Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Falls, Jakob Schönbrod, ist deutscher Staatsangehöriger, 1933 geboren. Er ist vielfach vorbestraft und hat viele Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht. Im Mai 1996 verurteilte ihn das Landgericht Koblenz wegen gemeinschaftlich begangenen bewaffneten Raubüberfalls zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren. Zugleich ordnete das Gericht seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an; dieser Teil des Urteils wurde aber später aufgehoben, da seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bereits mit einem früheren Urteil 1978 angeordnet worden war.
Nach der vollständigen Verbüßung seiner Haftstrafe am 7. Juni 2005 blieb Jakob Schönbrod in der JVA Aachen in der Sicherungsverwahrung. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen das Verfahren zur Entscheidung über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zwar bereits eingeleitet, aber noch keinen formalen Beschluss getroffen. Erst am 30. März 2006 ordnete das Gericht die Vollstreckung der 1978 angeordneten Sicherungsverwahrung an. Es stützte sich auf eine Befragung Jakob Schönbrods, seines Anwalts und des Direktors der JVA Aachen sowie auf zwei Sachverständigengutachten und befand, dass Jakob Schönbrod trotz seines fortgeschrittenen Alters von 72 Jahren einen Hang zur Begehung schwerer Straftaten habe. Seine Berufung blieb erfolglos und am 21. September 2006 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, Jakob Schönbrods Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Entscheidung anzunehmen. Im Dezember 2007 entschied das Landgericht Aachen, die Anordnung seiner Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen und im März 2008 wurde Jakob Schönbrod entlassen.
Jakob Schönbrod rügte, dass seine Sicherungsverwahrung gegen Artikel 5 § 1 verstoßen habe, unter anderem weil er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht mehr gefährlich gewesen sei. Die Beschwerde wurde am 11. November 2006 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt.
Der Gerichtshof zeigte sich überzeugt, dass die Sicherungsverwahrung Jakob Schönbrods hinsichtlich ihrer Begründung als Freiheitsentziehung „nach Verurteilung“ durch ein zuständiges Gericht im Sinne von Artikel 5 § 1 (a) zulässig war. Er war nicht über die zum Zeitpunkt seiner Tat und Verurteilung zulässige Höchstdauer hinaus in der Sicherungsverwahrung untergebracht gewesen. Die Entscheidungen der für den Strafvollzug zuständigen deutschen Gerichte, ihn nicht zu entlassen, standen insofern im Einklang mit der Zielsetzung des Gerichts, das ihn verurteilt hatte, als beide darauf ausgerichtet waren, ihn von der Begehung weiterer Straftaten, wie etwa bewaffneter Raubüberfälle, abzuhalten. Jakob Schönbrod hatte ferner nicht nachgewiesen, dass die Sachverständigengutachten, auf die sich die deutschen Gerichte gestützt hatten und die ihm bescheinigten, dass er trotz seines Alters und seines Gesundheitszustands in der Lage sei, schwere Straftaten zu begehen, unzureichend begründet waren.
Der Gerichtshof stellte aber fest, dass Jakob Schönbrod mehr als neun Monate nach der vollständigen Verbüßung seiner Haftstrafe ohne gerichtliche Anordnung in der Sicherungsverwahrung untergebracht war, da während dieses Zeitraums noch keine Entscheidung über die Notwendigkeit der Vollstreckung der Maßregel getroffen war. Der Gerichtshof zeigte sich bereit anzuerkennen, dass dieser Umstand nach deutschem Recht zulässig war. So hatten die deutschen Gerichte argumentiert, dass es ausreiche, dass das für die Strafvollstreckung zuständige Gericht mit der Untersuchung dieser Frage begonnen habe.
Allerdings hob der Gerichtshof hervor, dass nach seiner Rechtsprechung die Zügigkeit, mit der die Gerichte nach dem Ablauf einer Haftanordnung eine neue Anordnung erlassen, einer der entscheidenden Gesichtspunkte zur Beurteilung der Frage ist, ob eine Freiheitsentziehung – ungeachtet ihrer Vereinbarkeit mit dem innerstaatlichen Recht – als willkürlich gelten muss. Nichts wies darauf hin, dass Jakob Schönbrod zu den Verzögerungen im Verfahren beigetragen hatte, aufgrund derer ihm für einen erheblichen Zeitraum ohne gerichtliche Anordnung die Freiheit entzogen worden war. Für diese Verzögerungen waren vielmehr das zuständige Gericht und die Staatsanwaltschaft verantwortlich. Angesichts dieser Überlegungen kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Unterbringung Jakob Schönbrods in der Sicherungsverwahrung nach der Verbüßung seiner Haftstrafe im Juni 2005 und bis zur gerichtlichen Anordnung der Sicherungsverwahrung im März 2006 als willkürlich gelten musste und somit gegen Artikel 5 § 1 verstieß.
Gemäß Artikel 41 (gerechte Entschädigung) entschied der Gerichtshof, dass Deutschland Jakob Schönbrod 5.000 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden sowie 1.015,96 Euro für die entstandenen Kosten zu zahlen hat.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 24.11.2011
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ra-online