23.11.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil23.04.2013

Kein weltweiter kostenloser Auslands­kranken­versicherungs­schutz für gesetzlich VersicherteBetriebs­kranken­kassen dürfen keine entsprechenden Verträge mit privaten Versicherungs­unter­nehmen abschließen

Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht hat entschieden, dass die Begründung und Durchführung einer weltweiten Auslands­kranken­versicherung keine Aufgabe der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung ist. Betriebs­kranken­kassen dürfen daher nicht mit privaten Versicherungs­unter­nehmen den Auslands­kranken­versicherungs­schutz ihrer Mitglieder vertraglich regeln.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahre 2007 schlossen die R + V Betrie­bs­kran­ken­ver­si­cherung und die Betrie­bs­kran­kenkasse Price­wa­ter­hou­se­Coopers - sowie über 20 weitere Betrie­bs­kran­ken­kassen - jeweils mit privaten Versi­che­rungs­un­ter­nehmen Gruppen­ver­si­che­rungs­verträge über einen Auslands­kran­ken­ver­si­che­rungs­schutz ihrer Mitglieder. Dieser umfasste die bei Urlaubs- oder beruflich bedingten Reisen im Ausland entstandenen Kosten für die medizinische Behandlung sowie - unter anderem - für Arzneimittel, Rettungs­dienst­transporte und den Rücktransport.

Bundes­ver­si­che­rungsamt beendet diese Ausweitung des Versi­che­rungs­schutzes

Nach umfangreichen Prüfungen der Wirtschaft­lichkeit teilte das Bundes­ver­si­che­rungsamt mit, dass es diese Ausweitung des Versi­che­rungs­schutzes nicht weiter dulden werde und verpflichtete schließlich im Jahr 2012 bzw. 2013 die beiden Betrie­bs­kran­ken­kassen, die Verträge über den Auslands­kran­ken­ver­si­che­rungs­schutz zu beenden. Für die erfolgte Ausweitung des Versi­che­rungs­schutzes im Ausland gebe es keine gesetzliche Grundlage. Deckungslücken bei Auslands­be­hand­lungen lägen in der Eigen­ver­ant­wortung der einzelnen Versicherten. Die Krankenkassen hätten kein Leistungs­er­fin­dungsrecht. Die Betrie­bs­kran­ken­kassen könnten zwar als Vermittler einer privaten Zusatz­ver­si­cherung tätig werden. Mit der streitigen Vereinbarung seien die Krankenkassen hingegen selbst Vertragspartner geworden. Die aufsichts­rechtliche Tolerie­rung­s­praxis habe das Bundes­auf­sichtsamt zum 1. Januar 2013 insgesamt aufgegeben.

Kläger halten Auslands­kran­ken­ver­si­che­rungs­schutz für zugelassene Aufgabe der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung

Gegen diese aufsichts­rechtliche Maßnahmen erhoben die R + V Betrie­bs­kran­ken­ver­si­cherung und die Betrie­bs­kran­kenkasse Price­wa­ter­hou­se­Coopers Klage vor dem Hessischen Landes­so­zi­al­gericht. Sie vertreten die Auffassung, dass der Auslands­kran­ken­ver­si­che­rungs­schutz eine zugelassene Aufgabe der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung sei. Jedenfalls sei der Geset­zes­wortlaut entsprechend auszulegen. Darüber hinaus sei es unver­hält­nismäßig, die aufsichts­rechtliche Duldungspraxis zu beenden, ohne den Krankenkassen die Möglichkeit zu geben, den Wirtschaft­lich­keits­nachweis zu erbringen. Pro versicherter Person falle lediglich ein Jahresbetrag von weniger als 4 Euro an.

Landes­so­zi­al­gericht bestätigt aufsichts­recht­liches Verbot

Das für aufsichts­rechtliche Streitigkeiten erstinstanzlich zuständige Landes­so­zi­al­gericht in Darmstadt gab dem Bundes­ver­si­che­rungsamt Recht. Die gesetzlichen Krankenkassen seien für einen weltweiten kostenlosen Auslands­kran­ken­ver­si­che­rungs­schutz gesetzlich nicht ermächtigt. Die Verträge seien daher eine unzulässige Erweiterung des gesetzlichen Aufga­ben­be­reiches. Die gesetzlichen Krankenkassen dürften die Beiträge ihrer Mitglieder nur für ihre gesetzlich vorge­schriebenen oder zugelassenen Aufgaben verwenden.

Umfangreicher Auslands­kran­ken­ver­si­che­rungs­schutz ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen

Diese Aufgaben würden die Absicherung der Versicherten gegen Krankheit bei Aufenthalt im Ausland nur in sehr begrenztem Umfang umfassen. So hätten die Versicherten Ansprüche aus dem Sozia­l­ko­or­di­na­ti­o­nsrecht der Europäischen Union sowie aus zwischen­staat­lichen Sozia­l­ver­si­che­rungs­ab­kommen. Insoweit hätten die gesetzlichen Krankenkassen unter anderem die europäische Kranken­ver­si­che­rungskarte sowie die nötigen Informationen für die Versicherten bereitzustellen. Ferner seien bestimmte Koste­n­er­stat­tungs­ansprüche für Gesund­heits­dienst­leis­tungen im EU-Ausland gesetzlich vorgeschrieben. Ferner könnten die Krankenkassen ihren Mitgliedern private Zusatz­ver­si­che­rungen vermitteln. Darüber hinaus sei der Auslands­kran­ken­ver­si­che­rungs­schutz hingegen nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen.

Hinweise zur Rechtslage

§ 31 Sozial­ge­setzbuch Erstes Buch (SGB I)

Rechte und Pflichten in den Sozia­l­leis­tungs­be­reichen dieses Gesetzbuchs dürfen nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt.

§ 87 Sozial­ge­setzbuch Viertes Buch (SGB IV)

(1) Die Versi­che­rungs­träger unterliegen staatlicher Aufsicht. [...]

§ 89 SGB IV

(1) Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versi­che­rungs­trägers das Recht verletzt, soll die Aufsichts­behörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versi­che­rungs­träger die Rechts­ver­letzung behebt. Kommt der Versi­che­rungs­träger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichts­behörde den Versi­che­rungs­träger verpflichten, die Rechts­ver­letzung zu beheben. [...]

§ 29 SGB IV

(1) Die Träger der Sozia­l­ver­si­cherung (Versi­che­rungs­träger) sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbst­ver­waltung.

(3) Die Versi­che­rungs­träger erfüllen im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen für sie maßgebenden Rechts ihre Aufgaben in eigener Verantwortung.

§ 30 SGB IV

(1) Die Versi­che­rungs­träger dürfen nur Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorge­schriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen und ihre Mittel nur für diese Aufgaben sowie die Verwal­tungs­kosten verwenden.

§ 27 Sozial­ge­setzbuch Fünftes Buch (SGB V)

(1) Versicherte haben Anspruch auf Kranken­be­handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krank­heits­be­schwerden zu lindern. [...]

§ 16 SGB V

(1) Der Anspruch auf Leistungen ruht, solange Versicherte

1. sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist, [...]

§ 18 SGB V

(1) Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur außerhalb des Geltungs­be­reichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen. Der Anspruch auf Krankengeld ruht in diesem Fall nicht.

(3) Ist während eines vorübergehenden Aufenthalts außerhalb des Geltungs­be­reichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum eine Behandlung unverzüglich erforderlich, die auch im Inland möglich wäre, hat die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung insoweit zu übernehmen, als Versicherte sich hierfür wegen einer Vorerkrankung oder ihres Lebensalters nachweislich nicht versichern können und die Krankenkasse dies vor Beginn des Aufenthalts außerhalb des Geltungs­be­reichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum festgestellt hat. [...]

§ 13 SGB V

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungs­er­bringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Koste­n­er­stattung in Anspruch zu nehmen, [...] Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. [...] Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können [...] Kranken­haus­leis­tungen [...] nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

§ 60 SGB V

(4) Die Kosten des Rücktransports in das Inland werden nicht übernommen.

§ 194 SGB V

(1a) Die Satzung kann eine Bestimmung enthalten, nach der die Krankenkasse den Abschluss privater Zusatz­ver­si­che­rungs­verträge zwischen ihren Versicherten und privaten Kranken­ver­si­che­rungs­un­ter­nehmen vermitteln kann. Gegenstand dieser Verträge können alle Leistungen sein, die den gesetzlichen Kranken­ver­si­che­rungs­schutz ergänzen, insbesondere [...] eine Auslandskrankenversicherung.

§ 197 b SGB V

Krankenkassen können die ihnen obliegenden Aufgaben durch Arbeits­ge­mein­schaften oder durch Dritte mit deren Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn die Aufga­ben­wahr­nehmung durch die Arbeits­ge­mein­schaften oder den Dritten wirtschaft­licher ist, es im wohlver­standenen Interesse der Betroffenen liegt und Rechte der Versicherten nicht beeinträchtigt werden. [...]

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

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