23.11.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil20.05.2011

Hessisches LSG: Rückwirkende Sozia­l­hil­fe­leis­tungen nur bei vorsätzlich falschen Angaben ausgeschlossenBehinderter erhält mehr Sozialhilfe – auch für zurückliegende Jahre

Unanfechtbare Sozia­l­hil­fe­be­scheide sind auch für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sie rechtswidrig zu geringe Leistungen bewilligen. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Bescheid auf vorsätzlich falschen Angaben des Betroffenen beruht. Hiervon ist allerdings erst dann auszugehen, wenn der Betroffene die Fehler­haf­tigkeit seiner Angaben kennt oder diese zumindest billigend in Kauf nimmt. Dies entschied das Hessische Landes­so­zi­al­gericht.

Im zugrunde liegenden Fall beantragten die Eltern eines 1986 geborenen schwer­be­hin­derten Kindes für dieses erstmals im Jahre 2005 Leistungen bei Erwer­bs­min­derung. Im Antragsformular bejahte der Vater die Frage, ob das Kindergeld an das Kind weitergeleitet werde. Daraufhin wurde bei der Leistungs­be­rechnung das Kindergeld als Einkommen des Kindes mindernd berücksichtigt. Im Februar 2008 ließ der Rechtsanwalt der Familie den Leistungs­be­scheid mit der Begründung überprüfen, das Kindergeld sei der Familienkasse zugeflossen und daher nicht mindernd zu berücksichtigen. Die Behörde bewilligte hierauf für die Zukunft höhere Leistungen. Eine Nachzahlung für die Vergangenheit lehnte sie jedoch aufgrund der falschen Angaben des Vaters ab.

Nur bei vorsätzlichen Falschangaben keine Rücknahme eines rechtswidrigen Sozia­l­hil­fe­be­scheides für die Vergangenheit

Die Richter des Hessischen Landes­so­zi­al­ge­richts verurteilten hingegen die Behörde zur Nachzahlung. Die falschen Angaben des Vaters seien unschädlich, da er nicht vorsätzlich gehandelt habe. Er habe weder gewusst, dass seine Angaben falsch waren, noch habe er dies billigend in Kauf genommen. Vielmehr sei ihm der Begriff des „Weiterleitens“ des Kindergeldes nicht verständlich gewesen. Der Anspruch auf Nachzahlung erstrecke sich – so die Richter - auch auf die gesamte Zeit seit der Antragstellung. Denn die seit dem 1. April 2011 geltende Regelung, dass Sozia­l­hil­fe­leis­tungen nach Rücknahme eines rechtswidrigen Leistungs­be­scheides nur noch für ein Jahr vor der Rücknahme erbracht werden, gelte nicht für die vor diesem Stichtag gestellten Anträge.

Hinweise zur Rechtslage

§ 44 Sozial­ge­setzbuch Zehntes Buch (SGB X)

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwal­tungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozia­l­leis­tungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozia­l­leis­tungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. (…)

§ 116 a Sozial­ge­setzbuch Zwölftes (SGB XII)

Für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts gilt § 44 Absatz 4 Satz 1 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt.

§ 136 Sozial­ge­setzbuch Zwölftes (SGB XII)

§ 116 a ist nicht anwendbar auf Anträge nach § 44 des Zehnten Buches, die vor dem 1. April 2011 gestellt worden sind.

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

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