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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil04.06.2015

Integrations­prüfungen von EU-Mitglieds­s­taaten für langfristig aufenthalts­berechtigte Dritt­staaten­angehörige zulässigModalitäten für Umsetzung der Pflichten wie Geldbußen und Prüfungs­eg­bühren dürfen dabei Ziele der Richtlinie nicht gefährden

Die Mitgliedstaaten dürfen langfristig aufenthalts­berechtigte Dritt­staats­angehörige zur erfolgreichen Ablegung einer Integra­ti­o­ns­prüfung verpflichten. Die Modalitäten für die Umsetzung dieser Pflicht dürfen jedoch die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie betreffend die langfristig Aufenthalts­berechtigten nicht gefährden. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Eine Richtlinie der Union* sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Dritt­staats­an­ge­hörigen, die sich unmittelbar vor der Stellung ihres Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben, die Rechtsstellung eines langfristig Aufent­halts­be­rech­tigten erteilen.

Sachverhalt

P und S sind Drittstaatsangehörige und seit dem 14. November 2008 bzw. dem 8. Juni 2007 Inhaberinnen unbefristeter langfristiger Aufent­halts­be­rech­ti­gungen in den Niederlanden, die ihnen auf der Grundlage der Richtlinie erteilt worden sind. Nach dem nieder­län­dischen Recht unterliegen sie einer bußgeld­be­wehrten Pflicht zur erfolgreichen Ablegung einer Integra­ti­o­ns­prüfung innerhalb einer festgesetzten Frist, um den Erwerb mündlicher und schriftlicher Kenntnisse der nieder­län­dischen Sprache und von hinreichenden Kenntnissen der nieder­län­dischen Gesellschaft nachzuweisen. Bei Nichtbestehen der Prüfung innerhalb dieser Frist wird eine neue Frist festgesetzt, wobei sich die Höhe der Geldbuße jedes Mal erhöht.

Nationales Gericht äußert Zweifel an Vereinbarkeit der Integra­ti­o­ns­pflicht mit der Richtlinie

P und S erhoben Klagen gegen die Bescheide, die sie zur erfolgreichen Ablegung dieser Prüfung verpflichteten. Der Centrale Raad van Beroep (Niederlande), bei dem der Rechtsstreit in der Rechts­mit­te­l­instanz anhängig ist, äußert Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der Integra­ti­o­ns­pflicht mit der Richtlinie. Er möchte vom Gerichtshof insbesondere wissen, ob die Mitgliedstaaten nach der Erteilung der Rechtsstellung eines langfristig Aufent­halts­be­rech­tigten Integra­ti­o­ns­an­for­de­rungen in Form einer bußgeld­be­wehrten Integra­ti­o­ns­prüfung stellen dürfen.

Richtlinie steht Pflicht zur Ablegung einer Integra­ti­o­ns­prüfung nicht entgegen

In seinem Urteil erklärt der Gerichtshof der Europäischen Union, dass die Richtlinie der Auferlegung einer Pflicht zur erfolgreichen Ablegung einer Integra­ti­o­ns­prüfung nicht entgegensteht, allerdings mit der Einschränkung, dass die Modalitäten für die Umsetzung einer solchen Pflicht nicht so gestaltet sein dürfen, dass sie die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie gefährden.

Von Mitglieds­s­taaten verlangte Integra­ti­o­ns­pflichten werden von Richtlinie weder untersagt noch gefordert

Zunächst stellt der Gerichtshof fest, dass die erfolgreiche Ablegung der betreffenden Prüfung keine Voraussetzung für die Erlangung oder Aufrecht­er­haltung der Rechtsstellung eines langfristig Aufent­halts­be­rech­tigten ist, sondern lediglich die Verhängung einer Geldbuße nach sich zieht**. Außerdem weist der Gerichtshof auf die Bedeutung hin, die der Unions­ge­setzgeber Integra­ti­o­ns­maß­nahmen beimisst. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten weder gebietet noch untersagt, von Dritt­staats­an­ge­hörigen zu verlangen, dass sie nach Erhalt der Rechtsstellung eines langfristig Aufent­halts­be­rech­tigten Integra­ti­o­ns­pflichten erfüllen.

Pflicht zur Integra­ti­o­ns­prüfung verstößt nicht gegen Gleich­be­hand­lungs­grundsatz

Hinsichtlich des Grundsatzes der Gleich­be­handlung erklärt der Gerichtshof, dass die Situation der Dritt­staats­an­ge­hörigen mit der der Staats­an­ge­hörigen des betreffenden Mitgliedstaats nicht vergleichbar ist, was die Zweckmäßigkeit von Integra­ti­o­ns­maß­nahmen wie dem Erwerb von Kenntnissen der Sprache und der Gesellschaft des Landes angeht. Daher verstößt der Umstand, dass die in Rede stehende Integra­ti­o­ns­pflicht den Staats­an­ge­hörigen des betreffenden Mitgliedstaats nicht auferlegt ist, nicht gegen das Recht der langfristig aufent­halts­be­rech­tigten Dritt­staats­an­ge­hörigen auf Gleich­be­handlung mit den Staats­an­ge­hörigen des betreffenden Mitgliedstaats.

Kenntnisse über Sprache und Gesellschaft erleichtern Integration

Außerdem kann nicht bestritten werden, dass der Erwerb von Kenntnissen sowohl der Sprache als auch der Gesellschaft des Aufnah­me­mit­glied­staats die Interaktion und die Entwicklung sozialer Beziehungen zwischen den Staats­an­ge­hörigen des betreffenden Mitgliedstaats und den Dritt­staats­an­ge­hörigen begünstigt und den Zugang Letzterer zu Arbeitsmarkt und Berufs­aus­bildung erleichtert.

Modalitäten für Umsetzung der Integra­ti­o­ns­pflicht dürfen Ziele der Richtlinie nicht gefährden

Jedoch dürfen die Modalitäten für die Umsetzung der Integra­ti­o­ns­pflicht nicht die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie gefährden. In diesem Zusammenhang ist der Gerichtshof der Ansicht, dass insbesondere der für die erfolgreiche Ablegung der Prüfung geforderte Kenntnisstand, die Zugänglichkeit der Kurse und des zur Prüfungs­vor­be­reitung erforderlichen Materials, die Höhe der Einschrei­bungs­ge­bühren oder besondere individuelle Umstände, wie Alter, Analphabetismus oder Bildungsniveau, zu berücksichtigen sind.

Zahlung von Geldbußen zusammen mit Prüfungs­ge­bühren könnten Ziele der Richtlinie gefährden

Hinsichtlich der Geldbuße merkt der Gerichtshof schließlich an, dass deren Höchstbetrag ein relativ hohes Niveau, nämlich 1.000 Euro, erreicht und dass diese Geldbuße außerdem bei jedem erfolglosen Ablauf der für das erfolgreiche Ablegen der Integra­ti­o­ns­prüfung gesetzten Frist verhängt werden kann, und zwar ohne Begrenzung, bis der betreffende Dritt­staats­an­ge­hörige diese Prüfung erfolgreich abgelegt hat. Im Übrigen haben die betreffenden Dritt­staats­an­ge­hörigen die Einschrei­bungs­ge­bühren für die Teilnahme an der Prüfung sowie die Kosten für die Prüfungs­vor­be­reitung zu tragen. Insbesondere hinsichtlich der Einschrei­bungs­ge­bühren weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Höhe dieser Gebühren nach Angaben der nieder­län­dischen Regierung 230 Euro beträgt und dass diese Gebühren von den betreffenden Dritt­staats­an­ge­hörigen bei jeder Teilnahme an der Integra­ti­o­ns­prüfung während der gesetzten Frist zu entrichten sind. Unter solchen – vom nationalen Gericht zu prüfenden – Umständen kann die Zahlung einer Geldbuße zusätzlich zur Zahlung der Gebühren für die Prüfungen die Verwirklichung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele gefährden und dieser somit ihre praktische Wirksamkeit nehmen.

Erläuterungen

* Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufent­halts­be­rech­tigten Dritt­staats­an­ge­hörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44).

** Die Fragen des vorlegenden Gerichts betreffen ausschließlich die Dritt­staats­an­ge­hörigen, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des betreffenden Gesetzes, nämlich dem 1. Januar 2007, rechtmäßig in den Niederlanden aufhielten und die Rechtsstellung eines langfristig Aufent­halts­be­rech­tigten im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 1. Januar 2010 beantragt hatten.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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