21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil09.10.2014

EuGH zum Anspruch auf Kranken­h­aus­be­handlung im EU-AuslandKoste­n­er­stattung nur unter bestimmten Voraussetzungen

Die Erstattung im Ausland entstandener Behand­lungs­kosten darf nicht verweigert werden, wenn das Fehlen von grundlegenden medizinischen Material verhindert, dass der Versicherte die Kranken­h­aus­be­handlung in seinem Land rechtzeitig erhält. Diese Unmöglichkeit ist sowohl auf der Ebene sämtlicher Kranken­haus­ein­rich­tungen zu beurteilen, die in der Lage sind, diese Behandlung im betreffenden Mitgliedstaat vorzunehmen, als auch im Hinblick auf den Zeitraum, in dem diese Behandlung erlangt werden kann. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union nunmehr entschieden.

Nach dem Unionsrecht* kann einem Arbeitnehmer die Genehmigung erteilt werden, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um eine seinem Gesund­heits­zustand angemessene ärztliche Behandlung zu erhalten, wobei er dort die erforderlichen Leistungen empfängt, als ob er in diesem Staat sozia­l­ver­sichert wäre, und die Kosten durch den Wohnmit­gliedstaat erstattet werden. Der Wohnmit­gliedstaat darf diese Genehmigung nicht verweigern, wenn die Behandlung, die der Arbeitnehmer benötigt, zu den nach seinen Rechts­vor­schriften erfassten Leistungen gehört und wenn dieser in Anbetracht seines Gesund­heits­zu­stands und des voraus­sicht­lichen Verlaufs seiner Krankheit die Behandlung im Inland nicht rechtzeitig erhalten kann.

Rumänische Patientin begehrte Koste­n­er­stattung für Operation am Herzen in Deutschland

Im vorliegenden Fall leidet die Patientin, die die rumänische Staats­an­ge­hö­rigkeit besitzt, an einer schweren Erkrankung der Herzgefäße, deren Verlauf einen Kranken­haus­auf­enthalt in einer Fachklinik in Temeswar (Rumänien) erforderlich machte. Die ärztlichen Untersuchungen führten zu der Entscheidung, eine Operation am offenen Herzen vorzunehmen. Während ihres Kranken­haus­auf­enthalts stellte die Patientin fest, dass es an Medikamenten und an grundlegenden medizinischen Material fehle und dass die Zahl der Betten unzureichend sei. Auch in Anbetracht der Kompliziertheit des chirurgischen Eingriffs, dem sie sich unterziehen musste, entschied sie, sich in Deutschland operieren zu lassen, und beantragte bei ihrer Krankenkasse die Übernahme der Kosten dieses Eingriffs.

Krankenkasse lehnt Antrag auf Kostenübernahme von fast 18000 Euro ab

Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, aus dem Bericht des behandelnden Arztes gehe nicht hervor, dass die beantragte Leistung nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums in Rumänien erbracht werden könne. Die Kosten des Eingriffs beliefen sich auf insgesamt fast 18 000 Euro, deren Erstattung sie bei den rumänischen Behörden beantragt hat.

Landgericht legt Frage dem EuGH vor

Das mit der Rechtssache befasste Tribunal Sibiu (Landgericht Sibiu, Rumänien) ersucht den Gerichtshof, zu bestimmen, ob die Situation, in der die grundlegenden Medikamente und das grundlegende medizinische Material fehlen, einer Situation gleichzusetzen ist, in der die erforderliche medizinische Versorgung im Wohnland nicht gewährleistet werden kann, so dass einem Staats­an­ge­hörigen dieses Landes auf seinen Antrag hin die Genehmigung erteilt werden muss, diese Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen, und zwar auf Kosten des Systems der sozialen Sicherheit des Wohnlandes.

EuGH zu den zwei Voraussetzungen für Genehmigung der Koste­n­er­stattung

In seinem Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass das Unionsrecht zwei Voraussetzungen aufstellt, bei deren Erfüllung die vorherige Genehmigung zur Erstattung der Behandlungskosten erteilt werden muss. Zunächst muss die betreffende Behandlung zu den Leistungen gehören, die in den Rechts­vor­schriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dessen Gebiet der Sozia­l­ver­si­cherte wohnt. Sodann muss ausgeschlossen sein, dass der Sozia­l­ver­si­cherte die Behandlung, die er im Ausland erhalten will, in Anbetracht seines derzeitigen Gesund­heits­zu­stands und des Verlaufs seiner Krankheit in einem Zeitraum erhalten kann, der für die gewünschte Behandlung in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, normalerweise erforderlich ist.

Fehlen von Medikamenten kann rechtzeitige Behandlung unmöglich machen

Zur letztgenannten Voraussetzung hat der Gerichtshof entschieden, dass die erforderliche Genehmigung nicht verweigert werden darf, wenn die gleiche oder eine ebenso wirksame Behandlung in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Betroffene wohnt, nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Um zu beurteilen, ob dies der Fall ist, muss der zuständige Träger sämtliche Umstände des konkreten Falles beachten. Folglich kann das Fehlen von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material die Vornahme einer gleichen oder ebenso wirksamen rechtzeitigen Behandlung im Wohnsitz­mit­gliedstaat unmöglich machen.

Der Gerichtshof stellt jedoch klar, dass diese Unmöglichkeit zum einen auf der Ebene sämtlicher Kranken­haus­ein­rich­tungen des Wohnsitz­mit­glied­staats zu beurteilen ist, die in der Lage sind, die betreffende Behandlung vorzunehmen, und zum anderen im Hinblick auf den Zeitraum, in dem diese Behandlung rechtzeitig erlangt werden kann.

Durchführung des Eingriffes innerhalb von drei Monaten nötig

Die rumänische Regierung hat, wie der Gerichtshof ausführt, vorgetragen, dass die Patientin berechtigt gewesen sei, sich an andere Gesund­heits­ein­rich­tungen zu wenden, die in Rumänien über die zur Durchführung des bei ihr erforderlichen Eingriffs notwendige Ausstattung verfügten. Außerdem sei dem Bericht des behandelnden Arztes zu entnehmen, dass der Eingriff innerhalb von drei Monaten habe durchgeführt werden müssen. Somit ist es Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob der Eingriff innerhalb dieses Zeitraums nicht in einer anderen Kranken­haus­ein­richtung in Rumänien hätte durchgeführt werden können.

Erläuterungen

* Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien­an­ge­hörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S.1).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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