro Tag zumutbar. Dies sei im Falle der Klägerin jedoch nicht möglich. Sie habe im Schichtsystem auf Abruf mit variablen Zeiten gearbeitet. Die Einsatzzeiten seien erst vier Tage vor dem Einsatz mitgeteilt worden. Die dreimal täglich anfallende Pflege sei damit nicht zu vereinbaren. Das Gericht hat auch das Selbst­be­stim­mungsrecht der Mutter berücksichtigt, die einen Pflegedienst ablehnte und nur ihre Tochter akzeptierte.

Leistungs­emp­fänger darf Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege austesten

Dass die Klägerin dies alles vorher gewusst habe, ließ das Gericht nicht durchgehen. Es gelte ein objektiver Maßstab. Angesichts der Erwer­b­s­ob­lie­genheit dürfe ein Leistungs­emp­fänger die Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege austesten, ohne sich im Falle des Scheiterns einem Ersatzanspruch auszusetzen.

Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen/ra-online

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