18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.
ergänzende Informationen

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil08.11.2018

Ausländische Staats­an­ge­hörige haben bei persönlichem Fehlverhalten nur eingeschränkten Anspruch auf Leistungen nach dem Asyl­bewerber­leistungs­rechtUnzureichende Bemühungen bei Beschaffung von Heimrei­se­do­ku­menten rechtfertigt Leistungs­einschränkungen

Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg hat entschieden, dass ausländische Personen, die sich über Jahre hinweg nur unzureichend bemühen, sich Heimrei­se­do­kumente zu beschaffen, nur eingeschränkte Leistungen nach dem Asyl­bewerber­leistungs­gesetz erhalten.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der 1964 geborene Kläger ist kamerunischer Staats­an­ge­höriger. Er reiste Anfang der 1990er-Jahre zu Ausbil­dungs­zwecken in die Bundesrepublik Deutschland ein. Unter anderem war eine Aufent­halt­s­er­laubnis zur Arbeitsuche bis Anfang September 2006 erteilt worden. Die Verlängerung wurde abgelehnt. Eine vom Kläger bei der kamerunischen Botschaft Ende dieses Jahres beantragte Passver­län­gerung kam nicht zustande, weil er die Gebühr nicht entrichtete. Später weigerte er sich, die Antrags­for­mulare zur Ausstellung eines Passer­satz­pa­pieres auszufüllen. Ein 2008 behördlich eingeleitetes Verfahren führte zwei Jahre später zur Ausstellung eines drei Monate gültigen Heimrei­se­do­ku­mentes durch die kamerunische Botschaft. Die für Mitte 2010 vorgesehen Abschiebung scheiterte, nachdem er auf dem Flughafen um Asyl nachsuchte. Ein weiterer Abschie­be­vorgang wurde abgebrochen, nachdem er sich weigerte, die Diensträume der Bundes­po­li­zei­di­rektion am Flughafen zu verlassen, da er die Rechtmäßigkeit der Rückführung und die Gültigkeit der Passer­satz­papiere anzweifelte. Eine weitere Abschiebung verlief erfolglos, weil er in der ihm zugewiesenen Gemein­schafts­un­terkunft trotz Ankündigung nicht angetroffen wurde. Der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellte Asylantrag wurde durch Bescheid von Februar 2011 abgelehnt. Das hiergegen angestrengte Klageverfahren endete durch Klagerücknahme. Nach dem Abschluss des Asylverfahrens war er seit August 2011 im Besitz von jeweils befristeten Duldungen, zeitweise mit der Gestattung einer unselbst­ständigen Erwer­b­s­tä­tigkeit. Der Aufforderung der Auslän­der­behörde, bis Juli 2013 ein gültiges Reisedokument vorzulegen, leistete er keine Folge. Mehrfachen behördlichen Anfragen wegen eines Passer­satz­pa­pieres war die kamerunische Botschaft unter Verweis auf die vom Kläger geführten Gerichts­ver­fahren und erlittenen gesund­heit­lichen Beein­träch­ti­gungen nicht nachgekommen. Im Juni 2014 begab sich der Kläger selbst zur Botschaft von Kamerun in Berlin, um einen neuen Reisepass zu beantragen, ohne diesen allerdings den Behörden vorzulegen. Nachdem er bereits Fürsor­ge­leis­tungen bezogen hatte, gewährte ihm das beklagte Land Baden-Württemberg auf seinen Antrag von September 2015 Leistungen nach dem AsylbLG, zunächst Grundleistungen und nach vorheriger Anhörung von November 2015 bis April 2016 eingeschränkte Leistungen. Er habe es selbst zu vertreten, dass Maßnahmen, die seinen Aufenthalt beendeten, nicht hätten vollzogen werden können. Ab Februar 2016 würden ihm zur Deckung des Bedarfs an Ernährung sowie Körper- und Gesund­heits­pflege Gutscheine ausgehändigt, derjenige für Unterkunft und Heizung werde weiterhin durch Sachleistungen gedeckt. Im erstin­sta­nz­lichen Verfahren wurde der Beklagte entsprechend dem Klagebegehren verurteilt, ungeminderte Leistungen zu bewilligen.

LSG bejaht Zulässigkeit der Leistungs­ein­schränkung

Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg gab demgegenüber im Ergebnis weitgehend dem Beklagten Recht. In dem in der Rechts­mit­te­l­instanz noch streit­be­fangenen Zeitraum von Februar bis April 2016 greife die Leistungs­ein­schränkung gemäß § 1 a Abs. 3 AsylbLG in der Fassung von Art. 2 des Asylver­fah­rens­be­schleu­ni­gungs­ge­setzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl I S. 1722). Bei dem jedenfalls seit Rücknahme der Klage gegen den asylablehnenden Bescheid des BAMF von Februar 2011 ausrei­se­pflichtigen Kläger, der lediglich geduldet sei, könnten aus von ihm zu vertretenden Gründen aufent­halts­rechtliche Maßnahmen nicht vollzogen werden. Er habe pflichtwidrig an der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes nicht mitgewirkt, obwohl er der Passpflicht unterliege. Ein solches Dokument verpflichte den ausstellenden Staat zur Wiederaufnahme der betreffenden Person. Er habe sogar auf die kamerunische Botschaft massiv eingewirkt, damit ihm von dort kein Reisepass ausgestellt werde. Eine fehlende Mitwirkung sei auch dann gegeben, wenn ausländische Personen über Jahre hinweg nur unzureichende Bemühungen zur Beschaffung von Heimrei­se­do­ku­menten unternehmen würden. Objektive Gründe für die Unmöglichkeit des Vollzuges aufent­halts­be­en­dender Maßnahmen, etwa eine Reise­un­fä­higkeit, hätten nicht vorlegen, so das Gericht. § 1 a Abs. 3 AsylbLG entspreche den Vorgaben des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts (vgl. Bundes­ver­fas­sungs­gericht, Urteil v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 -) und sei verfas­sungsgemäß. Die Vorschrift knüpfe allein an ein rechts­miss­bräuch­liches, steuerbares Verhalten an, nicht dagegen an generell-abstrakte migra­ti­o­ns­po­li­tische Erwägungen, das Leistungsniveau niedrig zu halten.

Rechtsgrundlagen

Erläuterungen

§ 1 a Absatz 2 AsylbLG

Leistungs­be­rechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5, für die ein Ausreisetermin und eine Ausrei­semög­lichkeit feststehen, haben ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. Ihnen werden bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesund­heits­pflege gewährt. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Absatz 1 Satz 1 gewährt werden. Die Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden.

§ 1 a Absatz 3 AsylbLG

Absatz 2 gilt entsprechend für Leistungs­be­rechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufent­halts­be­endende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Für sie endet der Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 mit dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschie­bung­s­an­drohung oder Vollziehbarkeit einer Abschie­bungs­a­n­ordnung folgenden Tag. Für Leistungs­be­rechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 6, soweit es sich um Familien­an­ge­hörige der in Satz 1 genannten Personen handelt, gilt Absatz 1 entsprechend.

Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg/ra-online

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil26905

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI