23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil26.07.2017

Asylbewerber dürfen nach durch den Staat versäumter Frist Überstel­lungs­be­schei­nigung anfechtenFristbeginn vor der Stellung eines „förmlichen“ Asylantrags ab Zugang des Bestä­ti­gungs­schrift­stückes an zuständige Behörde

Ein Asylbewerber kann sich vor Gericht darauf berufen, dass ein Mitgliedstaat infolge des Ablaufs der Frist von drei Monaten, binnen deren er einen anderen Mitgliedstaat um Aufnahme des Asylbewerbers ersuchen kann, für die Prüfung des Asylantrags zuständig geworden ist. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden.

Im hier vorliegenden Fall suchte ein eritreischer Staats­an­ge­höriger am 14. September 2015 in München bei einer Behörde des Freistaats Bayern nach Asyl. Die Behörde stellte ihm am selben Tag eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender aus. Spätestens am 14. Januar 2016 erhielt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – das mit der Durchführung der Verpflichtungen betraut ist, die sich aus der Dublin-III-Verordnung zur Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats ergeben – das Original dieser Bescheinigung, eine Kopie davon oder zumindest die wichtigsten darin enthaltenen Informationen. Am 22. Juli 2016 wurde der Asylsuchende vom Bundesamt angehört und konnte einen förmlichen Asylantrag stellen.

Illegale Einreise vermutlich bereits über Italien erfolgt

Eine Abfrage des Eurodac-Systems ergab jedoch, dass in Italien bereits die Fingerabdrücke genommen worden waren. Im Allgemeinen beweist dies, dass die betreffende Person eine EU-Außengrenze illegal überschritten hat, was zur Folge haben kann, dass der Mitgliedstaat mit der fraglichen Außengrenze (hier Italien) für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist. Das Bundesamt ersuchte daher am 19. August 2016 die italienischen Behörden, den Asylsuchenden gemäß der Dublin-III-Verordnung aufzunehmen. Die italienischen Behörden beantworteten dieses Gesuch nicht, was seiner Stattgabe gleichkommt.

Asylsuchender widerspricht Überstellung nach Italien mit Verweis auf Drei-Monats-Regelung nach Dublin-III-Verordnung

Das Bundesamt lehnte daher den Asylantrag mit Bescheid vom 10. November 2016 ab und ordnete seine Überstellung nach Italien an. Diesen Bescheid focht der Asylsuchende vor dem Verwal­tungs­gericht Minden (Deutschland) an. Er macht geltend, dass nach der Dublin-III-Verordnung die Zuständigkeit für die Prüfung seines Asylantrags auf Deutschland übergegangen sei. Diese Verordnung sieht nämlich vor, dass das Aufnahmegesuch spätestens drei Monate nach der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz unterbreitet werden muss und dass nach Ablauf dieser Frist die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf den Mitgliedstaat übergeht, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Er meint, das Bundesamt habe die italienischen Behörden erst nach Ablauf der Frist von drei Monaten ersucht, ihn aufzunehmen. In diesem Kontext ersucht das Verwal­tungs­gericht den Gerichtshof, die Dublin-III-Verordnung auszulegen.

Fristberufung auch bei Aufnah­me­be­reit­schaft des ersuchten Mitgliedstaates

Der Gerichtshof teilt in seiner Entscheidung mit, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihr gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf der fraglichen Frist von drei Monaten berufen kann, wobei dies auch dann gilt, wenn der ersuchte Mitgliedstaat bereit ist, diese Person aufzunehmen.

Dublin-III-Verordnung sieht auch Verfah­rens­be­tei­ligung von Asylbewerber vor

Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass sich der Unions­ge­setzgeber im Rahmen der Dublin-III-Verordnung nicht darauf beschränkt hat, organi­sa­to­rische Regeln für die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu normieren, sondern sich dafür entschieden hat, die Asylbewerber an diesem Verfahren zu beteiligen, indem u. a. gewährleistet wird, dass ihnen ein wirksamer Rechtsbehelf gegen jede ihnen gegenüber möglicherweise ergehende Überstel­lungs­ent­scheidung zusteht.

Wirksamer Aufnahmegesuch nach Fristablauf nicht möglich

Zweitens stellt der Gerichtshof fest, dass es nicht möglich ist, ein Aufnahmegesuch mehr als drei Monate nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz wirksam zu unterbreiten. Die in der Dublin-III-Verordnung für ein solches Gesuch im Fall einer Eurodac-Treffermeldung vorgesehene Frist von zwei Monaten stellt keine zusätzliche, zu der Frist von drei Monaten hinzukommende Frist dar, sondern eine kürzere Frist, die dadurch gerechtfertigt ist, dass ein solcher Treffer den Beweis für ein illegales Überschreiten einer EU-Außengrenze darstellt und damit das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats vereinfacht.

Definition des Antrags auf internationalen Schutz

Drittens gibt der Gerichtshof folgende materielle Definition des Antrags auf internationalen Schutz (dessen Stellung die Dreimonatsfrist auslöst): Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn der mit der Durchführung der sich aus der Dublin-III-Verordnung ergebenden Verpflichtungen betrauten Behörde ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Staats­an­ge­höriger eines Nicht-EU-Landes um internationalen Schutz ersucht hat, oder, gegebenenfalls, wenn ihr nur die wichtigsten in einem solchen Schriftstück enthaltenen Informationen (und nicht das Schriftstück selbst oder eine Kopie davon) zugegangen sind.

EuGH zu Voraussetzungen für wirksame Mitglied­s­taa­ten­be­stimmung

Um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wirksam einleiten zu können, muss die zuständige Behörde zuverlässig darüber informiert werden, dass ein Staats­an­ge­höriger eines Nicht-EU-Landes um internationalen Schutz ersucht hat. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass das zu diesem Zweck erstellte Schriftstück eine ganz bestimmte Form hat oder zusätzliche, für die Anwendung der in der Dublin-III-Verordnung festgelegten Kriterien oder gar für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in der Sache relevante Informationen enthält. Es ist in diesem Verfah­rens­stadium auch nicht erforderlich, dass bereits ein persönliches Gespräch geführt wurde.

Bemängelung an Wirksamkeit des Schriftstückes führt zu Einschränkung der Effektivität

Die Effektivität einiger wichtiger Garantien für Personen, die internationalen Schutz beantragen, würde eingeschränkt, wenn der Erhalt eines Schriftstücks wie der im Ausgangs­ver­fahren in Rede stehenden Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender durch die zuständige Behörde (hier das Bundesamt) nicht ausreichen würde, um die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz zu manifestieren. Zudem wäre eine solche Lösung geeignet, das Dublin-System erheblich zu beeinträchtigen, weil der besondere Status des ersten Mitgliedstaats, in dem ein Asylantrag gestellt wird, in Frage gestellt würde.

Übermittlung der wichtigsten Informationen als Übermittlung des Originals anzusehen

Zudem ist die Übermittlung der wichtigsten in einem solchen Schriftstück enthaltenen Informationen an die zuständige Behörde als Übermittlung des Originals oder einer Kopie des Schriftstücks an diese Behörde anzusehen. Sie genügt daher als Beweis dafür, dass ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt.

Erläuterungen

1 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Dritt­staats­an­ge­hörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union. ra-online

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