21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss22.10.2014

Vertraglich vereinbarte Loyalitäts­obliegen­heiten nur eingeschränkt durch staatliche Gerichte überprüfbarStaatliche Gerichte dürfen sich nicht über das kirchliche Selbst­ver­ständnis hinwegsetzen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat ein Urteil des Bundes­arbeits­gerichts aufgehoben, das die Kündigung eines Chefarztes im Krankenhaus eines katholischen Trägers nach dessen Wieder­ver­hei­ratung für unwirksam erklärt hatte. In dieser Entscheidung bestätigt und konkretisiert das Bundes­verfassungs­gericht seine bisherige Rechtsprechung. Welche kirchlichen Grund­verpflichtungen als Gegenstand eines Arbeits­verhält­nisses bedeutsam sein können, richtet sich demzufolge allein nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben und dem konkreten Inhalt des Arbeitsvertrags. Die staatlichen Gerichte dürfen sich nicht über das kirchliche Selbst­ver­ständnis hinwegsetzen, solange dieses nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungs­recht­lichen Gewähr­leis­tungen steht. Erst auf einer zweiten Prüfungsstufe sind die Grundrechte der betroffenen Arbeitnehmer und deren durch das allgemeine Arbeitsrecht geschützte Interessen mit den kirchlichen Belangen und der korporativen Religi­o­ns­freiheit im Rahmen einer Gesamtabwägung zum Ausgleich zu bringen. Der Verfassungs­beschwerde des katholischen Kranken­haus­trägers hat das Bundes­verfassungs­gericht stattgegeben und das Verfahren an das Bundes­arbeits­gericht zurückverwiesen, da Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbst­bestimmungs­rechts bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist kirchliche Trägerin eines katholischen Krankenhauses. Seit dem 1. Januar 2000 beschäftigt sie den Kläger des Ausgangs­ver­fahrens als Chefarzt der Abteilung Innere Medizin, der zu diesem Zeitpunkt nach katholischem Ritus in erster Ehe verheiratet war. Ende 2005 trennten sich die Ehepartner. Zwischen 2006 und 2008 lebte der Kläger mit einer neuen Lebensgefährtin zusammen; dies war dem damaligen Geschäftsführer der Beschwer­de­führerin spätestens seit Herbst 2006 bekannt. Anfang 2008 wurde die erste Ehe des Klägers nach staatlichem Recht geschieden. Im August 2008 heiratete der Kläger seine Lebensgefährtin standesamtlich. Hiervon erfuhr die Beschwer­de­führerin im November 2008. In der Folgezeit fanden zwischen der Beschwer­de­führerin und dem Kläger mehrere Gespräche über die Auswirkungen seiner zweiten Heirat auf den Fortbestand des Arbeits­ver­hält­nisses statt. Im März 2009 kündigte die Beschwer­de­führerin das Arbeits­ver­hältnis ordentlich zum 30. September 2009.

Arbeitsgericht: Arbeits­ver­hältnis nicht durch Kündigung aufgelöst

Hiergegen erhob der Kläger Kündi­gungs­schutzklage. Mit Urteil vom 30. Juli 2009 stellte das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeits­ver­hältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst worden sei und verurteilte die Beschwer­de­führerin zur Weiter­be­schäf­tigung des Klägers. Berufung und Revision der Beschwer­de­führerin blieben im Ergebnis ohne Erfolg.

Selbst­be­stim­mungsrecht und Selbst­ver­ständnis der Religi­o­ns­ge­sell­schaften ist besonderes Gewicht zuzumessen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht begründete seine Entscheidung wie folgt: Soweit sich die Schutzbereiche der Glaubens­freiheit und der inkorporierten Artikel der Weimarer Reichs­ver­fassung überlagern, geht Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV als speziellere Norm Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit vor, als er das Selbstbestimmungsrecht der Religi­o­ns­ge­sell­schaften der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterwirft (sogenannte Schran­ken­spe­zi­alität). Bei der Anwendung des für „alle geltenden Gesetzes“ (vgl. Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV) durch die staatlichen Gerichte ist bei Ausgleich gegenläufiger Interessen aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religi­o­ns­freiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbst­be­stim­mungsrecht und dem Selbst­ver­ständnis der Religi­o­ns­ge­sell­schaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.

Staat hat Eigen­stän­digkeit der kirchlichen Rechtsordnung zu respektieren

Aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4, 137 Abs. 1 WRV, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 2 GG folgt eine Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität, die Grundlage des modernen, freiheitlichen Staates ist. Diese verwehrt es dem Staat, Glauben und Lehre einer Kirche oder Religi­o­ns­ge­mein­schaft als solche zu bewerten. Die Eigen­stän­digkeit der kirchlichen Rechtsordnung hat er zu respektieren.

Kirchen können Dienst­ver­hältnisse begründen und nach ihrem Selbst­ver­ständnis ausgestalten

Träger des kirchlichen Selbst­be­stim­mungs­rechts sind nicht nur die Kirchen selbst, sondern alle ihr zugeordneten Institutionen, Gesellschaften, Organisationen und Einrichtungen, wenn und soweit sie nach dem glaubens­de­fi­nierten Selbst­ver­ständnis der Kirchen entsprechend ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe berufen sind, Auftrag und Sendung der Kirchen wahrzunehmen und zu erfüllen. Dies gilt unbeschadet der Rechtsform der einzelnen Einrichtung auch dann, wenn der kirchliche Träger sich privat­recht­licher Organi­sa­ti­o­ns­formen bedient. Die Kirchen können die jedermann offen stehenden privatautonomen Gestal­tungs­formen nutzen, Dienst­ver­hältnisse begründen und nach ihrem Selbst­ver­ständnis ausgestalten. Ganz überwiegend der Gewinnerzielung dienende Organisationen und Einrichtungen können das Privileg der Selbst­be­stimmung allerdings nicht in Anspruch nehmen, da bei ihnen der enge Konnex zum glaubens­de­fi­nierten Selbst­ver­ständnis aufgehoben ist.

Religi­o­ns­ausübung umfasst nach dem Selbst­ver­ständnis der christlichen Kirchen nicht nur Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes

Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Dieses beinhaltet neben der Freiheit des Einzelnen zum privaten und öffentlichen Bekenntnis seiner Religion oder Weltanschauung auch die Freiheit, sich mit anderen aus gemeinsamem Glauben oder gemeinsamer weltan­schau­licher Überzeugung zusam­men­zu­schließen. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative Ausübung von Religion und Weltanschauung anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der „Religi­o­ns­ausübung“ durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden. Nach dem Selbst­ver­ständnis der christlichen Kirchen umfasst die Religi­o­ns­ausübung nicht nur den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern auch die Freiheit zur Entfaltung und Wirksamkeit des christlichen Sendungs­auf­trages in Staat und Gesellschaft. Dazu gehört insbesondere das karitative Wirken.

Arbeits- und Kündi­gungs­schutz­gesetze sind zugunsten der kirchlichen Selbst­be­stimmung auszulegen

Zu dem „für alle geltenden Gesetz“ im Sinne des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV, unter dessen Vorbehalt die inhaltliche Gestal­tungs­freiheit des kirchlichen Arbeitgebers für die auf Vertragsebene begründeten Arbeits­ver­hältnisse steht, zählen die Regelungen des allgemeinen Kündi­gungs­schutzes. Die in diesen Vorschriften enthaltenen Generalklauseln bedürfen der Ausfüllung im konkreten Einzelfall. Arbeits- und Kündi­gungs­schutz­gesetze sind einerseits im Lichte der verfas­sungs­recht­lichen Wertent­scheidung zugunsten der kirchlichen Selbst­be­stimmung auszulegen; andererseits darf dies nicht dazu führen, dass Schutzpflichten des Staates gegenüber den Arbeitnehmern (Art. 12 Abs. 1 GG) und die Sicherheit des Rechtsverkehrs vernachlässigt werden.

Staatliche Gerichte dürfen sich nur bei Widerspruch zu grundlegenden verfas­sungs­recht­lichen Gewähr­leis­tungen über kirchliche Maßstäbe des Arbeitsvertrags hinwegsetzen

Die staatlichen Gerichte haben auf einer ersten Prüfungsstufe zunächst im Rahmen einer Plausi­bi­li­täts­kon­trolle auf der Grundlage des glaubens­de­fi­nierten Selbst­ver­ständ­nisses der verfassten Kirche zu überprüfen, ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat, ob eine bestimmte Loyali­täts­ob­lie­genheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyali­täts­ob­lie­genheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbst­ver­ständnis zukommt. Dabei dürfen sie die Eigenart des kirchlichen Dienstes - das kirchliche Proprium - nicht außer Acht lassen. Welche kirchlichen Grund­ver­pflich­tungen als Gegenstand des Arbeits­ver­hält­nisses bedeutsam sein können, richtet sich alleine nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben. Die staatlichen Gerichte dürfen sich nicht über sie hinwegsetzen, solange sie nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfas­sungs­recht­lichen Gewähr­leis­tungen stehen. Im Rahmen der allgemeinen Justi­z­ge­wäh­rungs­pflicht sind sie lediglich berechtigt, die Darlegungen des kirchlichen Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Zweifelsfragen haben sie durch Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden oder, falls dies ergebnislos bleibt, durch ein kirchen­recht­liches oder theologisches Sachver­stän­di­gen­gut­achten aufzuklären.

Staatliches Arbeitsrecht lässt "absolute Kündi­gungs­gründe" nicht zu

Auf einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann unter dem Gesichtspunkt der Schranken des „für alle geltenden Gesetzes“ eine Gesamtabwägung vorzunehmen. Dies setzt zunächst die positive Feststellung voraus, dass der Arbeitnehmer sich der ihm vertraglich auferlegten Loyali­täts­an­for­de­rungen und der Möglichkeit arbeits­recht­licher Sanktionierung von Verstößen bewusst war oder hätte bewusst sein müssen. In der Abwägung ist sodann ein Ausgleich der - im Lichte des Selbst­be­stim­mungs­rechts verstandenen - kirchlichen Belange und der korporativen Religi­o­ns­freiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeits­recht­lichen Schutz­be­stim­mungen enthaltenen Interessen vorzunehmen. Die kollidierenden Rechts­po­si­tionen sind - nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz - in möglichst hohem Maße zu verwirklichen. Das einschränkende arbeits­rechtliche Gesetz muss im Lichte des kirchlichen Selbst­be­stim­mungs­rechts betrachtet werden, wie umgekehrt die Bedeutung kollidierender Rechte des Arbeitnehmers im Verhältnis zum kirchlichen Selbst­be­stim­mungsrecht gewichtet werden muss. Dem Selbst­ver­ständnis der Kirche ist dabei ein besonderes Gewicht beizumessen, ohne dass die Interessen der Kirche die Belange des Arbeitnehmers dabei prinzipiell überwögen. Das staatliche Arbeitsrecht lässt „absolute Kündi­gungs­gründe“ nicht zu; eine Verab­so­lu­tierung von Rechts­po­si­tionen ist der staatlichen Rechtsordnung jenseits des Art. 1 Abs. 1 GG fremd.

Ob die Abwägung verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen entspricht, kann gegebenenfalls Gegenstand verfas­sungs­ge­richt­licher Kontrolle sein. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht ist zum Eingreifen gegenüber den Fachgerichten jedoch nur dann berufen, wenn diese tragende Elemente des kirchlichen Selbst­be­stim­mungs­rechts und der korporativen Religi­o­ns­freiheit einerseits oder Grundrechte des Arbeitnehmers andererseits verkennen.

Konven­ti­o­ns­rechtliche Neutra­li­täts­pflicht des Staates in religiösen Angelegenheiten untersagt staatlichen Stellen eigenständige Bewertung und Gewichtung von Glaubens­in­halten

Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geben insoweit keinen Anlass zu Modifikationen der Auslegung des Verfas­sungs­rechts. Art. 11 Abs. 1 EMRK in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 EMRK schützt die Kirchen und Religi­o­ns­ge­mein­schaften vor ungerecht­fer­tigten staatlichen Eingriffen im Hinblick sowohl auf religiöse als auch auf organi­sa­to­rische Fragen. Sie sind insbesondere befugt, ihren Arbeitnehmern und den die Gemeinschaft reprä­sen­tie­renden Personen ein gewisses Maß an Loyalität abzuverlangen. Das Autonomierecht der Kirchen und Religi­o­ns­ge­mein­schaften einerseits und die entge­gen­ste­henden Rechts­po­si­tionen der kirchlichen Arbeitnehmer andererseits verlangen - in Übereinstimmung mit den verfas­sungs­recht­lichen Maßstäben - eine Abwägung der wider­strei­tenden Interessen unter Berück­sich­tigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls. Die konven­ti­o­ns­rechtliche Neutra­li­täts­pflicht des Staates in religiösen Angelegenheiten untersagt den staatlichen Stellen hierbei ebenfalls eine eigenständige Bewertung und Gewichtung von Glaubens­in­halten. In bestimmten Ausnahmefällen ist der Staat hiervon entbunden, insbesondere wenn die Loyali­täts­ob­lie­genheit oder deren Gewichtung im Kündigungsfall gegen Grundprinzipien der Rechtsordnung verstößt oder wenn sie im Ergebnis zu einer offen­sicht­lichen Verletzung eines anderen Konven­ti­o­ns­rechts in seinem Kerngehalt führt.

Urteil des BAG trägt kirchlichem Selbst­be­stim­mungsrecht der Beschwer­de­führerin nicht ausreichend Rechnung

Nach diesen Maßstäben verstößt das Urteil des Bundes­a­r­beits­ge­richts vom 8. September 2011 gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, da die bei der Anwendung des § 1 Abs. 2 Kündi­gungs­schutz­gesetz (KSchG) vorgenommene Inter­es­se­n­ab­wägung dem kirchlichen Selbst­be­stim­mungsrecht der Beschwer­de­führerin nicht in dem verfas­sungs­rechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.

Der persönliche Anwen­dungs­bereich von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV ist zu Gunsten der Beschwer­de­führerin eröffnet. Zwar gehört weder die Beschwer­de­führerin noch das von ihr getragene Krankenhaus zur amtskirchlichen Organisation. In Anbetracht der vorrangig religiösen Zielsetzung ihres Handelns und ihrer insti­tu­ti­o­nellen Verbindung zur römisch-katholischen Kirche nimmt sie aber an deren kirchlichem Selbst­be­stim­mungsrecht teil. Die religiöse Dimension tritt im Fall der Beschwer­de­führerin nicht in einem Maße gegenüber rein ökonomischen Erwägungen in den Hintergrund, dass dies geeignet wäre, die Prägung durch das glaubens­de­fi­nierte Selbst­ver­ständnis in Frage zu stellen.

Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe wurde wirksamer Bestandteil des Arbeits­ver­trages

Das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe ist durch den Arbeitsvertrag sowie durch den Verweis auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeits­ver­hältnisse vom 22. September 1993 wirksam und vorhersehbar zum Inhalt des Arbeits­ver­hält­nisses geworden. Für den Kläger des Ausgangs­ver­fahrens, der als Chefarzt zur Gruppe der leitenden Mitarbeiter zählt, war bereits bei Vertragsschluss erkennbar, dass ein Loyali­täts­verstoß durch Eingehung einer zweiten Ehe im Hinblick auf den Bestand seiner nach kirchlichem Recht geschlossenen ersten Ehe im Regelfall die Kündigung seines Arbeits­ver­hält­nisses nach sich ziehen würde. Diese Loyali­täts­ob­lie­genheit ist auf grundlegende und durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Glaubenssätze der römisch-katholischen Kirche rückführbar. Auch die arbeits­rechtliche Sanktionierung von Verstößen hiergegen aufgrund der Konfession und der leitenden Stellung ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

BAG verkennt in seinem Urteil Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbst­be­stim­mungs­rechts

Das Bundes­a­r­beits­gericht hat Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbst­be­stim­mungs­rechts im Rahmen der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG verkannt. Es hat auf der ersten Stufe eine eigenständige Bewertung religiös vorgeprägter Sachverhalte vorgenommen und seine eigene Einschätzung der Bedeutung der Loyali­täts­ob­lie­genheit und des Gewichtes eines Verstoßes hiergegen an die Stelle der kirchlichen Einschätzung gesetzt, obwohl sie anerkannten kirchlichen Maßstäben entspricht und nicht mit grundlegenden verfas­sungs­recht­lichen Gewähr­leis­tungen in Widerspruch steht.

Dies betrifft zum einen die Wertung des Bundes­a­r­beits­ge­richts, dass nach der Grundordnung auch nicht­ka­tho­lische Personen mit leitenden Aufgaben betraut werden könnten und die römisch-katholische Kirche es daher offenbar nicht als zwingend erforderlich erachte, Führungs­po­si­tionen an das Lebenszeugnis für die katholische Sittenlehre zu knüpfen, sowie zum anderen den Schluss auf ein vermindertes Kündi­gungs­in­teresse aus dem Umstand, dass die Beschwer­de­führerin in der Vergangenheit mehrfach auch Chefärzte in zweiter Ehe weiter­be­schäftigt habe. Auch die Annahme des Bundes­a­r­beits­ge­richts, die Beschwer­de­führerin habe bereits seit längerem von dem ehelosen Zusammenleben des Klägers mit seiner späteren zweiten Ehefrau gewusst, was erkennen lasse, dass sie ihre Glaubwürdigkeit nicht durch jeden Loyali­täts­verstoß eines Mitarbeiters als erschüttert ansehe, setzt sich über den Maßstab der verfassten Kirche hinweg. Die schärfere Sanktionierung des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe beruht auf dem besonderen sakramentalen Charakter der Ehe und dem für das katholische Glaubens­ver­ständnis zentralen Dogma der Unauf­lös­lichkeit des gültig geschlossenen Ehebandes zu Lebzeiten.

BVerfG weist Sache zur Vornahme einer eingehenden Gesamtwürdigung zurück an das BAG

Das Bundes­a­r­beits­gericht wird bei der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG die praktische Konkordanz zwischen dem kirchlichen Selbst­be­stim­mungsrecht und der korporativen Religi­o­ns­freiheit auf Seiten der Beschwer­de­führerin und dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) sowie dem Gedanken des Vertrau­ens­schutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) auf Seiten des Klägers herzustellen haben. Bisher hat das Bundes­a­r­beits­gericht lediglich festgestellt, dass der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG zu Gunsten des Klägers und seiner zweiten Ehefrau eröffnet ist. Es hat jedoch nicht dargelegt, weshalb diese Rechts­po­si­tionen gerade im vorliegenden Fall in einem Maße tangiert sind, das es rechtfertigen würde, den Interessen des Klägers des Ausgangs­ver­fahrens den Vorrang vor den Interessen der Beschwer­de­führerin einzuräumen. Das Bundes­a­r­beits­gericht wird daher - gegebenenfalls nach Ermöglichung ergänzender Tatsa­chen­fest­stel­lungen - eine eingehende Gesamtwürdigung vorzunehmen haben. Den Gedanken des Vertrau­ens­schutzes wird es insoweit zu berücksichtigen haben, als der Arbeitsvertrag - abweichend von der Grundordnung - keine unter­schiedliche Bewertung eines Verstoßes gegen das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe und eines Verstoßes gegen das Verbot des Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft vorsieht und diese indivi­du­a­l­ver­tragliche Abrede besonderes Vertrauen des Arbeitnehmers ausgelöst haben könnte.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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