23.11.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil08.09.2011

BAG: Kündigung des Chefarztes einer katholischen Klinik wegen Wieder­ver­hei­ratung unzulässigKündigung trotz Loyali­täts­verstoß des Arztes sozial ungerecht­fertigt

Die Wieder­ver­hei­ratung eines katholischen Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus rechtfertigt nicht in jedem Fall seine ordentliche Kündigung. Zwar haben Religi­o­ns­ge­mein­schaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen das verfas­sungs­mäßige Recht, von ihren Beschäftigten ein loyales Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbst­ver­ständ­nisses verlangen zu können. Als Loyali­täts­verstoß kommt auch der Abschluss einer nach katholischem Verständnis ungültigen Ehe in Betracht. Eine Kündigung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Loyali­täts­verstoß auch bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile im Einzelfall ein hinreichend schweres Gewicht hat. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­a­r­beits­ge­richts hervor.

Der Kläger des zugrunde liegenden Rechtstreits trat im Jahr 2000 als Chefarzt in die Dienste der Beklagten, die mehrere Krankenhäuser betreibt. Der Dienstvertrag der Parteien wurde unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeits­ver­hältnisse vom 23. September 1993 (GO) geschlossen. Nach deren Art. 4 wird von den Mitarbeitern die Anerkennung und Beachtung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erwartet. Nach Art. 5 Abs. 2 GO kommt eine Kündigung aus kirchen­spe­zi­fischen Gründen bei schwerwiegenden Loyali­täts­ver­stößen in Betracht. Als ein solcher Verstoß wird auch der Abschluss einer nach dem Glaubens­ver­ständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe angesehen. Nachdem sich die erste Ehefrau des Klägers von diesem getrennt hatte, lebte der Kläger mit seiner jetzigen Frau von 2006 bis 2008 unverheiratet zusammen. Das war der Beklagten nach den Feststellungen des Landes­a­r­beits­ge­richts bekannt. Nach seiner Scheidung von der ersten Ehefrau heiratete der Kläger im Jahr 2008 seine jetzige Frau standesamtlich. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeits­ver­hältnis mit Schreiben vom 30. März 2009 ordentlich zum 30. September 2009. Die Beklagte beschäftigt auch nicht katholische, wieder­ver­hei­ratete Chefärzte. Arbeitsgericht und Landes­a­r­beits­gericht haben der Klage stattgegeben.

BAG weist Revision des Krankenhauses zurück und erklärt Kündigung für sozial ungerecht­fertigt

Das Bundes­a­r­beits­gericht wies die Revision der Beklagten mit zurück. Die Kündigung ist sozial ungerecht­fertigt iSd. § 1 KSchG. Zwar hat sich der Kläger einen Loyali­täts­verstoß zuschulden kommen lassen, dem mit Rücksicht auf das kirchliche Selbst­be­stim­mungsrecht beträchtliches Gewicht zukommt. Insgesamt überwog jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeits­ver­hält­nisses. Dabei fällt in die Waagschale, dass die Beklagte selbst sowohl in ihrer Grundordnung als auch in ihrer Praxis auf ein durchgehend und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter verzichtet. Das zeigt sich sowohl an der Beschäftigung nicht­ka­tho­lischer, wieder­ver­hei­rateter Ärzte als auch an der Hinnahme des nach dem Arbeitsvertrag an sich untersagten Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft von 2006 bis 2008. Zu berücksichtigen war ferner, dass der Kläger zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre nach wie vor steht und an ihren Anforderungen nur aus einem dem innersten Bezirk seines Privatlebens zuzurechnenden Umstand scheiterte. Bei dieser Lage war auch der ebenfalls grundrechtlich geschützte Wunsch des Klägers und seiner jetzigen Ehefrau zu achten, in einer nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechts geordneten Ehe zusammenleben zu dürfen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht/ra-online

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