21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil11.09.2018

Kündigung durch katholischen Arbeitgeber wegen erneuter Heirat kann Diskriminierung darstellenAnforderung an katholischen Chefarzt zur Beachtung des eiligen und unauflöslichen Charakters der Ehe scheint keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung

Die Kündigung eines katholischen Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus wegen erneuter Eheschließung nach Scheidung kann eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellen. Die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheint nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung, worüber im vorliegenden Fall jedoch das deutsche Bundes­arbeits­gericht zu befinden hat.

JQ ist katholischer Konfession und arbeitete als Chefarzt der Abteilung "Innere Medizin" eines Krankenhauses, das von IR, einer der Aufsicht des katholischen Erzbischofs von Köln unterliegenden deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben wird.

Arbeitgeber spricht nach Wiederheirat Kündigung aus

Als IR erfuhr, dass JQ nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau, mit der er nach katholischem Ritus verheiratet war, erneut standesamtlich geheiratet hatte, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt worden wäre, kündigte sie ihm. Ihrer Ansicht nach hat JQ durch Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe in erheblicher Weise gegen seine Loyali­täts­ob­lie­gen­heiten aus seinem Dienstvertrag verstoßen.

Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe stellt schwerwiegenden Verstoß gegen Loyali­täts­ob­lie­gen­heiten dar

Der Dienstvertrag verweist auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeits­ver­hältnisse (GrO 1993)*, die vorsieht, dass die Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe durch einen leitend tätigen katholischen Beschäftigten einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Loyali­täts­ob­lie­gen­heiten darstellt und seine Kündigung rechtfertigt. Nach dem Ethos der katholischen Kirche hat die kirchliche Eheschließung einen heiligen und unauflöslichen Charakter. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das deutsche Grundgesetz Kirchen und alle ihnen zugeordneten Einrichtungen ein Selbst­be­stim­mungsrecht verleiht, das es ihnen erlaubt, ihre Angelegenheiten innerhalb bestimmter Grenzen selbständig zu verwalten.

Arbeitnehmer sieh in Kündigung Verstoße gegen Gleich­be­hand­lungs­grundsatz

JQ hat hiergegen die deutschen Arbeitsgerichte angerufen und geltend gemacht, dass seine erneute Eheschließung kein gültiger Kündigungsgrund sei. Die Kündigung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da nach der GrO 1993 die Wiederheirat eines evangelischen oder konfes­si­onslosen Chefarztes der Abteilung keine Folgen für dessen Arbeits­ver­hältnis mit IR gehabt hätte.

BAG erbittet Auslegung der Gleich­be­hand­lungs­richtlinie durch EuGH

In diesem Kontext ersucht das Bundes­a­r­beits­gericht den Gerichtshof um Auslegung der Gleich­be­hand­lungs­richt­linie**, nach der es grundsätzlich verboten ist, einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung zu diskriminieren, es Kirchen und anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltan­schauungen beruht, aber unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist, von ihren Beschäftigten zu verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos verhalten.

Religion muss im Hinblick auf betreffende berufliche Tätigkeit wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung sein

Mit seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass der Beschluss einer Kirche oder einer anderen Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltan­schauungen beruht und die eine (in Form einer privat­recht­lichen Kapital­ge­sell­schaft gegründete) Klinik betreibt, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfes­si­ons­lo­sigkeit unter­schiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 17.04.2018 - C-414/16 -). Bei dieser Kontrolle muss das nationale Gericht sicherstellen, dass die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des fraglichen Ethos ist.

Von katholischer Kirche befürwortetes Ehever­ständ­nisses scheint für ausgeübte berufliche Tätigkeiten keine notwendige Voraussetzung zu sein

Im vorliegenden Fall hat das Bundes­a­r­beits­gericht zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Gleichwohl weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Akzeptanz des von der katholischen Kirche befürworteten Ehever­ständ­nisses wegen der Bedeutung der von JQ ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, nämlich Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus und Leitung der Abteilung "Innere Medizin" als Chefarzt, für die Bekundung des Ethos von IR nicht notwendig zu sein scheint. Sie scheint somit keine wesentliche Anforderung der beruflichen Tätigkeit zu sein, was dadurch erhärtet wird, dass ähnliche Stellen Beschäftigten anvertraut wurden, die nicht katholischer Konfession sind und folglich nicht derselben Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos von IR zu verhalten, unterworfen waren.

Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass in Anbetracht der ihm vorgelegten Akte die in Rede stehende Anforderung nicht als gerechtfertigt erscheint. Das Bundes­a­r­beits­gericht hat jedoch zu prüfen, ob in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falls IR dargetan hat, dass die Gefahr einer Beein­träch­tigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist.

Nationale Gerichte müssen nationales Recht zur Umsetzung von EU-Richtlinien weitestgehend richt­li­ni­en­konform auslegen

Zu der Problematik, dass eine Unions­richtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen hat, sondern einer Umsetzung in nationales Recht bedarf, weist der Gerichtshof darauf hin, dass die nationalen Gerichte das nationale Recht zur Umsetzung der Richtlinie so weit wie möglich richt­li­ni­en­konform auszulegen haben.

Im Zweifelsfall muss nationales Recht unangewandt bleiben

Falls es nicht möglich sein sollte, das anwendbare nationale Recht (hier das deutsche Allgemeine Gleich­be­hand­lungs­gesetz) im Einklang mit der Gleich­be­hand­lungs­richtlinie in der Auslegung des Gerichtshofs in seinem Urteil auszulegen, stellt der Gerichtshof klar, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreits zwischen Privatpersonen anhängig ist, das nationale Recht unangewandt zu lassen hat.

Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion hat zwingenden Charakter

Der Gerichtshof stellt insoweit fest, dass das nunmehr in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter hat und schon für sich allein dem Einzelnen ein Recht verleiht, das er in einem Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen kann.

Erläuterungen

* Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeits­ver­hältnisse vom 22. September 1993 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 222).

** Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleich­be­handlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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