18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen auf azurblauem Grund die zwölf goldenen Sterne, wie sie auch in der Europaflagge zu finden sind, wobei in der Mitte ein Paragraphenzeichen zu sehen ist.
ergänzende Informationen

Gerichtshof der Europäischen Union Urteil27.02.2014

Asylbewerbern gewährte Geldleistungen müssen für Wohnungsmiete auf dem privaten Wohnungsmarkt ausreichenFinanzielle Unterstützung muss für menschen­würdiges Leben ausreichen

Geldleistungen, die Asylbewerbern gewährt werden, muss diese in die Lage versetzen, gegebenenfalls auf dem privaten Wohnungsmarkt eine Unterkunft zu finden. Die finanzielle Unterstützung kann von Einrichtungen des Sozia­l­hil­fe­systems geleistet werden, sofern diese die unions­recht­lichen Mindestnormen im Bereich der materiellen Aufnah­me­be­din­gungen beachten. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 11. Oktober 2010 stellte die Familie Saciri einen Asylantrag in Belgien. Am selben Tag teilte ihr die Föderalagentur für die Aufnahme von Asylbewerbern (Fedasil) mit, dass sie ihr keine Aufnah­me­struktur anbieten könne, und verwies sie an das Öffentliche Sozia­l­hil­fe­zentrum Diest (ÖSHZ) weiter. Nachdem die Familie Saciri keine Unterkunft hatte bekommen können, wandte sie sich an den privaten Wohnungsmarkt. Da sie nicht in der Lage war, die Miete zu begleichen, stellte sie beim ÖSHZ einen Antrag auf finanzielle Unterstützung, die ihr mit der Begründung verweigert wurde, dass die von der Fedasil bereit­ge­stellten Aufnah­me­strukturen für sie zuständig seien.

Unterbringung muss ggf. laut EU-Richtlinie in Form von Geldleistungen oder Gutscheinen gewährt werden

Die belgische Justiz verurteilte die Fedasil daraufhin, der Familie Saciri Aufnahme zu gewähren (was am 21. Januar 2011 geschah) und ihr einen Betrag von knapp 3.000 Euro für die drei Monate zu zahlen, in denen sie nicht von der Fedasil hatte untergebracht werden können. Eine Richtlinie der Union* bestimmt nämlich, dass die Unterbringung (nebst anderen materiellen Aufnah­me­be­din­gungen), wenn sie nicht als Sachleistung gewährt wird, in Form von Geldleistungen oder Gutscheinen gewährt werden muss. Hinsichtlich des Zeitraums, in dem die Familie weder eine Unterkunft als Sachleistung noch eine Geldleistung erhielt, die ihre Miete deckte (Oktober 2010 bis Januar 2011), legten die Fedasil und die Familie Saciri beim Arbeidshof te Brussel (Brüssel) Rechtsmittel ein.

Nationales Gericht erbittet Entscheidung über Zeitpunkt und Höhe der zu gewährenden Mittel

Das Gericht legt daraufhin dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen vor. In erster Linie möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Mitgliedstaat, der die materiellen Aufnah­me­be­din­gungen in Form von Geldleistungen (und nicht als Sachleistungen) gewährt, verpflichtet ist, sie ab Stellung des Asylantrags zu gewähren, und ob er dafür sorgen muss, dass die Leistungen hoch genug sind, damit die Asylbewerber eine Unterkunft finden können.

Materielle Aufnah­me­be­din­gungen sind mit Stellung des Asylantrags zu gewähren

Hierzu weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Zeitraum, in dem die materiellen Aufnah­me­be­din­gungen gewährt werden müssen, mit der Stellung des Asylantrags beginnt, wie aus dem Wortlaut, der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Richtlinie hervorgeht.

Mitgliedstaat muss materielle Aufnah­me­be­din­gungen den besonderen Bedürfnissen des Antragstellers anpassen

Außerdem entnimmt der Gerichtshof der Richtlinie, dass die finanzielle Unterstützung für ein menschen­würdiges Leben ausreichen muss, bei dem die Gesundheit und der Lebensunterhalt der Asylbewerber gewährleistet sind, wobei der Mitgliedstaat die materiellen Aufnah­me­be­din­gungen den besonderen Bedürfnissen des Antragstellers anzupassen hat, um insbesondere die familiäre Gemeinschaft zu bewahren und dem Wohl des Kindes Rechnung zu tragen (die Leistung muss also so hoch sein, dass minderjährige Kinder bei ihren Eltern wohnen können). Wird die Unterbringung nicht als Sachleistung gewährt, muss die Geldleistung gegebenenfalls den Asylbewerber in die Lage versetzen, eine Unterkunft auf dem privaten Wohnungsmarkt zu finden; der Asylbewerber kann diese Unterkunft allerdings nicht nach seinen persönlichen Vorlieben wählen.

Vollauslastung der Aufnahmenetze rechtfertigt keinerlei Abweichung von den in der Richtlinie vorgesehenen Mindestnormen für Asylbewerber

Das vorlegende Gericht fragt ferner, ob die Mitgliedstaaten Asylbewerber im Fall der Vollauslastung der Unter­brin­gungs­strukturen auf Einrichtungen des allgemeinen Sozia­l­hil­fe­systems weiterverweisen dürfen. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass die Geldleistungen von solchen Einrichtungen ausgezahlt werden können, sofern diese dafür sorgen, dass die in der Richtlinie vorgesehenen Mindestnormen für Asylbewerber beachtet werden. Die Vollauslastung der Aufnahmenetze rechtfertigt mit anderen Worten keinerlei Abweichung von diesen Normen.

Erläuterungen
* Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31, S. 18).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil17767

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI