21.11.2024
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Dokument-Nr. 6689

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil16.09.2008

EuGH zu den Bedingungen für die Beschränkung von Arznei­mit­tel­par­a­l­le­lim­porten

Ein pharma­zeu­tisches Unternehmen in beherrschender Stellung nutzt diese Stellung missbräuchlich aus, wenn es sich weigert, normale Bestellungen von Großhändlern auszuführen, um Parallelexporte zu verhindern. Ob die Bestellungen normal sind, ist im Verhältnis zum Bedarf des betroffenen nationalen Marktes sowie zu den früheren Geschäfts­be­zie­hungen zu bestimmen. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Die GlaxoSmithKline AEVE ist die griechische Tochter­ge­sell­schaft der GlaxoSmithKline plc, einer im Vereinigten Königreich nieder­ge­lassenen Gesellschaft, die pharmazeutische Forschung betreibt und pharmazeutische Erzeugnisse herstellt. Sie befasst sich mit der Einfuhr, der Lagerung und dem Vertrieb der vom GSK Konzern in Griechenland gelieferten pharma­zeu­tischen Erzeugnisse. Sie ist daher im griechischen Hoheitsgebiet Inhaberin der Genehmigung für das Inver­kehr­bringen bestimmter verschrei­bungs­pflichtiger Arzneimittel.

Bestellungen griechischer Großhändler wurden nicht mehr ausgeführt

Im November 2000 führte die GSK AEVE die Bestellungen der griechischen Großhändler, die diese Arzneimittel kaufen, um sie auf dem Inlandsmarkt zu vertreiben und sie in andere Mitgliedstaaten zu exportieren, nicht mehr aus. Sie berief sich auf eine Knappheit dieser Erzeugnisse, für die sie nicht verantwortlich sei, änderte ihr Vertriebssystem und begann, diese Arzneimittel den griechischen Krankenhäusern und Apotheken selbst zu liefern.

Im Laufe des Monats Februar 2001 lieferte die GSK AEVE, da sich ihrer Auffassung nach die Versorgung des griechischen Marktes zu einem gewissem Grad normalisiert hatte und die Lagerbestände wieder aufgefüllt worden waren, erneut begrenzte Arznei­mit­tel­mengen an die Großhändler.

Großhändler und Apotheker riefen griechische Wettbe­wer­bs­kom­mission an

In der Folge riefen diese Großhändler sowie einige griechische Apotheker- und Großhänd­ler­ver­ei­ni­gungen die griechische Wettbe­wer­bs­kom­mission (Epitropi Antagonismou) an und beantragten die Feststellung, dass die von der GSK AEVE und der GSK plc verfolgte Politik beim Verkauf der Arzneimittel einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstelle, die diese Gesellschaften auf den betroffenen Arznei­mit­tel­märkten innehätten.

EuGH erklärte sich für unzuständig

Mit Urteil vom 31. Mai 2005 hat der Gerichtshof entschieden, dass er für die Beantwortung der von der Epitropi Antagonismou vorgelegten Fragen nicht zuständig ist, weil diese keinen Gericht­s­cha­rakter im Sinne von Art. 234 EG hat.

In der Zwischenzeit erhoben die Großhändler Klagen und machten geltend, dass die Verkaufspolitik der GSK AEVE gegen das griechische Wettbe­wer­bsrecht und das Wettbe­wer­bsrecht der Gemeinschaft verstoße. Das Efeteio Athinon (Berufungs­gericht Athen), bei dem die Rechtssache anhängig ist, ist der Auffassung, dass es eine Antwort auf die von der Epitropi Antagonismou vorgelegten Fragen benötige, und hat den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit der streitigen Praktiken mit den gemein­schafts­recht­lichen Vorschriften gefragt. Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass es einem Unternehmen verboten ist, seine beherrschende Stellung missbräuchlich auszunutzen, da dies unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt ist, soweit es dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese missbräuch­lichen Praktiken können insbesondere in der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher bestehen.

Parallelexporte sollen verhindert werden

Der Gerichtshof stellt fest, dass die GSK AEVE im vorliegenden Fall mit ihrer Weigerung, die Bestellungen der griechischen Großhändler auszuführen, darauf abzielt, die von diesen getätigten Parallelexporte in die Märkte anderer Mitgliedstaaten, in denen die Verkaufspreise der Arzneimittel höher sind, einzuschränken.

Anschließend prüft der Gerichtshof, ob es im Sektor der pharma­zeu­tischen Erzeugnisse besondere Umstände gibt, die die Weigerung, die Bestellungen auszuführen, im Allgemeinen rechtfertigen könnten.

Zunächst stellt der Gerichtshof fest, dass Parallelexporte von Arzneimitteln aus einem Mitgliedstaat, in dem die Preise niedriger sind, in andere Mitgliedstaaten, in denen die Preise höher sind, den Käufern dieser Arzneimittel in den letztgenannten Staaten grundsätzlich ermöglichen, über eine alternative Versor­gungs­quelle zu Preisen zu verfügen, die niedriger sind als die von den Pharma­un­ter­nehmen angewandten Preise. Es kann daher nicht behauptet werden, dass die Parallelexporte nur einen ganz geringen Nutzen für die Endverbraucher hätten. Anschließend untersucht der Gerichtshof die eventuellen Auswirkungen der staatlichen Reglementierung der Arznei­mit­tel­preise auf die Beurteilung der Missbräuch­lichkeit der Liefer­ver­wei­gerung. Der Gerichtshof stellt fest, dass die von bestimmten Mitgliedstaaten ausgeübte Kontrolle über die Verkaufspreise oder die Höhe der Erstattung von Arznei­mit­tel­kosten diese Preise dem Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht vollständig entzieht. Zwar kann der Grad der Preis­re­gle­men­tierung im Sektor der pharma­zeu­tischen Erzeugnisse daher die Anwendung der gemein­schaft­lichen Wettbe­wer­bs­regeln nicht ausschließen, doch ist bei den Mitgliedstaaten, die ein Preis­fest­set­zungs­system kennen, der staatliche Eingriff einer der Faktoren, der Gelegenheiten für den Parallelhandel eröffnet. Außerdem dürfen die Wettbe­wer­bs­regeln nicht dahin ausgelegt werden, dass die einzige Wahl, die einem Pharma­un­ter­nehmen in beherrschender Stellung bei der Verteidigung seiner eigenen geschäftlichen Interessen bleibt, darin besteht, seine Arzneimittel in einem Mitgliedstaat, in dem deren Preise auf einem verhältnismäßig niedrigen Niveau festgesetzt sind, überhaupt nicht zu vermarkten.

Umfang der aufgegebenen Bestellungen muss verhältnismäßig sein

Daraus folgt, dass der Grad der Reglementierung zwar einer Weigerung eines Pharma­un­ter­nehmens in beherrschender Stellung, die an dieses Unternehmen gerichteten Bestellungen von im Parallelexport tätigen Großhändlern auszuführen, ihren missbräuch­lichen Charakter nicht nehmen kann, dass ein solches Unternehmen jedoch in der Lage sein muss, angemessene und der Notwendigkeit, seine eigenen geschäftlichen Interessen zu schützen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Für die Beurteilung der Angemessenheit und der Verhält­nis­mä­ßigkeit der Maßnahmen ist zu ermitteln, ob die von den Großhändlern aufgegebenen Bestellungen anormal sind.

Schließlich untersucht der Gerichtshof die Auswirkungen der staatlichen Regelung der Arznei­mit­tel­ver­sorgung und insbesondere das von der GSK AEVE vorgebrachte Argument, wonach die Parallelexporte vornehmenden Unternehmen nicht den gleichen Vertriebs- und Lager­ver­pflich­tungen unterworfen seien wie die Pharma­un­ter­nehmen und daher die Planung der Herstellung und des Vertriebs der Arzneimittel stören könnten.

In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass dann, wenn der Parallelhandel tatsächlich zu einem Arznei­mit­tel­mangel auf einem bestimmten nationalen Markt führen würde, es Sache der zuständigen nationalen Stellen und nicht der Unternehmen in beherrschender Stellung ist, diesen Fall durch den Erlass geeigneter und verhält­nis­mäßiger Maßnahmen zu regeln. Jedoch muss ein Hersteller in der Lage sein, seine eigenen geschäftlichen Interessen zu schützen, wenn er sich Bestellungen anormaler Mengen gegenübersieht.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu bestimmen, ob die Bestellungen in Anbetracht der früheren Geschäfts­be­zie­hungen des Pharma­un­ter­nehmens mit den betroffenen Großhändlern und des Umfangs der Bestellungen im Verhältnis zum Bedarf des betreffenden Mitgliedstaats normal sind.

Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass ein Unternehmen mit einer beherrschenden Stellung auf dem Arznei­mit­telmarkt, das sich zur Verhinderung von Paral­le­l­ex­porten weigert, normale Bestellungen auszuführen, seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 65/08 des EuGH vom 16.09.2008

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