15.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil18.11.2014

Junger Volljähriger haftet nicht für pflichtwidriges Verhalten der Eltern beim Bezug von SGB II-LeistungenJobcenter darf die an einen Minderjährigen zu Unrecht gezahlten Leistungen nicht nach dessen Volljährigkeit von ihm zurückfordern

Ein junger Volljähriger muss SGB II-Leistungen, die er als Minderjähriger zu Unrecht erhalten hat, nur bis zur Höhe des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens erstatten, wenn die Voraussetzungen des § 1629 a Bürgerliches Gesetzbuch für eine beschränkte Haftung von Minderjährigen vorliegen. Dies entschied das Bundes­so­zi­al­gericht und bestätigte damit die Rechts­auf­fassung des Landes­sozial­gerichts Sachsen-Anhalt.

In dem zu entscheidenden Fall lebte der zunächst noch minderjährige Kläger in einem gemeinsamen Haushalt mit seinem Stiefvater, seiner Mutter und seiner Halbschwester. Alle bezogen laufende Leistungen nach dem SGB II, die jeweils der Stiefvater des Klägers beantragt hatte. Da der Stiefvater angegeben hatte, dass der Kläger Schüler sei, berücksichtigte das Jobcenter nur das Kindergeld als Einkommen. Das Jobcenter erfuhr erst im Nachhinein durch einen Datenabgleich, dass er die Schule beendet hatte, und inzwischen als Teilnehmer an einer berufs­för­dernden Bildungs­maßnahme des Arbeitsamts eine monatliche Berufs­aus­bil­dungs­beihilfe (BAB) erhielt. Daraufhin berechnete es die Leistungen für die Vergangenheit neu und forderte den inzwischen volljährigen Kläger auf, die zu Unrecht erhaltenen Leistungen (rund 500 Euro) zu erstatten.

Mutter wäre als gesetzliche Vertreterin zur Information des Jobcenters über Zahlung der Berufs­aus­bil­dungs­beihilfe verpflichtet gewesen

Das Bundes­so­zi­al­gericht wendet die Regelung des § 1629 a Bürgerliches Gesetzbuch entsprechend für Ansprüche auf Erstattung von SGB II-Leistungen an, die an einen Minderjährigen erbracht wurden. Entscheidend ist, dass die Forderung während der Minder­jäh­rigkeit erbrachte Leistungen betrifft und durch eine pflichtwidrige Handlung des gesetzlichen Vertreters begründet wurde. Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Mutter des Klägers hat es trotz entsprechender Information durch den Kläger versäumt, das Jobcenter über die Zahlung der Berufs­aus­bil­dungs­beihilfe zu informieren. Hierzu wäre sie als seine gesetzliche Vertreterin jedoch verpflichtet gewesen. Hätte sie das Jobcenter informiert, hätte dieses die Leistungen umgehend anpassen können, so dass es nicht zu einer Überzahlung gekommen wäre. Unerheblich ist es, dass das Jobcenter den Erstat­tungs­be­scheid erst nach dem Eintritt der Volljährigkeit des Klägers erließ. Andernfalls könnte es allein durch Abwarten erreichen, dass ein junger Volljähriger die von ihm während seiner Minder­jäh­rigkeit bezogenen Leistungen entgegen § 1629 a Bürgerliches Gesetzbuch erstatten müsste. Die entsprechende Anwendung des § 1629 a Bürgerliches Gesetzbuch begünstigt auch keine unberechtigte Inanspruchnahme von Sozia­l­leis­tungen, weil das Jobcenter den handelnden Vertreter zumindest seit dem 1. April 2011 über § 34 a SGB II nF auf Erstattung in Anspruch nehmen kann.

Hinweise auf Rechts­vor­schriften

Erläuterungen

§ 48 SGB X - Aufhebung eines Verwal­tungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwal­tungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,

2. der Betroffene einer durch Rechts­vor­schrift vorge­schriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,

3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwal­tungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder [...]

§ 50 SGB X - Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienst­leis­tungen sind in Geld zu erstatten.

§ 1629 a BGB - Beschränkung der Minder­jäh­ri­gen­haftung

(1) Die Haftung für Verbind­lich­keiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertre­tungsmacht oder sonstige vertre­tungs­be­rechtigte Personen im Rahmen ihrer Vertre­tungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, oder die auf Grund eines während der Minder­jäh­rigkeit erfolgten Erwerbs von Todes wegen entstanden sind, beschränkt sich auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes; [...]

§ 34 a SGB II - Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfs­ge­mein­schaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflege­ver­si­cherung. Von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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