21.11.2024
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Dokument-Nr. 15032

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Urteil15.01.2013Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte48420/10; 59842/10; 51671/10 und 36516/10
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2014, 1935Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2014, Seite: 1935
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ergänzende Informationen

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Urteil15.01.2013

EGMR: Airline-Boden­an­ge­stellte darf Kreuz tragen / Kranken­schwester darf kein Kreuz tragen / Standesbeamter darf Homo-Ehe nicht verweigern / Paartherapeut muss auch homosexuelle Paare betreuenEGMR zum Verhältnis von Religi­o­ns­freiheit und Beruf

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) schützt die Religi­o­ns­freiheit im Beruf, wiegt aber die Ausübung der Religi­o­ns­freiheit mit schützenswerten Rechten anderer ab.

In vier Einzelfällen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschieden, wann das sichtbare Tragen religiöser Zeichen während der Berufsausübung gestattet ist. Er stellte klar, dass die Religi­o­ns­freiheit im Beruf nicht so weit reicht, dass Homosexuelle diskriminiert werden dürften. Im Einzelnen entschied der EGMR:

1. Boden­an­ge­stellte von Flugge­sell­schaften dürfen während ihrer Arbeit sichtbar ein Kreuz tragen.

2. Kranken­schwestern in der Alterspflege dürfen keine Kette mit einem Kreuz tragen, an dem Patienten hängen bleiben können.

3. Standesbeamte dürfen sich nicht aus religiöser Überzeugung weigern, gleich­ge­schlechtliche Partnerschaften im Rahmen von Verpartnerungen einzutragen.

4. Die Entlassung von Paartherapeuten, die sich aus religiösen Gründen weigern, homosexuelle Paare zu betreuen, ist rechtmäßig.

Allen vier Fällen lagen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zugrunde, wonach Religi­o­ns­freiheit im Beruf unter britischem Recht nicht ausreichend geschützt wäre. Weil ihr Recht auf freie Religi­o­ns­ausübung während der Arbeit unter britischem Recht nicht ausreichend geschützt sei, machten die Beschwer­de­führer vor dem EGMR Schadenersatz gegen das Vereinigte Königreich geltend.

Kreuz darf offen getragen werden, solange dies nicht die Sicherheit gefährdet

Seit 1999 trug Nadia Eweida als Teilzeit-Boden­an­ge­stellte der Flugge­sell­schaft British Airways aus religiösen Gründen ein Kreuz unter ihrer Uniform. Obwohl der Uniform-Kodex allen Angestellten das offene Tragen von Schmuck oder religiösen Zeichen untersagte, war praktizierenden Sikhs und Moslems das Tragen von Kopfbedeckungen während der Arbeitszeit gestattet. Ab Mai 2006 begann die Beschwer­de­führerin Nadia Eweida, ihr Kreuz offen zu tragen. Daraufhin wurde Frau Eweida ab September 2006 unbezahlt beurlaubt. Frau Eweida weigerte sich, eine Stelle im nicht-uniformierten Verwal­tungs­bereich anzunehmen, wo sie das Kreuz hätte offen tragen dürfen und kehrte erst im Februar 2007 zur Arbeit zurück, nachdem ihr Arbeitgeber eine allgemeine Erlaubnis erteilt hatte, Kreuz und Davidstern als religiöse Symbole offen zu tragen.

Hier befand der EuGHMR, dass der Beschwer­de­führerin Eweida zu Unrecht untersagt worden war, während der Arbeitszeit offen eine Halskette mit einem Kreuz zu tragen.

Im Fall der seit 1989 in einer geriartrischen Pflegestation tätigen Kranken­schwester Shirley Chaplin wurde das Tragen einer Halskette mit Kreuz untersagt, als es wegen des Umstellens auf neue Dienstkleidung mit V-Ausschnitten sichtbar wurde.

Zwar sah der EGMR auch hier das Recht auf freie Religi­o­ns­ausübung dadurch betroffen, dass die Beschwer­de­führerin Shirley Chaplin ihr Kreuz nicht weiterhin offen tragen durfte. Allerdings sei diese Untersagung dadurch gerechtfertigt, dass der Arbeitgeber zu Recht darüber besorgt sei, dass Patienten durch die Kette der Pflegeschwester Chaplin verletzt werden könnten. Das Recht auf freie Religi­o­ns­ausübung müsse mit dem Rechten anderer abgewogen werden. Insofern wiege das Recht der Patienten auf Gesund­heits­schutz und das Recht auf Sicherheit im Krankenheit schwerer als das Recht der Pflegeschwester Chaplin darauf, als Ausfluss ihrer Religi­o­ns­freiheit während ihrer Berufsausübung offen ein Kreuz an einer Halskette zu tragen.

Religi­o­ns­aus­übungs­freiheit rechtfertigt keine Diskriminierung wegen sexueller Orientierung

Arbeitgeber können Beschäftigte entlassen, die homosexuelle Paare unter Berufung auf ihre christliche Überzeugung diskriminieren. Die Religi­o­ns­aus­übungs­freiheit ist insoweit wirksam durch die Rechte anderer beschränkt.

Im Fall der von 1992 bis 2009 als Standesbeamtin in London tätigen Lillian Ladele waren Diszi­pli­n­a­r­maß­nahmen und Entlassung rechtmäßig, weil sich die Beschwer­de­führerin seit dem Inkrafttreten des Partner­schafts­ge­setztes unter Berufung auf ihre religiöse Überzeugung weigerte, gleich­ge­schlechtliche Paare zu verpartnern, obwohl es das Gesetz so vorsah.

Auch im Fall des Sexual­the­ra­peuten Gary McFarlane wog das Recht auf Gleich­be­handlung von schwulen und lesbischen Paaren gegenüber heterosexuellen Paaren stärker als das Recht auf Religi­o­ns­freiheit des Beschwer­de­führers McFarlane. Dieser wollte im Rahmen seines Arbeits­ver­hält­nisses nur heterosexuelle Paare therapieren und weigerte sich aus religiösen Gründen, homosexuelle Paare zu betreuen. Eine daraufhin erfolgte suspendierung und eine spätere Entlassung waren nach Überzeugung des EuGHMR rechtmäßig.

Quelle: ra-online, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (pm/pb)

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