21.11.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil16.10.2017

Koste­n­er­stattung für Cannabis-Therapie durch Krankenkasse setzt schwerwiegendes Krankheitsbild und ausreichend Aussicht auf spürbare positive Einwirkung der Therapie vorausHohe Hürden für Cannabis auf Kassenrezept

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht hat entschieden, dass Schmerz­pa­tienten nur dann eine Versorgung mit Cannabis seitens der Krankenkasse beanspruchen können, wenn ein schwerwiegendes Krankheitsbild durch aussagekräftige ärztliche Befundberichte belegt ist. Zur Behandlung einer Fibromyalgie (nicht-entzündlich bedingtes Schmerzsyndrom) besteht mangels ausreichender Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung kein Anspruch auf eine Versorgung.

Seit März 2017 haben gesetzlich Kranken­ver­si­cherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis und Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabinol. Voraussetzung ist, dass eine anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nicht zur Anwendung kommen kann. Zudem muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krank­heits­verlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehen.

Anträge auf Cannabis Versorgung von Krankenkasse abgelehnt

In dem einen vor dem Landes­so­zi­al­gericht verhandelten Fall wurden einem 57-jährigen Mann aus Wiesbaden zur Behandlung der bei ihm vorliegenden Fibromyalgie Medizinal Cannabisblüten verschrieben. Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass schwerwiegende Symptome nicht dokumentiert seien. Ferner sei aufgrund der Studienlage bei der Diagnose Fibromyalgie von einer negativen Evidenz auszugehen.

In einem anderen Fall erhielt ein anderer Versicherter aus Wiesbaden ein Rezept für Cannabis aufgrund eines Schmerzsyndroms. Die Krankenkasse lehnte auch hier die Kostenübernahme ab, weil bei dem 55-jährigen Mann keine schwerwiegende Erkrankung vorliege.

Die Versicherten beantragten jeweils vor Gericht, die Krankenkasse im Wege der einstweiligen Anordnung zur entsprechenden Versorgung zu verpflichten.

Gericht verneint Anspruch auf Cannabis-Versorgung

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht und die Vorinstanz gaben den Krankenkassen Recht und lehnten die gerichtlichen Eilanträge ab. Die betroffenen Versicherten hätten keinen Anspruch auf eine Cannabis-Versorgung.

Für Anspruch auf Koste­n­er­stattung muss schwerwiegendes Krankheitsbild vorliegen

Anspruchs­vor­aus­setzung sei zunächst eine schwerwiegende Erkrankung. Eine solche Erkrankung werde von der Rechtsprechung angenommen bei fortge­schrittenen Tumor­er­kran­kungen, einem Restless-Legs-Syndrom mit massiven Schlafstörungen, bei Multipler Sklerose sowie einer schweren Verlaufsform der Neurodermitis. Werde Cannabis zur Schmerz­be­handlung verordnet, so müsse ein entsprechend schwerwiegendes Krankheitsbild mittels ärztlicher Befundberichte belegt sein. Der bloße Verweis auf ein Schmerzsyndrom genüge nicht.

Darüber hinaus hätten die betroffenen Versicherten nicht glaubhaft gemacht, dass eine anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe oder im Einzelfall nicht zur Anwendung kommen könne. Die entsprechenden Angaben der behandelnden Ärzte seien insoweit nicht nachvollziehbar.

Spürbar positiv Beeinflussung der Krankheit durch Cannabis nicht dargelegt

Hinsichtlich der Fibromyalgie bestehe zudem keine auf Indizien gestützte Begründung dafür, dass durch den Einsatz von medizinischen Cannabisblüten der Krank­heits­verlauf spürbar positiv beeinflusst werden könne.

Gericht bejaht Anspruch auf Cannabis-Mundspray bei schwerwiegenden Bauchschmerzen aufgrund Bauch­spei­chel­drü­se­ner­krankung

In einem weiteren Verfahren verurteilte das Hessische Landes­so­zi­al­gericht hingegen die Krankenkasse zur vorläufigen Versorgung mit Sativex® Spray (zugelassenes Cannabis- Mundspray). Der Mann aus dem Schwalm-Eder-Kreis leidet nach wiederholter Bauch­spei­chel­drü­sen­ent­zündung und einer Pankre­a­ti­ko­je­ju­no­stomie seit Jahren an chronischen ausgeprägten und das tägliche Leben schwer einschränkenden Bauchschmerzen. Eine jahrelange Morphiumgabe in höherer Dosis und die zusätzliche Gabe von Novalgin können diese nur leicht mindern. Zur Behandlung dieser schwerwiegenden Erkrankung stünde eine dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung, so das Gericht. Hinsichtlich der Behandlung mit dem Cannabis-Mundspray bestehe zudem eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krank­heits­verlauf bzw. auf die schwerwiegenden Symptome der Schmer­zer­krankung.

Hinweise zur Rechtslage

§ 31 Abs. 6 Sozial­ge­setzbuch Fünftes Buch (SGB V) - gültig seit 6.3.2017

Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standa­r­di­sierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn

1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung

a) nicht zur Verfügung steht oder

b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berück­sich­tigung des Krank­heits­zu­standes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,

2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krank­heits­verlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.

Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Verordnet die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt die Leistung nach Satz 1 im Rahmen der Versorgung nach § 37b, ist über den Antrag auf Genehmigung nach Satz 2 abweichend von § 13 Absatz 3a Satz 1 innerhalb von drei Tagen nach Antragseingang zu entscheiden. [...]

§ 37 b SGB V

(1) Versicherte mit einer nicht heilbaren, forts­chrei­tenden und weit fortge­schrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung, die eine besonders aufwändige Versorgung benötigen, haben Anspruch auf spezialisierte ambulante Pallia­tiv­ver­sorgung. [...]

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

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