15.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil28.06.2012

Italienische Apotheker benötigen für Arznei­mit­tel­groß­handel GenehmigungAuslegung des Unionsrechts kann strafrechtliche Verant­wort­lichkeit eines ohne Genehmigung tätigen Apothekers nicht begründen oder verstärken

Ein Apotheker, der nach dem nationalen Recht auch zur Ausübung einer Tätigkeit als Arznei­mit­tel­groß­händler befugt ist, bedarf nach dem Unionsrecht einer Genehmigung für den Arznei­mit­tel­groß­handel. Diese Auslegung des Unionsrechts kann jedoch nicht für sich allein – unabhängig von Rechts­vor­schriften eines Mitgliedstaats – die strafrechtliche Verant­wort­lichkeit eines Apothekers, der ohne diese Genehmigung als Großhändler tätig geworden ist, begründen oder verschärfen. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Die Richtlinie zur Schaffung eines Gemein­schafts­kodexes für Humana­rz­nei­mittel* regelt u. a. den Großhandel mit Arzneimitteln. Sie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten den Großhandel mit Arzneimitteln vom Besitz einer Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Arznei­mit­tel­groß­händlers abhängig machen, selbst wenn zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit befugte Personen nach den einzel­staat­lichen Rechts­vor­schriften gleichzeitig die Tätigkeit eines Arznei­mit­tel­groß­händlers ausüben dürfen.

Italienisches Recht setzt für Arznei­mit­tel­groß­handel durch Region oder Provinz erteilte Genehmigung voraus

Nach dem italienischen Recht dürfen Apotheker und Apothe­ken­ge­sell­schaften, die Inhaber einer Apotheke sind, unter bestimmten Voraussetzungen die Tätigkeit eines Arznei­mit­tel­groß­händlers ausüben. Nach diesem Recht ist für den Arznei­mit­tel­groß­handel der Besitz einer durch die Region oder die autonome Provinz erteilten Genehmigung erforderlich. Jeder Verstoß gegen die nationalen Rechts­vor­schriften wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe von 10.000 bis 100.000 Euro bestraft.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Vereinbarkeit nationaler Regelungen mit Unionsrecht zur Abgabe von Arzneimitteln

Gegen einige Apotheker wurde in Italien Strafanzeige gestellt wegen Ausübung der Tätigkeit eines Arznei­mit­tel­groß­händlers ohne Genehmigung. Im Rahmen eines gegen Herrn Caronna eingeleiteten Strafverfahrens fragt das Tribunale di Palermo (erstin­sta­nz­liches Gericht von Palermo, Italien) den Gerichtshof, ob das in der Richtlinie vorgesehene Erfordernis einer Genehmigung für den Großhandel mit Arzneimitteln für Apotheker gilt, die als natürliche Personen nach dem nationalen Recht bereits zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit befugt sind. Der Gerichtshof wird außerdem gefragt, ob Apotheker sämtlichen Anforderungen genügen müssen, die ein Arznei­mit­tel­groß­händler erfüllen muss, oder ob es genügt, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, die im nationalen Recht für den Arznei­mit­te­lein­zel­handel vorgeschrieben sind.

Großhandel mit Arzneimitteln ist von Sonder­ge­neh­migung abhängig

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Richtlinie (Art. 77) den Mitgliedstaaten eine allgemeine Verpflichtung auferlegt, den Großhandel mit Arzneimitteln von einer Sonder­ge­neh­migung abhängig zu machen; diese Verpflichtung gilt auch für Personen, die zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigt oder befugt sind, wenn sie auch die Tätigkeit eines Arznei­mit­tel­groß­händlers ausüben dürfen.

Apotheker müssen gemäß EU-Richtlinie vorgesehene Genehmigung für Vertrieb von Arzneimitteln über Großhandel einholen

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Apotheker zu der weiter gefassten Kategorie der zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit ermächtigten oder befugten Personen gehören und, wenn sie nach dem nationalen Recht Arzneimittel über den Großhandel vertreiben dürfen, zuvor diese in der Richtlinie vorgesehene Genehmigung einholen müssen.

Apotheker ohne Großhan­del­s­tä­tigkeit bedürfen keiner gesonderten Genehmigung zur Abgabe von Arzneimitteln

Aus der Richtlinie ergibt sich, dass Apotheker und zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit befugte Personen, die nur diese Tätigkeit ausüben, vom Erfordernis der Genehmigung für den Großhandel mit Arzneimitteln befreit sind. Folglich gilt das in der Richtlinie vorgesehene Erfordernis einer Genehmigung für den Großhandel mit Arzneimitteln für Apotheker, die als natürliche Personen nach dem nationalen Recht befugt sind, auch eine Tätigkeit als Arznei­mit­tel­groß­händler auszuüben.

Bedingungen für Abgabe von Arzneimitteln auf Unionsebene nicht harmonisiert

Der Gerichtshof weist anschließend darauf hin, dass die Bedingungen für die Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit derzeit auf Unionsebene nicht harmonisiert sind und dass sich folglich die Regelung über den Einzel­han­dels­vertrieb von Arzneimitteln von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheidet.

Bedingungen für Arznei­mit­te­lein­zel­handel nicht mit Bedingungen für Arznei­mit­tel­groß­handel gleichsetzbar

Die Minde­st­an­for­de­rungen, die für den Arznei­mit­tel­groß­handel erfüllt sein müssen, sind hingegen durch die Richtlinie harmonisiert worden**. Die Erfüllung der vorge­schriebenen Bedingungen unterliegt während der gesamten Geltungsdauer der Genehmigung einer Kontrolle.

Da der Arznei­mit­te­lein­zel­handel andere Merkmale aufweist als der Arznei­mit­tel­groß­handel, lässt sich nicht aufgrund des bloßen Umstands, dass die von den Mitgliedstaaten für den Einzelhandel festgelegten Bedingungen erfüllt sind, annehmen, dass auch die nach den auf Unionsebene harmonisierten Vorschriften für den Großhandel vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind.

Minde­st­an­for­de­rungen für Arznei­mit­tel­groß­handel müssen in allen Mitgliedstaaten in einheitlicher Weise erfüllt werden

Um die Erreichung der Richt­li­ni­enziele – insbesondere Ziele des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Beseitigung der Hindernisse für den Handel mit Arzneimitteln innerhalb der Union und der Kontrolle des gesamten Großhan­dels­ver­trie­bs­netzes im Arznei­mit­tel­bereich – sicherzustellen, müssen die Minde­st­an­for­de­rungen für den Arznei­mit­tel­groß­handel daher in allen Mitgliedstaaten in einheitlicher Weise erfüllt werden.

Dies schließt jedoch nicht die Möglichkeit aus, dass eine nationale Behörde bei der Erteilung von Genehmigungen für den Arznei­mit­tel­groß­handel an Apotheker eine eventuell bestehende Gleich­wer­tigkeit mit den nach dem nationalen Recht für den Einzelhandel vorgesehenen Bedingungen berücksichtigt.

Richtlinie darf nicht dazu dienen, strafrechtliche Verant­wort­lichkeit bei Verstößen festzulegen oder zu verschärfen

Der Gerichtshof untersucht sodann die Auswirkung dieser Antwort auf die strafrechtliche Verant­wort­lichkeit von Herrn Caronna. Er weist darauf hin, dass die nationalen Gerichte zwar die Auslegung des inner­staat­lichen Rechts am Zweck einer Richtlinie ausrichten müssen, diese Verpflichtung im Bereich des Strafrechts jedoch gewissen Grenzen unterliegt. Eine Richtlinie kann daher nicht die Wirkung haben, die strafrechtliche Verant­wort­lichkeit derjenigen, die gegen die Vorschriften dieser Richtlinie verstoßen, festzulegen oder zu verschärfen.

Nationales Gericht muss sich gegebenenfalls an Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ halten

Sollte das vorlegende Gericht zu dem Schluss gelangen, dass das nationale Recht in der auf den Sachverhalt dieser Rechtssache anwendbaren Fassung nicht bestimmte, dass Apotheker für den Arznei­mit­tel­groß­handel einer Sonder­ge­neh­migung bedürfen, und keine strafrechtliche Verant­wort­lichkeit der Apotheker vorsah, so verbietet der Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“***, ein solches Verhalten strafrechtlich zu sanktionieren, und zwar auch dann, wenn die nationale Regelung unions­rechts­widrig sein sollte.

Erläuterungen
Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemein­schafts­kodexes für Humana­rz­nei­mittel (ABl. L 311, S. 67).

** Es handelt sich u. a. um die Anforderungen in Bezug auf geeignete Räumlichkeiten, Anlagen und Einrichtungen sowie qualifiziertes Personal, um eine ordnungsgemäße Lagerung und einen ordnungsgemäßen Vertrieb der Arzneimittel zu gewährleisten, und um die Anforderungen in Bezug auf Unterlagen über Ein- und Ausgänge, die Lieferung von Arzneimitteln und die Beachtung guter Vertrie­b­spraktiken.

*** Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 49 Abs. 1).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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