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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil17.04.2018

Kirchliche Arbeitgeber können unter Umständen auch zur Einstellung konfes­si­onsloser Bewerber verpflichtet seinErfordernis der Kirchen­zugehörigkeit muss mit in Rede stehender beruflicher Tätigkeit und Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit im Einklang stehen

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass das Erfordernis, dass Bewerber um eine bei der Kirche zu besetzende Stelle einer bestimmten Religion angehören müssen, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss. Dieses Erfordernis muss notwendig und angesichts des Ethos der Kirche aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten sein und mit dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit im Einklang stehen.

Frau Vera Egenberger, die keiner Konfession angehört, bewarb sich 2012 auf eine vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (Deutschland) ausgeschriebene Stelle. Es handelte sich um eine befristete Referen­ten­stelle für ein Projekt, das die Erstellung des Paral­lel­be­richts zum Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung zum Gegenstand hatte. Das Aufgabengebiet umfasste sowohl die Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit als auch die Koordinierung des internen Meinungs­bil­dungs­pro­zesses. Nach der Stellenausschreibung mussten die Bewerber Mitglied einer evangelischen oder der Arbeits­ge­mein­schaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche sein. Frau Egenberger wurde nicht zu einem Vorstel­lungs­ge­spräch eingeladen. Da sie eine Benachteiligung aus Gründen der Religion erlitten zu haben glaubte, verklagte sie das Evangelische Werk vor den deutschen Gerichten auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 9.788,65 Euro.

BAG erbittet Auslegung der Antidis­kri­mi­nie­rungs­richtlinie durch EuGH

Das Bundes­a­r­beits­gericht, bei dem der Rechtsstreit mittlerweile anhängig ist, hat den Gerichtshof in diesem Zusammenhang um die Auslegung der Antidis­kri­mi­nie­rungs­richt­linie* ersucht. Diese zielt auf den Schutz des Grundrechts der Arbeitnehmer ab, nicht u.a. wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, soll aber auch dem im Unionsrecht - insbesondere in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - anerkannten Recht der Kirchen (und der anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltan­schauungen beruht) auf Autonomie Rechnung tragen.

Beschränkte gerichtliche Kontrolle mit der Antidis­kri­mi­nie­rungs­richtlinie vereinbar?

In diesem Sinne bestimmt die Richtlinie, dass eine Kirche (oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltan­schauungen beruht) eine mit der Religion oder Weltanschauung zusam­men­hängende Anforderung aufstellen kann, wenn die Religion oder Weltanschauung nach der Art der fraglichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung "eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt". Hierzu führt das Bundes­a­r­beits­gericht aus, dass sich in Deutschland die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung dieser Kriterien nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zum kirchlichen Privileg der Selbst­be­stimmung auf eine Plausi­bi­li­täts­kon­trolle auf der Grundlage des glaubens­de­fi­nierten Selbst­ver­ständ­nisses beschränken müsse. Es möchte vom Gerichtshof daher insbesondere wissen, ob eine solche beschränkte gerichtliche Kontrolle mit der Richtlinie vereinbar ist.

Abwägung zwischen Recht auf Autonomie der Kirchen und Rechten von Arbeitnehmern muss von unabhängiger Stelle vorgenommen werden können

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass nach der Richtlinie eine Abwägung zwischen dem Recht auf Autonomie der Kirchen (und der anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltan­schauungen beruht) und dem Recht der Arbeitnehmer, insbesondere bei der Einstellung nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, vorzunehmen ist, um einen angemessenen Ausgleich herzustellen. Nach Auffassung des Gerichtshofs muss eine solche Abwägung im Fall eines Rechtsstreits von einer unabhängigen Stelle und letztlich von einem inner­staat­lichen Gericht überprüft werden können.

Macht eine Kirche (oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltan­schauungen beruht) zur Begründung einer Handlung oder Entscheidung wie der Ablehnung einer Bewerbung auf eine bei ihr zu besetzende Stelle geltend, dass die Religion nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche (bzw. Organisation) sei, muss ein solches Vorbringen also Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können. Das angerufene Gericht muss sich vergewissern, dass die in der Richtlinie für die Abwägung der gegebenenfalls wider­strei­tenden Rechte genannten Kriterien im konkreten Fall erfüllt sind.

Der Gerichtshof stellt insoweit klar, dass es den staatlichen Gerichten im Regelfall nicht zusteht, über das der angeführten beruflichen Anforderung zugrunde liegende Ethos als solches zu befinden. Gleichwohl haben sie festzustellen, ob die drei Kriterien "wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt" in Anbetracht dieses Ethos im Einzelfall erfüllt sind.

Anforderung müssen mit Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit im Einklang stehen

Demnach haben die staatlichen Gerichte zu prüfen, ob die Anforderung notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche (bzw. Organisation) aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten ist. Zudem muss die Anforderung mit dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit im Einklang stehen, d.h., sie muss angemessen sein und darf nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgehen.

Hinsichtlich der Problematik, die damit zusammenhängt, dass eine Unions­richtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen entfaltet, sondern der Umsetzung in nationales Recht bedarf, weist der Gerichtshof schließlich darauf hin, dass es den nationalen Gerichten obliegt, das nationale Recht, mit dem die Richtlinie umgesetzt wird, so weit wie möglich im Einklang mit ihr auszulegen.

Für den Fall, dass es sich als unmöglich erweisen sollte, das einschlägige nationale Recht (hier das Allgemeine Gleich­be­hand­lungs­gesetz) im Einklang mit der Antidis­kri­mi­nie­rungs­richtlinie - nach ihrer Auslegung in diesem Urteil des Gerichtshofs - Auszulegen, stellt der Gerichtshof klar, dass ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht das nationale Recht unangewendet lassen muss.

Nationale Gerichte müssen Rechtsschutz des Einzelnen gewährleisten

Da die Charta Anwendung findet, muss das nationale Gericht nämlich den Rechtsschutz gewährleisten, der dem Einzelnen aus dem Verbot jeder Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung (verankert in Art. 21 der Charta, wobei dieses Verbot als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter hat) und dem Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz (niedergelegt in Art. 47 der Charta) erwächst. Sowohl das Diskri­mi­nie­rungs­verbot als auch das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verleihen aus sich heraus dem Einzelnen ein Recht, das er in einem Zivil­rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen kann.

Erläuterungen

* Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleich­be­handlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S.16).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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