03.12.2024
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Dokument-Nr. 9791

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil15.06.2010

EuGH: EU-Mitgliedsstaat muss Patienten Kosten für Kranken­haus­auf­enthalt in anderem Mitgliedsstaat nicht erstattenNicht geplante Kranken­h­aus­be­handlung im EU-Ausland

Kommt es während eines vorübergehenden Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat zu einer nicht geplanten Kranken­h­aus­be­handlung, ist der Versi­che­rungs­mit­gliedstaat nicht verpflichtet, dem Patienten die Kosten zu erstatten. Der Träger des Versi­che­rungs­mit­glied­staats ist nur verpflichtet, dem Träger des Staates, in dem diese Behandlung durchgeführt wurde, die Kosten zu erstatten, die dieser Träger nach Maßgabe des in diesem Aufent­halts­mit­gliedstaat geltenden Deckungsniveaus getragen hat. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.

Nach den spanischen Rechts­vor­schriften auf dem Gebiet des Gesund­heits­wesens sind in der Regel nur die vom nationalen spanischen Gesund­heits­system an seine Versicherten erbrachten Leistungen völlig kostenfrei. Gleichwohl erstattet das spanische System nach der durch die Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Regelung dann, wenn ein im spanischen System Versicherter in einem anderen Mitgliedstaat eine unerwartete Behandlung erhält (also eine Kranken­h­aus­be­handlung, die durch die Entwicklung seines Gesund­heits­zu­stands während eines vorübergehenden Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat erforderlich wurde) dem Träger des Staates, in dem diese Behandlung durchgeführt wurde, die von ihm übernommenen Kosten nach Maßgabe des in diesem Aufent­halts­mit­gliedstaat geltenden Deckungsniveaus. Folglich hat der betreffende Versicherte grundsätzlich keinen Anspruch auf Übernahme des Teils der Behand­lungs­kosten durch den spanischen Träger, der vom Aufent­halts­mit­gliedstaat nicht gedeckt und seinen Versicherten auferlegt wird.

Kommission beanstandet Behinderung des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs

Aufgrund der Beschwerde eines im spanischen Gesund­heits­system Versicherten, der sich bei einem Aufenthalt in Frankreich einer unerwarteten Kranken­h­aus­be­handlung unterziehen musste und dem bei seiner Rückkehr nach Spanien die Erstattung des Teils der Kranken­haus­kosten verweigert wurde, den ihm Frankreich nach seiner eigenen Regelung auferlegt hatte, beschloss die Kommission, die vorliegende Vertrags­ver­let­zungsklage gegen Spanien zu erheben. Die spanische Regelung behindere den freien Dienst­leis­tungs­verkehr, da sie den spanischen Versicherten die Erstattung des Teils der Behand­lungs­kosten vorenthalte, der nicht durch den Träger des Aufent­halts­mit­glied­staats gedeckt sei. Damit habe die betreffende Regelung die Wirkung, sowohl die Erbringung von Behand­lungs­leis­tungen im Krankenhaus als auch die Erbringung von touristischen oder bildungs­be­zogenen Leistungen zu behindern, deren Inanspruchnahme den Anlass für einen vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat bilden könnten.

EuGH: Unterscheidung zwischen unerwarteter Behandlung und geplanter und genehmigter Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich

Der Gerichtshof befindet in seinem Urteil, dass der freie Dienst­leis­tungs­verkehr die Freiheit eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Versicherten umfasst, sich beispielsweise als Tourist oder Studierender zu einem vorübergehenden Aufenthalt in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort eine Kranken­h­aus­be­handlung durch einen Leistungs­er­bringer mit Sitz in diesem anderen Mitgliedstaat zu erhalten, wenn sein Gesund­heits­zustand während dieses Aufenthalts eine solche Behandlung erforderlich macht. Jedoch kann die spanische Regelung in ihrer allgemeinen Bedeutung nicht als geeignet angesehen werden, den freien Verkehr von Behand­lungs­leis­tungen im Krankenhaus, von touristischen Leistungen oder von bildungs­be­zogenen Leistungen zu behindern. Der Gerichtshof unterscheidet insoweit zwischen dem Fall der unerwarteten Behandlung und dem einer geplanten und genehmigten Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat.

Bedingungen im Zusammenhang mit Kranken­haus­auf­enthalt in anderem Mitgliedstaat können je nach Einzelfall Vor- oder Nachteile haben

Für einen Versicherten, der sich beispielsweise aus touristischen oder bildungs­be­zogenen Gründen, nicht aber – wie im Fall einer geplanten Behandlung – wegen einer beliebigen Unzuläng­lichkeit im Angebot des Gesund­heits­systems, dem er angeschlossen ist, in einen anderen Mitgliedstaat begibt, können die Bedingungen im Zusammenhang mit einem Kranken­haus­auf­enthalt in einem anderen Mitgliedstaat je nach Einzelfall Vor- oder Nachteile haben. Dies erklärt sich namentlich durch die nationalen Unterschiede bei der sozialen Absicherung und der Zweck der Verordnung Nr. 1408/71, die nationalen Vorschriften zu koordinieren, nicht aber, sie einander anzugleichen.

Wird die unerwartete Kranken­h­aus­be­handlung unter Umständen erforderlich, die insbesondere mit der Dringlichkeit, der Schwere der Beein­träch­tigung oder des Unfalls oder auch mit der aus medizinischer Sicht bestehenden Unmöglichkeit einer Rückreise in den Versi­che­rungs­mit­gliedstaat in Zusammenhang stehen, kann der spanischen Regelung hinsichtlich der Erbringung von Behand­lungs­leis­tungen im Krankenhaus durch in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Leistungs­er­bringer keinerlei hinderliche Wirkung zugeschrieben werden. In diesen Fällen hat der Versicherte nämlich nicht die Wahl zwischen einer Kranken­h­aus­be­handlung in dem Mitgliedstaat, in dem er sich vorübergehend aufhält, und einer vorzeitigen Rückkehr nach Spanien.

Gerichtshof hält Regelung des spanischen Gesund­heits­systems für zu ungewiss und mittelbar

Zudem hinge in den Fällen, in denen die unerwartete Behandlung Situationen betrifft, die nicht so geartet sind, dass dem Versicherten die Wahl zwischen einer Kranken­haus­pflege in dem Mitgliedstaat, in dem er sich vorübergehend aufhält, und einer vorzeitigen Rückkehr nach Spanien genommen wäre, die etwaige Entscheidung des Versicherten, vorzeitig nach Spanien zurückzukehren oder auf eine Reise in einen anderen Mitgliedstaat zu verzichten, zum einen davon ab, ob sein Gesund­heits­zustand während seines vorübergehenden Aufenthalts tatsächlich eine Kranken­h­aus­be­handlung erforderlich machte, und zum anderen von dem Deckungsniveau, das in dem Mitgliedstaat, in dem er sich vorübergehend aufhält, für die dort in Aussicht genommene Kranken­h­aus­be­handlung gilt, deren Gesamtkosten zu dem Zeitpunkt nicht bekannt sind. Dementsprechend gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass in solchen Fällen der Umstand, dass im spanischen Gesund­heits­system Versicherte veranlasst sein könnten, vorzeitig nach Spanien zurückzukehren, um dort die erforderlich gewordene Kranken­h­aus­be­handlung zu erhalten, oder auf eine Reise in einen anderen Mitgliedstaat zu verzichten, wenn sie nicht mit einem ergänzenden Eintreten des spanischen Trägers rechnen können, als zu ungewiss und mittelbar erscheint.

Anwendung spanischer Verordnung beruht auf einem umfassenden Risikoausgleich

Darüber hinaus hebt der Gerichtshof hervor, dass im Unterschied zu geplanten Behandlungen die Zahl der Fälle unerwarteter Behandlungen nicht vorhersehbar und nicht zu kontrollieren ist. Die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 beruht, wie der Gerichtshof in diesem Zusammenhang darlegt, auf einem umfassenden Risikoausgleich. So ergibt sich im Rahmen des durch die Verordnung Nr. 1408/71 für unerwartete Behandlungen errichteten Systems eine allgemeine Ausgewogenheit. Die Fälle, in denen die unerwartete, in einem anderen Mitgliedstaat vorgenommene Kranken­h­aus­be­handlung aufgrund der Anwendung von dessen Regelung den Versi­che­rungs­mit­gliedstaat einer höheren finanziellen Belastung aussetzt, als wenn diese Behandlung in einer seiner Einrichtungen vorgenommen worden wäre, werden nämlich umfassend durch die Fälle ausgeglichen, in denen demgegenüber die Anwendung der Regelung des Aufent­halts­mit­glied­staats beim Versi­che­rungs­mit­gliedstaat zu einer finanzielle Belastung führt, die geringer ist als diejenige, die sich aus der Anwendung seiner eigenen Regelung ergeben hätte.

Versi­che­rungs­mit­gliedstaat hätte finanzielle Höchstbelastung zu tragen

Würde man daher einem Mitgliedstaat die Verpflichtung auferlegen, den bei ihm Versicherten immer dann eine ergänzende Erstattung zu garantieren, wenn das Deckungsniveau, das im Aufent­halts­mit­gliedstaat für die unerwarteten Kranken­h­aus­be­hand­lungen gilt, niedriger ist als das nach seiner eigenen Regelung geltende, würde dies darauf hinauslaufen, unmittelbar die Anlage des durch die Verordnung Nr. 1408/71 errichteten Systems zu beeinträchtigen. In einem solchen Fall hätte nämlich der Versi­che­rungs­mit­gliedstaat systematisch die finanzielle Höchstbelastung zu tragen, sei es aufgrund der Anwendung der Regelung des Aufent­halts­mit­glied­staats, die ein höheres Deckungsniveau vorsieht als die Regelung des Versi­che­rungs­mit­glied­staats, sei es durch die Anwendung der letztgenannten Regelung im umgekehrten Fall.

Demzufolge hat der Gerichtshof die Klage der Kommission abgewiesen.

Quelle: ra-online, EuGH

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