18.10.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil06.06.2013

EuGH zur Zuständigkeit der EU-Mitglieds­s­taaten für Prüfung von Asylanträgen unbegleiteter MinderjährigerZuständigkeit liegt bei Mitgliedsstaat, der Aufenthaltsort des Asylbewerbers ist und in dem Antrag gestellt wurde

Für die Prüfung eines Asylantrags eines unbegleiteten Minderjährigen, der in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, ist derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem sich dieser Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat. Allerdings darf sich dabei kein Familien­an­ge­höriger des Minderjährigen rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

In der so genannten Dublin-II-Verordnung* werden Kriterien zur Bestimmung des Mitgliedstaats aufgelistet, der für die Prüfung eines in der Union gestellten Asylantrags zuständig ist; zuständig ist somit nur ein einziger Mitgliedstaat. Beantragt ein Dritt­staats­an­ge­höriger Asyl in einem anderen Mitgliedstaat als dem, der nach der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird, ist nach der Verordnung ein Verfahren zur Überstellung des Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat vorgesehen.

Sachverhalt

Zwei Minderjährige eritreischer Staats­an­ge­hö­rigkeit (MA und BT) und ein Minderjähriger irakischer Staats­an­ge­hö­rigkeit (DA) stellten im Vereinigten Königreich Asylanträge. Kein Angehöriger ihrer Familien hielt sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat der Union auf. Die britischen Behörden stellten fest, dass die Antragsteller bereits Asylanträge in anderen Mitgliedstaaten gestellt hatten, nämlich in Italien (MA und BT) und in den Niederlanden (DA). Daher wurde entschieden, die Minderjährigen in diese Staaten zu überstellen, da diese als für die Prüfung ihrer Asylanträge zuständig betrachtet wurden.

Verordnung gibt keine Auskunft über Zuständigkeit bei mehreren gestellten Asylanträgen

Ist der Asylbewerber ein unbegleiteter Minderjähriger, sieht die Verordnung** vor, dass derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt. In Ermangelung eines Familien­an­ge­hörigen ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat; in der Verordnung wird jedoch nicht klargestellt, ob es sich hierbei um den ersten Antrag handelt, den der Minderjährige in einem Mitgliedstaat gestellt hat, oder den Antrag, den er zuletzt in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat.

Jeder Mitgliedstaat grundsätzlich zu Prüfung eines Asylantrags berechtigt

Es ist darauf hinzuweisen, dass die britischen Behörden vor Vollzug der Überstellung von MA und DA, aber nach Vollzug der Überstellung von BT gemäß der in der Verordnung vorgesehenen "Souve­rä­ni­täts­klausel" beschlossen haben, die Asylanträge selbst zu prüfen. Daher konnte BT, die bereits nach Italien überstellt worden war, wieder in das Vereinigte Königreich zurückkehren. Gemäß dieser Klausel kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, selbst wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Zu klären ist jedoch, ob das in diesen drei Fällen erreichte Ergebnis – das Resultat einer Ermes­sen­s­ent­scheidung des Vereinigten Königreichs – gemäß dieser Verordnung zwingend ist.

Für Prüfung des Asylantrags zuständig ist Mitgliedsstaat, im dem sich Antragssteller aufhält

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass, wenn ein unbegleiteter Minderjähriger, der keinen sich in der Europäischen Union rechtmäßig aufhaltenden Familien­an­ge­hörigen hat, in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, der für die Prüfung zuständige Mitgliedstaat derjenige ist, in dem sich dieser Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Antrag gestellt hat.

Unbegleitete Minderjährige sind grundsätzlich nicht in anderen Mitgliedstaat zu überstellen

Dieses Ergebnis folgt aus dem Kontext und dem Ziel der Verordnung, mit der ein effektiver Zugang zur Beurteilung der Flücht­lings­ei­gen­schaft des Antragstellers gewährleistet werden soll, wobei sie unbegleiteten Minderjährigen besondere Aufmerksamkeit widmet. Da unbegleitete Minderjährige eine Kategorie besonders gefährdeter Personen bilden, ist es somit wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht länger als unbedingt nötig hinzieht, was bedeutet, dass unbegleitete Minderjährige grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen sind.

Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats darf nicht unsachgemäß in die Länge gezogen werden

Diese Erwägungen werden durch das Erfordernis der Beachtung der Grundrechte der Europäischen Union bestätigt; hierzu gehört, dass das Wohl des Kindes bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen eine vorrangige Erwägung sein muss. Im Interesse unbegleiteter Minderjähriger ist es folglich wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht unsachgemäß in die Länge zieht; ihnen ist vielmehr ein rascher Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flücht­lings­ei­gen­schaft zu gewährleisten.

Mitgliedstaaten müssen mögliche Flücht­lings­ei­gen­schaft des Antragstellers nicht prüfen

Der Gerichtshof stellt klar, dass eine solche Auslegung nicht bedeutet, dass der unbegleitete Minderjährige, dessen Asylantrag in einem ersten Mitgliedstaat in der Sache zurückgewiesen wurde, anschließend einen anderen Mitgliedstaat zur Prüfung eines Asylantrags zwingen könnte. Die Mitgliedstaaten müssen nämlich nicht prüfen, ob der Antragsteller ein Flüchtling ist, wenn ein Antrag deshalb als unzulässig betrachtet wird, weil der Asylbewerber nach einer gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Entscheidung einen identischen Antrag gestellt hat.

Erläuterungen
* Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Dritt­staats­an­ge­hörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50, S. 1).

** Art. 6 der vorgenannten Verordnung.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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