21.11.2024
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Landgericht Hamburg Urteil23.06.2009

Lehman-Prozess: Landgericht Hamburg verurteilt HASPA zu SchadensersatzPflichtwidrige Unterlassung der Aufklärung über bedeutende Umstände für Anlage­ent­scheidung eines Bankkunden

Der Schaden­s­er­satzklage eines geschädigten Anlegers (Klägers) gegen die Hamburger Sparkasse (Beklagte) wegen des Erwerbs von Lehman Brothers-Zertifikaten wurde stattgegeben. Die Hamburger Sparkasse habe ihre Beratungs­pflicht verletzt. Diese Pflicht­ver­letzung sei ursächlich für die Anlage­ent­scheidung des pensionierten Lehrers und damit für seinen späteren Schaden in Höhe von rund 10.000,- € gewesen. Dies entschied das Landgericht Hamburg.

Der Kläger, ein pensionierter Lehrer, erwarb im Dezember 2006 für gut 10.000,00 € Zertifikate der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers. Wegen der Insolvenz von Lehman Brothers im September 2008 steht fest, dass der Kläger sein investiertes Kapital nicht zurückerhalten wird. Er nimmt deshalb die Beklagte wegen der Verletzung von Beratungs­pflichten in Anspruch.

Kläger beanstandet mangelnde Aufklärung bei Empfehlung von Zertifikaten

Er behauptet, von der Beklagten pflichtwidrig nicht darüber aufgeklärt worden zu sein, dass er beim Erwerb eines Zertifikats das Insolvenzrisiko des Emittenten zu tragen habe. Er ist weiter der Ansicht, dass ihn die Beklagte darüber hätte aufklären müssen, dass beim Erwerb eines ausländisches Zertifikats nicht die Einlagensicherung der deutschen Sparkassen-Finanzgruppe eingreife und dass die Beklagte ihm die von ihr erzielte Gewinnmarge hätte offen legen müssen, damit er hätte beurteilen können, ob die Beklagte bei der Empfehlung des Zertifikats in seinem oder überwiegend in ihrem eigenen Interesse an einem möglichst hohen Gewinn handelte.

Aufklä­rungs­pflicht über die zu den Betrie­bs­ge­heim­nissen gehörende Gewinnmarge habe laut Bank nicht bestanden

Die Beklagte ist demgegenüber der Ansicht, den Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt zu haben. Hinweise auf eine spätere Insolvenz von Lehman Brothers hätten zum Zeitpunkt des Beratungs­ge­sprächs im Dezember 2006 nicht bestanden. Über das allgemeine Emitten­ten­risiko sei der Kläger bereits in früheren Beratungs­ge­sprächen aufgeklärt worden. Eine Pflicht zur Aufklärung über die fehlende Einla­gen­si­cherung habe nicht bestanden. Zum einen sei es für den Kläger offenkundig, dass ein ausländisches Zertifikat nicht von der deutschen Einla­gen­si­cherung erfasst sein könne, zum anderen sei es dem Kläger hierauf bei seiner Anlage­ent­scheidung auch gar nicht angekommen. Im Vordergrund habe hier das Ziel einer attraktiven Verzinsung bei möglichst geringem Kapitalrisiko gestanden. Lehman Brothers habe im Jahr 2006 noch über ein exzellentes Rating verfügt und begründete Zweifel an der Bonität hätten nicht bestanden. Es habe auch keine Aufklä­rungs­pflicht über die zu den Betrie­bs­ge­heim­nissen gehörende Gewinnmarge bestanden. Diese sei zum einen deutlich niedriger gewesen, als es sich der Kläger vorgestellt habe. Zum anderen habe eine derartige Aufklä­rungs­pflicht nach der bisherigen Rechtsprechung nicht bestanden und folge insbesondere nicht aus den Entscheidungen des Bundes­ge­richtshofs zur Aufklä­rungs­pflicht über verdeckte Innen­pro­vi­sionen. Denn während Innen­pro­vi­sionen von einem Dritten (meist einem Fondsanbieter) gezahlt würden, läge hier nur eine Zweierbeziehung zwischen Kunde und Bank vor, in deren Rahmen eine Aufklärung nicht geschuldet sei.

Urteils­be­gründung des Gerichts

Das Oberlan­des­gericht Hamburg führte dagegen aus, dass die Beklagte ihre Pflicht zur anlagegerechten Beratung aus dem mit dem Kläger geschlossenen Beratungs­vertrag schuldhaft verletzt und dadurch einen Schaden des Klägers in Höhe von gut € 10.000,00 verursacht hat.

Wirtschaft­liches Eigeninteresse der Bank darf Kunden nicht verschwiegen werden

Eine Pflicht­ver­letzung folgt allerdings nicht daraus, dass die Beklagte den Kläger nicht über das Insolvenzrisiko von Lehman Brothers aufgeklärt hat. Denn zum Zeitpunkt des Beratungs­ge­sprächs im Dezember 2006 war dieses Risiko für die Beklagte nicht erkennbar oder daher rein theoretischer Natur. Die Beklagte hat es jedoch pflichtwidrig unterlassen, den Kläger über die fehlende Einla­gen­si­cherung und die Höhe der Gewinnmarge sowie ihr eigenes wirtschaft­liches Risiko beim Absatz des Zertifikats aufzuklären. Hierbei handelt es sich um für die Anlage­ent­scheidung eines Bankkunden bedeutende Umstände. Hinsichtlich der Pflicht zur Aufklärung über die Gewinnmarge hat das Landgericht die BGH-Rechtsprechung zu den verdeckten Innen­pro­vi­sionen (sog. „Kick Backs“) entsprechend angewandt, weil insoweit eine vergleichbare Interessenlage besteht. In beiden Fallkon­stel­la­tionen (Provi­si­ons­zahlung und Gewinnmarge) geht es darum, dass dem um Beratung nachsuchenden Bankkunden ein wirtschaft­liches Eigeninteresse der Bank nicht verschwiegen werden darf. Weil die Beklagte in größerem Umfang Lehman-Zertifikate erworben hatte und nur gegen einen Abschlag an Lehman Brothers hätte zurückgeben dürfen, bestand für sie ein besonderer Anreiz zur Empfehlung gerade dieses Produkts. Diese Interessenlage begründet in besonderer Weise eine Aufklä­rungs­pflicht.

Bank kann nicht beweisen, dass Kapitalanlage auch bei korrekter Aufklärung erworben worden wäre

Das Landgericht geht weiter davon aus, dass die unterlassene Aufklärung für die Anlage­ent­scheidung des Klägers und damit seinen späteren Schaden auch kausal geworden ist. Dabei streitet für den Kläger eine Vermutung aufklä­rungs­richtigen Verhaltens. Danach muss die Bank immer dann, wenn – wie hier – eine Aufklä­rungs­pflicht­ver­letzung feststeht, beweisen, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben hätte. Diesen Beweis hat die Beklagte nicht führen können. Zwar hat sie eine Vielzahl von Umständen vorgetragen, die für sich genommen durchaus den Schluss erlauben würden, dass der Kläger beim Kauf des Lehman-Zertifikats geblieben wäre. Der Kläger hat jedoch seinerseits – insbesondere auch in seiner persönlichen Anhörung durch das Gericht – plausibel darlegen können, dass er bei Kenntnis der vorgenannten Umstände vom Erwerb des Lehman-Zertifikats Abstand genommen hätte.

Quelle: ra-online, OLG Hamburg

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