03.12.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil08.03.2011

Minderjähriges Kind besitzt EU-Staats­bür­ger­schaft: Mitgliedsstaat muss auch Eltern als Staats­an­ge­hörigen eines Drittlandes Aufenthalt gewährenVerweigerung des Aufenthalts würde Kind tatsächlichen Genuss des Kernbestands seiner Rechte aus Unions­bür­g­er­status vorenthalten

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass es Staats­an­ge­hörigen eines Drittlands, deren minderjähriges Kind jedoch die Staats­an­ge­hö­rigkeit eines anderen EU-Mitglieds­s­taates besitzt, durch diesen Mitgliedsstaat nicht verwehrt werden darf, sich in diesem Staat aufzuhalten und dort zu arbeiten. Eine Verweigerung dieses Rechts würde dem Kind den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der mit dem Unions­bür­g­er­status verbundenen Rechte vorenthalten. Dies ist auch dann zu beachten, wenn das Kind von seinem Recht auf Freizügigkeit im Gebiet der Mitgliedstaaten niemals Gebrauch gemacht hat.

Im zugrunde liegenden Fall beantragten Ruiz Zambrano und seine Ehefrau, beide kolumbianische Staatsangehörige, aufgrund des in Kolumbien herrschenden Bürgerkriegs in Belgien Asyl. Die belgischen Behörden lehnten es ab, ihnen den Flücht­lings­status zuzuerkennen, und verfügten ihre Ausweisung aus Belgien.

In Belgien geborene Kinder erlangen belgische Staats­an­ge­hö­rigkeit

In der Zeit, als die Eheleute weiterhin in Belgien wohnten und auf eine Entscheidung über ihren Antrag auf Regularisierung ihres Aufenthalts warteten, gebar die Ehefrau von Ruiz Zambrano zwei Kinder, die die belgische Staatsangehörigkeit erlangten.

Ruiz Zambrano schließt trotz fehlender Arbeits­er­laubnis unbefristeten Vollzeit­a­r­beits­vertrag in Belgien ab

Obwohl er keine Arbeits­er­laubnis besaß, schloss Ruiz Zambrano mit einem Unternehmen mit Sitz in Belgien einen unbefristeten Vollzeit­a­r­beits­vertrag. Aufgrund dieser Beschäftigung verfügte er zum Zeitpunkt der Geburt seines ersten Kindes belgischer Staats­an­ge­hö­rigkeit über ausreichende Einkünfte, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Außerdem wurden für diese berufliche Tätigkeit die gesetzlichen Sozia­l­ver­si­che­rungs­beiträge einbehalten und die entsprechenden Arbeit­ge­ber­beiträge entrichtet.

Spätere Anträge auf Arbeits­lo­sengeld mit Verweis auf fehlende Arbeits­er­laubnis abgelehnt

Später wurde Ruiz Zambrano mehrfach arbeitslos mit der Folge, dass er Anträge auf Arbeitslosengeld stellte. Diese wurden von den belgischen Behörden mit der Begründung abgelehnt, dass er nicht die belgischen Rechts­vor­schriften über den Aufenthalt von Ausländern erfülle und keine Arbeits­er­laubnis für Belgien habe.

Ehepaar stellt Antrag auf Niederlassung in Belgien

Ruiz Zambrano und seine Ehefrau stellten darüber hinaus als Verwandte aufsteigender Linie eines belgischen Staats­an­ge­hörigen einen Antrag auf Niederlassung in Belgien. Die belgischen Behörden wiesen diesen Antrag jedoch mit der Begründung ab, die Eheleute hätten es in der Absicht, ihre eigene aufent­halts­rechtliche Situation in Belgien zu bereinigen, bewusst unterlassen, bei den kolumbianischen Behörden die für die Anerkennung der kolumbianischen Staats­an­ge­hö­rigkeit ihrer Kinder notwendigen Schritte zu unternehmen.

Ruiz Zambrano hält Anspruch auf Arbeits­lo­sengeld und Aufenthalt in Belgien für gerechtfertigt

Ruiz Zambrano erhob gegen die ablehnende Entscheidung über seinen Nieder­las­sungs­antrag und über die Zahlung von Arbeits­lo­sengeld Klage, insbesondere weil er als Verwandter aufsteigender Linie eines minderjährigen belgischen Kindes einen Anspruch darauf habe, sich in Belgien aufhalten und dort arbeiten zu können.

Nationales Gericht legt EuGH Frage zur Zulässigkeit des Aufenthalts unter Berufung auf das Unionsrecht vor

Das Tribunal du travail de Bruxelles (Belgien), das über die Entscheidungen zu befinden hat, mit denen Ruiz Zambrano Arbeits­lo­sengeld verweigert wurde, hat den Gerichtshof gefragt, ob Ruiz Zambrano sich gestützt auf das Unionsrecht in Belgien aufhalten und dort arbeiten kann. Mit dieser Frage wollte das belgische Gericht insbesondere wissen, ob das Unionsrecht im vorliegenden Fall anwendbar ist, obwohl die belgischen Kinder von Ruiz Zambrano von ihrem Recht auf Freizügigkeit im Gebiet der Mitgliedstaaten niemals Gebrauch gemacht haben.

Kinder von Ruiz Zambrano haben belgische Staats­an­ge­hö­rigkeit erlangt und genießen Unions­bür­g­er­status

Der Gerichtshof weist in seinem Urteil darauf hin, dass es – auch wenn die Bedingungen für den Erwerb der Staats­an­ge­hö­rigkeit eines Mitgliedstaats ausschließlich der Zuständigkeit des fraglichen Mitgliedstaats unterliegen – feststeht, dass die in Belgien geborenen Kinder von Ruiz Zambrano die belgische Staats­an­ge­hö­rigkeit erlangt haben. Demzufolge genießen sie den Unions­bür­g­er­status, der dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein.

Aufenthalt und Arbeits­er­laubnis darf nicht verweigert werden

Der Gerichtshof betont in diesem Zusammenhang, dass das Unionsrecht nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unions­bür­g­er­status verleiht, verwehrt wird. Eine derartige Auswirkung liegt vor, wenn einer einem Drittstaat angehörenden Person in dem Mitgliedstaat, in dem ihre minderjährigen Kinder, die diesem Mitgliedstaat angehören und denen sie Unterhalt gewährt, der Aufenthalt und eine Arbeits­er­laubnis verweigert werden.

Kindern darf Kernbestand der Rechte aus Unions­bür­g­er­status nicht verwehrt werden

Eine solche Aufent­halts­ver­wei­gerung hat nämlich zur Folge, dass diese Kinder gezwungen sind, das Gebiet der Union zu verlassen, um ihre Eltern zu begleiten. Ebenso besteht die Gefahr, dass die Eltern, wenn ihnen keine Arbeits­er­laubnis erteilt wird, nicht über die für ihren Unterhalt und den ihrer Angehörigen erforderlichen Mittel verfügen, was ebenfalls zur Folge hätte, dass ihre Kinder – Unionsbürger – gezwungen wären, dass Hoheitsgebiet der Union zu verlassen. Unter derartigen Umständen wäre es diesen Kindern unmöglich, den Kernbestand der Rechte, die ihnen der Unions­bür­g­er­status verleiht, tatsächlich in Anspruch zu nehmen.

Unter diesen Umständen hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Unionsrecht es einem Mitgliedstaat verwehrt, einem Dritt­staats­an­ge­hörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, zum einen den Aufenthalt im Wohnsitz­mit­gliedstaat der Kinder, dessen Staats­an­ge­hö­rigkeit sie besitzen, zu verweigern und ihm zum anderen eine Arbeits­er­laubnis zu verweigern, da diese Entscheidungen den genannten Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unions­bür­g­er­status verleiht, verwehren würde.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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