21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen vier Hände, die ineinander greifen.
ergänzende Informationen

Hessisches Landessozialgericht Vergleich

Atemwegs­er­krankung eines Karos­se­rie­meisters ist als Berufskrankheit anzuerkennenBereits vorliegende Krankheit des Versicherten steht Ursächlichkeit einer Gefahrstoff­exposition für Atemwegs­er­krankung nicht entgegen

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht hat entschieden, dass eine durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegs­er­krankung als Berufskrankheit anzuerkennen ist. Bei der Prüfung der Kausalität zwischen Schadstoff­exposition und Atemwegs­er­krankung ist zu berücksichtigen, dass die Versicherten in dem gesund­heit­lichen Zustand geschützt sind, in dem sie mit dem gefährdenden Stoff konfrontiert werden. Eine vorliegende Krank­heits­anlage des Versicherten steht daher der Ursächlichkeit der Gefahrstoff­exposition nicht entgegen.

Im zugrunde liegenden Fall war ein 1967 geborener Mann aus dem Main-Kinzig-Kreis seit seinem 16. Lebensjahr als Karosserie- und Fahrzeugmeister im Karosseriebau tätig. Dabei war er unter anderem Lösungs­mit­tel­dämpfen, Motorenabgasen (Stickoxiden) und Stäuben (Schweißrauche, Schleifstäube) ausgesetzt. Bereits im Alter von 37 Jahren wurde bei ihm eine schwere obstruktive Atems­wegs­er­krankung mit Lungenemphysem diagnostiziert. Ferner wurde bei ihm ein Alpha-Antitrypsin-Mangel festgestellt. Dieser genetisch bedingte Enzym-Mangel bewirkt, dass die körpereigene Abwehr nicht nur eindringende Bakterien zerstört, sondern auch das umgebende gesunde Gewebe.

Berufliche Tätigkeit nicht mit erforderlicher Wahrschein­lichkeit ursächlich für Atemwegs­er­krankung

Die Berufsgenossenschaft lehnte den Antrag des Mannes auf Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Die Atemwegserkrankung sei nicht mit der erforderlichen Wahrschein­lichkeit ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Der zeitliche Bezug zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung sei nicht dokumentiert. Ferner seien der Enzym-Mangel und der Nikotinkonsum des Klägers konkurrierende Faktoren hinsichtlich der Atemwegs­er­krankung.

Das Sozialgericht wies - nach Einholung von Sachver­stän­di­gen­gut­achten - die Klage ab. Es sei nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die berufliche Exposition die Atemwegs­er­krankung verursacht habe. Der Mann legte hiergegen Berufung vor dem Hessischen Landes­so­zi­al­gericht ein.

Erkrankter Mann war mehr als 18 Jahre chemisch-irritativen oder toxisch wirkenden Stoffe ausgesetzt

Im Verfahren vor dem Landes­so­zi­al­gericht erfolgten weitere Ermittlungen insbesondere zur Gefahr­stof­f­ex­po­sition und deren Auswirkung auf den an Alpha-Antitrypsin-Mangel erkrankten Kläger. Dabei wurde festgestellt, dass der erkrankte Mann mehr als 18 Jahre chemisch-irritativen oder toxisch wirkenden Stoffe knapp unterhalb des MAK-Grenzwertes (= maximale Arbeits­platz­kon­zen­tration in der Luft am Arbeitsplatz) ausgesetzt war. Am Arbeitsplatz des Mannes habe keine adäquate Absaugung bestanden, Atemschutz sei nicht getragen worden. Zudem würden die MAK-Grenzwerte nur für gesunde, nicht aber für kranke Personen gelten. Die Gefahr­stof­f­ex­po­sition sei zumindest als gleichwertig mit dem Zigaret­ten­konsum des Mannes anzusehen.

Auch Tabakkonsum steht Anerkennung der Berufskrankheit nicht entgegen

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht wies die Beteiligten sodann darauf hin, dass nach dem Recht der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung der Versicherte in dem gesund­heit­lichen Zustand geschützt sei, in dem er mit dem gefährdenden Stoff konfrontiert werde. Daher könne die Kausalität zwischen der berufsbedingten Gefahr­stof­f­ex­po­sition und der Atemwegs­er­krankung nicht unter Verweis auf die bei dem Kläger festgestellte Krank­heits­anlage - dem Enzymmangel - verneint werden. Die Gefahr­stof­f­ex­po­sition sowie der Zigarettenrauch seien zudem für die Atemwegs­er­krankung gleichermaßen (mit)ursächlich gewesen, so dass auch der Tabakkonsum der Anerkennung der Berufskrankheit nicht entgegenstehe.

Keine Mindestdosis für Anerkennung der Berufskrankheit vorgeschrieben

Zudem machte das Landes­so­zi­al­gericht deutlich, dass hinsichtlich der Berufskrankheit Nr. 4302 keine Mindestdosis festgeschrieben sei, welche für die Anerkennung überschritten sein müsse. Ferner hätten nach den Feststellungen der Sachver­ständigen aufgrund des genetisch bedingten Enzymmangels des Klägers die beruflichen Gefahr stoffe­in­wir­kungen auch ohne den Tabakkonsum zu dessen Atemwegs­er­krankung geführt.

Gerichts­ver­fahren ohne gerichtliche Entscheidung einvernehmlich beendet

Nach diesen gerichtlichen Ausführungen habe die Berufs­ge­nos­sen­schaft die Atemwegs­er­krankung des Klägers als Berufskrankheit Nr. 4302 anerkannt. Der inzwischen erwerbsunfähige Mann werde nunmehr von der Berufs­ge­nos­sen­schaft mit einer Rente entschädigt. Damit habe das Verfahren ohne gerichtliche Entscheidung beendet werden können.

Hinweise zur Rechtslage

§ 7 Sozial­ge­setzbuch Siebtes Buch (SGB VII)

(1) Versi­che­rungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufs­krank­heiten.

§ 9 SGB VII

(1) Berufs­krank­heiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechts­ver­ordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufs­krank­heiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versi­che­rungs­schutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechts­ver­ordnung solche Krankheiten als Berufs­krank­heiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; [...]

§ 1 Berufs­krank­heiten Verordnung (BKV)

Berufs­krank­heiten sind die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten [...]

Anlage 1 zur BKV

Nr. 4302: Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegs­er­kran­kungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Entscheidung24567

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI