18.10.2024
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Dokument-Nr. 14831

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Urteil18.07.2012Landgericht Tübingen7 O 525/10
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • CR 2013, 124Zeitschrift: Computer und Recht (CR), Jahrgang: 2013, Seite: 124
  • ITRB 2013, 59Zeitschrift: Der IT-Rechts-Berater (ITRB), Jahrgang: 2013, Seite: 59
  • K&R 2013, 138Zeitschrift: Kommunikation & Recht (K&R), Jahrgang: 2013, Seite: 138
  • ZD 2013, 91Zeitschrift für Datenschutz (ZD), Jahrgang: 2013, Seite: 91
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ergänzende Informationen

Landgericht Tübingen Urteil18.07.2012

Wikipedia kann sich auf Pressefreiheit berufen: Universitäts­professor hat keinen Unterlassungs­anspruch wegen der Nennung persönlicher DatenUnterlassungs­anspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeits­rechts besteht nicht

Die Artikel auf Wikipedia unterfallen dem Schutz der Pressefreiheit. Das allgemeine Persönlichkeits­recht eines Betroffenen tritt daher bei wahren Tatsachen­behauptungen zurück. Dies geht aus einer Entscheidung des Landgerichts Tübingen hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Kläger begehrte vor dem Landgericht Tübingen die Unterlassung eines auf der deutsch­spra­chigen Wikipedia erschienen Artikels über ihn. Er war Professor an der Universität Tübingen. Der Artikel enthielt Informationen über ihn und sein berufliches Wirken. Insbesondere wurde sein Lebenslauf geschildert. Der Kläger meinte, er werde durch den Eintrag in seinem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht verletzt.

Zuständigkeit des Landgerichts Tübingen

Das Landgericht Tübingen hielt sich zunächst für international zuständig. Die Zuständigkeit ergebe sich aus § 32 ZPO. Die deutschen Gerichte seien nach dieser Vorschrift dann international zuständig, wenn die Artikel objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland aufweisen. Dies sei dann der Fall, wenn die Kenntnisnahme der Veröf­fent­lichung im Inland im Gegensatz zur bloßen Abrufbarkeit der Veröf­fent­lichung näher liegt und die behauptete Rechts­ver­letzung durch eine Kenntnisnahme auch im Inland eintreten könne (vgl. BGH, Urt. v. 25.10.2011 - VI ZR 93/10). Hier habe aufgrund des Wirkens des Klägers im Inland eine Kenntnisnahme des Eintrages im Inland deutlich näher gelegen als eine solche im Ausland.

Unter­las­sungs­an­spruch bestand nicht

Das Landgericht Schweinfurt verneinte jedoch den Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Denn der Kläger sei nicht in seinem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG verletzt gewesen. Zwar schütze das Persön­lich­keitsrecht auch das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung. Dieses verleihe dem Einzelnen die Befugnis, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen Informationen über ihn offenbart werden. Es habe aber keine rechtswidrige Verletzung des Persön­lich­keits­rechts vorgelegen.

Keine widerrechtliche Verletzung des Persön­lich­keits­rechts

Ob eine rechtswidrige Verletzung vorliege oder nicht, bestimme sich durch Abwägungen der wider­strei­tenden Interessen, so das Landgericht weiter. Dabei seien folgende Grundsätze zu beachten, wahre Tatsa­chen­be­haup­tungen seien in der Regel hinzunehmen, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen seien, unwahre dagegen nicht. Wahre Darstellungen verletzen das Persön­lich­keitsrecht insbesondere dann, wenn die Aussagen geeignet seien, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich ziehen. Die Abwägung der wider­strei­tenden Interessen sei hier zu Gunsten von Wikipedia erfolgt.

Abwägung zu Gunsten von Wikipedia

Die zu Gunsten von Wikipedia erfolgte Abwägung hat sich aus folgenden Umständen ergeben:

Zum einen habe ein Persön­lich­keits­schaden nach Ansicht des Landgerichts nicht festgestellt werden können. Denn weder habe eine Breitenwirkung vorgelegen, noch eine besondere Stigmatisierung. Anders als beispielsweise bei einer Zeitungs­ver­öf­fent­lichung sei hier nicht von einer breiten Ausstrah­lungs­wirkung auszugehen. Vielmehr habe sich hier die Kenntnisnahme auf Personen beschränkt, die den Kläger kennen und sich über ihn informieren wollten. Bei einer Zeitungs­ver­öf­fent­lichung sollen demgegenüber potentiell die gesamte Bevölkerung informiert werden.

Weiterhin sei zu berücksichtigen gewesen, dass ein erhebliches öffentliches Interesse nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG an den von Wikipedia bereit­ge­haltenen Einträgen bestehe. Das Interesse liege darin, sich umfassend informieren zu wollen.

Außerdem könne sich Wikipedia auf die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen. Dieses Recht schütze grundsätzlich die Verbreitung von Informationen, wobei unter anderem auch das Recht eingeräumt werde, wahre Tatsachen zu publizieren.

Zudem habe es sich hier um wahre Tatsa­chen­be­haup­tungen gehandelt und der Träger des Persön­lich­keits­rechts könne nicht erwarten, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist.

Keine Haftung aufgrund Störe­rei­gen­schaft

Wikipedia habe schließlich nach Auffassung des Landgerichts nicht als Störer in Anspruch genommen werden können. Denn unabhängig davon, dass ein Rechtsverstoß nicht vorgelegen habe, habe es zum einen den Beitrag nicht selbst verfasst oder sich zu Eigen gemacht. Zum anderen habe Wikipedia keine Prüfungs­pflichten verletzt (vgl. zum Umfang von Prüfungs­pflichten: KG Berlin, Beschl. v. 03.11.2009 - 9 W 196/09).

Quelle: Landgericht Tübingen, ra-online (vt/rb)

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