21.11.2024
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Landesarbeitsgericht Niedersachsen Urteil31.05.2010

Kündigung wegen exzessiven privaten E-Mail-Verkehrs während der ArbeitszeitPrivate E-Mails rechtfertigen außer­or­dentliche Kündigung

Wer in großem Umfang private E-Mails am Arbeitsplatz schreibt, kann ohne vorherige Abmahnung gekündigt werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer schon seit vielen Jahren im Betrieb beschäftigt ist, entschied das Landes­a­r­beits­gericht Niedersachsen.

Im zugrunde liegenden Fall nutzte ein Arbeitnehmer, der als stell­ver­tre­tender Leiter eines Bauamts tätig war, seinen Arbeits­platz­rechner ausgiebig für die private E-Mail-Kommunikation. Mit mindestens 10 verschiedenen Kontakt­ver­mittlern pflegte er Kontakt. Auf seinem Rechner hatte er auch Kontaktbriefe mit erotischen Inhalt und sogar pornografische Fotos abgelegt. Er nutzte so in großem Umfang seine Arbeitszeit zur Pflege seiner umfangreichen private Korrespondenz und seines privaten Fotoarchivs auf dem Dienstrechner. Der Arbeitnehmer ist seit 1976 bei der Gemeinde beschäftigt. Auf das Arbeits­ver­hältnis finden die Vorschriften des TVöD-VKA Anwendung. Der Arbeitgeber kündigte dem Mann verhal­tens­bedingt unter Zustimmung des Personalrates außerordentlich mit sozialer Auslauffrist.

Arbeitsgericht erklärt in 1. Instanz die Kündigung für unwirksam

Hiergegen erhob der Arbeitnehmer eine Kündi­gungs­schutzklage vor dem Arbeitsgericht Nienburg. Dieses befand die Kündigung für unwirksam. Hinsichtlich der auf dem Dienstrechner des Arbeitnehmers (Klägers) abgelegten pornografischen Fotodateien hat das Arbeitsgericht zu Gunsten des Klägers ein Verwer­tungs­verbot angenommen. Hinsichtlich des von der Gemeinde (Beklagte) vorgetragenen Umfanges des privaten E-Mail-Verkehrs des Klägers hat das wertete Arbeitsgericht diesen nicht als "ausschweifend". Die von der Beklagten vorgelegte private E-Mail-Korrespondenz des Klägers schätzte das Arbeitsgericht ausgehend von einem Zeitraum von 1 1/3 Jahren auf nur rd. eine E-Mail pro Tag.

LAG Niedersachsen bestätigt außer­or­dentliche Kündigung

Dies sah das Landes­a­r­beits­gericht Niedersachsen anders. Es sah die Kündigung als wirksam an und hob daher die Entscheidung des Arbeitsgerichts auf und wies die Kündi­gungs­schutzklage ab.

Das Arbeits­ver­hältnis des Klägers, der das 40. Lebensjahr bereits vollendet habe und auf eine weit mehr als 15-jährige Beschäf­ti­gungszeit zurückblicke, könne nach § 34 Abs. 2 TVöD-VKA nur noch außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt werden, führte das LAG Niedersachsen aus. Dabei sei eine außer­or­dentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienst­ver­hält­nisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienst­ver­hält­nisses nicht zugemutet werden könne. Für eine verhal­tens­be­dingte Kündigung gelte dabei das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung sei nicht eine Sanktion für eine begangene Vertrags­pflicht­ver­letzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflicht­ver­let­zungen. Die vergangene Pflicht­ver­letzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Deshalb setze eine Kündigung wegen einer Vertrags­pflicht­ver­letzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese diene der Objektivierung der negativen Prognose.

Wichtiger Kündigungsgrund: Exzessiver privater E-Mail-Verkehr

Der wichtige Grund zur außer­or­dent­lichen Kündigung des Arbeit­ver­hält­nisses liege in der exzessiven privaten Nutzung der E-Mail-Funktion während der Arbeitszeit im Zeitraum vom 12.03.2008 bis zum 02.05.2008 und der damit notwendig verbundenen Verletzung der Arbeitspflicht, führten die Richter aus.

Verletzung der Haupt­leis­tungs­pflicht

Erstmalig mit Urteil im Juli 2005 habe das Bundes­a­r­beits­gericht entschieden, dass der Arbeitnehmer bei einer privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit grundsätzlich seine (Hauptleistungs-)Pflicht zur Arbeit verletze. Die private Nutzung des Internets dürfe die Erbringung der arbeits­ver­traglich geschuldeten Arbeitsleistung nicht erheblich beeinträchtigen. Die Pflicht­ver­letzung wiege dabei umso schwerer, je mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des Internets seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässige (BAG, Urteil v. 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 -). Deshalb müsse es jedem Arbeitnehmer klar sein, dass er mit einer exzessiven Nutzung des Internets während der Arbeitszeit seine arbeits­ver­trag­lichen Haupt- und Nebenpflichten erheblich verletze. Es bedürfe daher in solchen Fällen auch keiner Abmahnung.

Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung möglich

Mit Urteil vom 31.05.2007 (2 AZR 200/06) habe das Bundes­a­r­beits­gericht seine Rechtsprechung über die private Nutzung des Internets auch auf die "private Nutzung des Dienst-PC" erstreckt, führte das LAG Niedersachsen aus. Kündi­gungs­er­heblich sein könne die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internets oder anderer Arbeitsmittel während der Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer während des Surfens im Internet oder einer intensiven Betrachtung von Videofilmen oder -spielen zu privaten Zwecken seine arbeits­ver­traglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringe und dadurch seiner Arbeitspflicht nicht nachkomme und sie verletze. Die außer­or­dentliche Kündigung ohne Ausspruch einer vorherigen Abmahnung komme dabei in Betracht, wenn es sich um eine exzessive Privatnutzung handele.

Im vorliegenden Fall sei zumindest für den Zeitraum vom 12.03.2008 bis zum 02.05.2008 ein exzessiver privater E-Mail-Verkehr des Klägers während der Arbeitszeit belegt. Die Beschäftigung des Klägers mit der Pflege seiner privaten Kontakte habe dabei phasenweise einen zeitlichen Umfang angenommen, der ihm keinen Raum mehr für die Erledigung seiner Dienstaufgaben gelassen habe.

Dienstzeit war teilweise vollständig mit der Bearbeitung privater Korrespondenz ausgefüllt

Am 01.04.2008 habe der Kläger im Zeitraum von 08.56 Uhr bis 16.31 Uhr 110 E-Mail-Antworten erhalten. Am 02.04.2008 waren es 118 E-Mails, am 16.04.2008 139 E-Mails, am 17.04.2008 183 E-Mails und am 21.04.2008 173 E-Mails. Lege man für das Lesen und die Beantwortung einer Mail nur jeweils 3 Minuten zu Grunde, so ist ein Arbeitstag des Klägers, der tariflich mit 7 Std. und 48 Min. zu veranschlagen sei, bereits dann vollständig ausgefüllt, wenn der Kläger 156 private E-Mails "bearbeitet" habe. Dies bedeutet, dass dem Kläger zumindest am 17.04., 21.04. und 23.04.2008 keinerlei Zeit mehr für die Bearbeitung seiner Dienstaufgaben verblieben ist. Bei einem derart exzessiven privaten E-Mail-Verkehr während der Dienstzeit bedurfte es zum Beleg der Verletzung der Arbeitspflicht seitens der Beklagten keiner näheren Substantiierung der tatsächlich beim Kläger aufgelaufenen Arbeits­rück­stände.

Abmahnung war entbehrlich

Der Kläger hat seine Arbeitspflicht in einem solchen Umfang und einer solchen Intensität verletzt, dass es hier einer vorausgehenden Abmahnung nicht bedurfte. Der Kläger konnte und durfte nicht annehmen, dass es von der beklagten Gemeinde toleriert werde, wenn er den gesamten Arbeitstag versucht, private (erotische) Kontakte über das dienstliche E-Mail-System anzubahnen. Ihm musste auch klar sein, dass er durch sein Handeln bei der privaten Kontak­tan­bahnung und das Unterlassen des Bearbeitens dienstlicher Aufgaben seinen Arbeitsplatz gefährdet, führten die Richter aus.

Kein Verwendungs- und Verwer­tungs­verbot

Die in den Prozess eingeführten Auswertungen der an den Kläger gerichteten privaten E-Mails auf seinem dienstlichen Rechner unterliegen keinem "Verwendungs- und Verwer­tungs­verbot", stellte das LAG fest. Ein "Verwer­tungs­verbot" von Sachvortrag kenne das deutsche Zivil­pro­zessrecht nicht. Der beigebrachte Tatsachenstoff sei entweder unschlüssig oder unbewiesen, aber nicht "unverwertbar". Dies gelte umso mehr, wenn der Sachverhalt unstreitig sei. Das Gericht sei an ein Nichtbestreiten (wie auch an ein Geständnis) grundsätzlich gebunden. Es dürfe für unbestrittene Tatsachen keinen Beweis verlangen und erheben. Die Annahme eines "Sachvor­trags­ver­wer­tungs­verbotes" steht in Widerspruch zu den Grundprinzipien des deutschen Zivil- und Arbeits­ge­richts­ver­fahrens.

Keine Beschränkungen durch Fernmel­de­ge­heimnis

Gestatte ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern, den Arbeits­platz­rechner auch zum privaten E-Mail-Verkehr zu nutzen und E-Mails, die von den Mitarbeitern nicht unmittelbar nach Eingang oder Versendung gelöscht werden, im Posteingang oder -ausgang zu belassen oder in anderen auf lokalen Rechnern oder zentral gesicherten Verzeichnissen des Systems abzuspeichern, unterliege der Zugriff des Arbeitgebers oder Dritter auf diese Datenbestände nicht den rechtlichen Beschränkungen des Fernmel­de­ge­heim­nisses, stellte das LAG Niedersachsen fest.

Quelle: ra-online (pt)

der Leitsatz

Die außer­or­dentliche Kündigung eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers kann auch ohne vorangegangene einschlägige Abmahnung gerechtfertigt sein, wenn der Mitarbeiter über einen Zeitraum von mehr als 7 Wochen arbeitstäglich mehrere Stunden mit dem Schreiben und Beantworten privater E-Mails verbringt - an mehreren Tagen sogar in einem zeitlichen Umfang, der gar keinen Raum für die Erledigung von Dienstaufgaben mehr lässt. Es handelt sich in einem solchen Fall um eine "exzessive" Privatnutzung des Dienst-PC.

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