21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil05.10.2010

EuGH zur Koste­n­er­stattung für geplante medizinische Behandlungen in einem anderen MitgliedstaatErfordernis einer vorherigen Genehmigung für Behandlungen stellt gerechtfertigte Einschränkung dar

Die französische Regelung in Bezug auf die Koste­n­er­stattung für geplante Behandlungen in einem anderen Mitgliedstaat ist mit dem Unionsrecht vereinbar. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Die Kommission erhob beim Gerichtshof eine Vertrags­ver­let­zungsklage gegen Frankreich, weil nach ihrer Auffassung verschiedene innerstaatliche Bestimmungen über die Koste­n­er­stattung für bestimmte geplante Behandlungen – d. h. solche, die der Versicherte in einem anderen Mitgliedstaat als Frankreich zu erhalten beabsichtigt – gegen Unionsrecht verstoßen.

Bestimmungen des französischen Code de la sécurité sociale laufen nach Ansicht der Kommission freien Dienst­leis­tungs­verkehr zuwider

Erstens war die Kommission der Ansicht, dass die Bestimmungen des französischen Code de la sécurité sociale, die die Koste­n­er­stattung für geplante Behandlungen außerhalb von Krankenhäusern in einem anderen Mitgliedstaat von einer vorherigen Genehmigung des zuständigen französischen Trägers abhängig machen, wenn diese Behandlungen den Einsatz medizinischer Großgeräte erfordern, dem freien Dienst­leis­tungs­verkehr zuwiderliefen. Beispielsweise geht es hierbei um Kernspin­to­mo­gra­fie­geräte oder Kernspin­re­so­nanz­spek­trometer, die bei der Erkennung und Behandlung u. a. von Krebs, bestimmten neuro­mo­to­rischen Erkrankungen usw. verwendet werden.

Entgeltliche medizinische Leistungen fallen in Anwen­dungs­bereich der Bestimmungen über freien Dienst­leis­tungs­verkehr

Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass entgeltliche medizinische Leistungen nach seiner ständigen Rechtsprechung in den Anwen­dungs­bereich der Bestimmungen über den freien Dienst­leis­tungs­verkehr fallen, ohne dass danach zu unterscheiden wäre, ob die Versorgung in einem Krankenhaus oder außerhalb eines solchen erbracht wird.

Freier Dienst­leis­tungs­verkehr ermöglicht medizinische Behandlung ohne Beschränkungen in anderem Mitgliedstaat

Der freie Dienst­leis­tungs­verkehr schließt die Freiheit der Leistungs­emp­fänger, insbesondere der Personen, die eine medizinische Behandlung benötigen, ein, sich zur Inanspruchnahme dieser Dienst­leis­tungen in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen beeinträchtigt zu werden. Die vorherige Genehmigung, die in der französischen Regelung für die Erstattung der Kosten für eine den Einsatz medizinischer Großgeräte erfordernde Behandlung verlangt wird, ist aber geeignet, die Versicherten des französischen Systems davon abzuschrecken oder sogar daran zu hindern, sich an die Erbringer medizinischer Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat zu wenden, und stellt daher tatsächlich eine Beschränkung des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs dar.

Medizinische Großgeräte müssen aufgrund besonders hoher Kosten Gegenstand französischer Planungspolitik sein können

Die im Code de la santé publique abschließend aufgezählten medizinischen Großgeräte müssen aber unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb von Krankenhäusern aufgestellt oder benutzt werden, wegen ihrer besonders hohen Kosten Gegenstand einer Planungspolitik sein können, wie sie durch die französische Regelung definiert wird, insbesondere, was ihre Zahl und ihre geografische Verteilung betrifft, um dazu beizutragen, im gesamten Staatsgebiet ein Angebot an Spitzen-Behand­lungs­leis­tungen zu gewährleisten, das rationell, stabil, ausgewogen und gut zugänglich ist, aber auch, um jede Verschwendung finanzieller, technischer und menschlicher Ressourcen soweit wie möglich zu verhindern. Beispielsweise belaufen sich die Anschaffungs- und Benut­zungs­kosten für die bei der Krebserkennung und –behandlung notwendigen Geräte auf Tausende oder sogar Millionen Euro.

Vorherigen Genehmigung von Behandlungen gerechtfertigt

Angesichts der Gefahren sowohl für die Organisation der öffentlichen Gesund­heits­politik als auch für das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit stellt das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung für diese Art von Behandlungen folglich beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts eine gerechtfertigte Einschränkung dar.

Kommission begründet Kritik an französischen verfahrens- und materi­ell­recht­lichen Vorschriften nicht ausreichend

Ein System der vorherigen Genehmigung muss auf objektiven und nicht diskri­mi­nie­renden Kriterien beruhen, die im Voraus bekannt sind, damit dem Ermessen der nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden, die seine missbräuchliche Ausübung verhindern. Ein derartiges Geneh­mi­gungs­system muss außerdem auf einem leicht zugänglichen Verfahren beruhen und geeignet sein, den Betroffenen zu garantieren, dass ihr Antrag innerhalb angemessener Frist sowie objektiv und unparteiisch behandelt wird, wobei eine Versagung der Genehmigung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens anfechtbar sein muss. Im vorliegenden Fall hat die Kommission in Bezug auf die französischen verfahrens- und materi­ell­recht­lichen Vorschriften des Systems der vorherigen Genehmigung keine spezifischen Rügen vorgebracht.

Versicherter hat Recht auf ergänzende Erstattung bei unter­schied­lichen Niveaus der sozialen Absicherung zwischen Staat der Versi­che­rungs­zu­ge­hö­rigkeit und Staat der Kranken­haus­pflege

Zweitens machte die Kommission geltend, Frankreich habe die Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht durchgeführt, der zufolge dem Sozia­l­ver­si­cherten, wenn die Erstattung von Kosten, die durch im Aufent­halts­mit­gliedstaat erbrachte Kranken­h­aus­dienst­leis­tungen veranlasst worden sind, die sich aus der Anwendung der in diesem Mitgliedstaat geltenden Regelung ergibt, niedriger als diejenige ist, die sich aus der Anwendung der im Mitgliedstaat der Versi­che­rungs­zu­ge­hö­rigkeit geltenden Rechts­vor­schriften im Fall einer Kranken­haus­pflege in diesem Staat ergeben würde, vom zuständigen Träger eine ergänzende Erstattung gemäß dem genannten Unterschied zu gewähren ist. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass ein Patient nach den französischen Bestimmungen im Fall von in einem anderen Mitgliedstaat erbrachten Kranken­h­aus­be­hand­lungen Anspruch auf eine Koste­n­er­stattung unter den gleichen Bedingungen, wie wenn die Behandlung in Frankreich durchgeführt worden wäre, und in den Grenzen der dem Sozia­l­ver­si­cherten tatsächlich entstandenen Kosten hat. Diese Bestimmungen umfassen somit das Recht der Versicherten des französischen Systems auf eine ergänzende Erstattung zu Lasten des zuständigen französischen Trägers im Fall von Unterschieden der Niveaus der sozialen Absicherung zwischen dem Staat der Versi­che­rungs­zu­ge­hö­rigkeit und dem Staat der Kranken­haus­pflege, auf den die Rechtsprechung des Gerichtshofs abstellt.

Kommission benennt keine inner­staat­lichen Rechts­vor­schriften, die Rechtsprechung des EuGH zuwiderlaufen

Diese Feststellung wird durch die Tatsache bestätigt, dass die Kommission keine inner­staat­lichen Rechts­vor­schriften genannt hat, die der Rechtsprechung des Gerichtshofs zuwiderliefen. Auch hat die Kommission weder Entscheidungen französischer Gerichte angeführt, in denen das Recht auf die ergänzende Erstattung geleugnet worden wäre, noch die Existenz einer Verwal­tung­s­praxis dargetan, die den Versicherten dieses Recht hätte vorenthalten können. Die Klage der Kommission gegen Frankreich wird daher insgesamt abgewiesen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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