24.11.2024
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Dokument-Nr. 10227

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Urteil08.09.2010Gerichtshof der Europäischen UnionC-409/06, C-316/07, C-358/07, C-359/07, C-360/07, C-409/07 und C-410/07, C-46/08
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • CR 2011, 387Zeitschrift: Computer und Recht (CR), Jahrgang: 2011, Seite: 387
  • CR 2011, 394Zeitschrift: Computer und Recht (CR), Jahrgang: 2011, Seite: 394
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ergänzende Informationen

Gerichtshof der Europäischen Union Urteil08.09.2010

Europäischer Gerichtshof kippt deutsches Sport­wet­ten­monopolDeutsche Regelung begrenzt Glücksspiele nicht in wirksamer und systematischer Weise

Das deutsche Glückss­piel­monopol ist unwirksam und ab sofort ungültig. Mit dem im Rahmen der Organisation von Sportwetten und Lotterien in Deutschland errichteten staatlichen Monopol wird das Ziel der Bekämpfung der mit Glücksspielen verbundenen Gefahren nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.

In Deutschland sind die Zuständigkeiten im Spielsektor zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt. In den meisten Ländern besteht ein regionales Monopol auf die Veranstaltung von Sportwetten und Lotterien, während die Veranstaltung von Pferdewetten und der Betrieb von Spielautomaten sowie Spielkasinos privaten Betreibern übertragen ist, die über eine Erlaubnis hierfür verfügen. Mit dem am 1. Juli 2004 in Kraft getretenen Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland haben die Länder einen einheitlichen Rahmen für die Veranstaltung von Glücksspielen geschaffen; hiervon ausgenommen sind Spielkasinos. Im Anschluss an ein Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts wurde dieser Vertrag durch den am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Glückss­piel­staats­vertrag ersetzt. Nach diesem Vertrag ist jede Veranstaltung oder Vermittlung von Glücksspielen im Internet verboten.

In den vorliegenden Rechtssachen ersuchen mehrere deutsche Gerichte den Gerichtshof, sich zur Vereinbarkeit der Glückss­piel­re­gelung in Deutschland mit dem Recht der Union zu äußern.

Sachverhalt der verbundenen Rechtssachen C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07

In den verbundenen Rechtssachen C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 haben die Verwal­tungs­ge­richte Gießen und Stuttgart über Rechtss­trei­tig­keiten zwischen Vermittlern von Sportwetten und deutschen Behörden zu entscheiden, die diesen Vermittlern untersagt haben, in Hessen bzw. in Baden-Württemberg Sportwetten anzubieten, die von den öster­rei­chischen Unternehmen Happybet Sportwetten und Web.coin, dem maltesischen Unternehmen Tipico, der britischen Gesellschaft Happy Bet und der in Gibraltar ansässigen Gesellschaft Digibet veranstaltet werden. Diese Unternehmen verfügen in ihren jeweiligen Heimatländern über Erlaubnisse zur Veranstaltung von Sportwetten (vgl. Verwal­tungs­gericht Stuttgart, Beschluss v. 24.07.2007 - 4 K 4435/06 -).

Sachverhalt der Rechtssache C-46/08

In der Rechtssache C-46/08 hat das Schleswig-Holsteinische Verwal­tungs­gericht darüber zu entscheiden, ob das Land Schleswig-Holstein den Antrag des Unternehmens Carmen Media Group, seine Sportwetten in Deutschland über das Internet anbieten zu dürfen, zu Recht zurückgewiesen hat, obwohl dieses Unternehmen in Gibraltar, wo es seinen Sitz hat, bereits über eine „off-shore-Lizenz“ verfügt, die ihm das Veranstalten von Wetten nur außerhalb Gibraltars gestattet. (vgl. Verwal­tungs­gericht Schleswig, Beschluss v. 30.01.2008 - 12 A 102/06 -)

Sachverhalt der Rechtssache C-409/06

In der Rechtssache C-409/06 schließlich ist das Verwal­tungs­gericht Köln mit einem Rechtsstreit zwischen einem Vermittler für Sportwetten, der für Rechnung des maltesischen Unternehmens Tipico tätig ist, und den deutschen Behörden befasst worden. Dieses Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts vor den nationalen Rechtsordnungen es zulässt, dass die Mitgliedstaaten eine Regelung über ein staatliches Sport­wet­ten­monopol, das unzulässige Beschränkungen der Nieder­las­sungs­freiheit und des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs mit sich bringt, ausnahmsweise während einer Übergangszeit weiterhin anwenden.

Beschränkung des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs und der Nieder­las­sungs­freiheit kann aus zwingenden Gründen, wie Bekämpfung der Spielsucht gerechtfertigt sein

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die deutsche Regelung über Sportwetten eine Beschränkung des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs und der Nieder­las­sungs­freiheit darstellt. Er weist allerdings darauf hin, dass eine solche Beschränkung aus zwingenden Gründen des Allge­mein­in­teresses wie der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und der Bekämpfung der Spielsucht gerechtfertigt sein kann. Die nationalen Maßnahmen, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen, müssen aber zu ihrer Verwirklichung geeignet sein und dürfen nur solche Beschränkungen vorsehen, die dafür erforderlich sind. Insoweit ist der Gerichtshof der Auffassung, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, in dem Bestreben, die Spiellust und den Betrieb der Spiele in kontrollierte Bahnen zu lenken, staatliche Monopole zu schaffen. Insbesondere lassen sich mit einem solchen Monopol die mit dem Glückss­piel­sektor verbundenen Gefahren wirksamer beherrschen als mit einem System, in dem privaten Veranstaltern die Veranstaltung von Wetten unter dem Vorbehalt der Einhaltung der in dem entsprechenden Bereich geltenden Rechts­vor­schriften erlaubt würde.

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Umstand, dass von verschiedenen Arten von Glücksspielen einige einem staatlichen Monopol und andere einer Regelung unterliegen, nach der privaten Veranstaltern eine Erlaubnis erteilt wird, für sich genommen die Kohärenz des deutschen Systems nicht in Frage stellen kann. Diese Spiele weisen nämlich unter­schiedliche Merkmale auf.

Monopol kann nicht mehr gerechtfertigt werden

Gleichwohl haben die deutschen Gerichte nach Ansicht des Gerichtshofs angesichts der von ihnen in den vorliegenden Rechtssachen getroffenen Feststellungen Grund zu der Schluss­fol­gerung, dass die deutsche Regelung die Glücksspiele nicht in kohärenter und systematischer Weise begrenzt. Zum einen führen nämlich die Inhaber der staatlichen Monopole intensive Werbekampagnen durch, um die Gewinne aus den Lotterien zu maximieren, und entfernen sich damit von den Zielen, die das Bestehen dieser Monopole rechtfertigen. Zum anderen betreiben oder dulden die deutschen Behörden in Bezug auf Glücksspiele wie Kasino- oder Automatenspiele, die nicht dem staatlichen Monopol unterliegen, aber ein höheres Suchtpotenzial aufweisen als die vom Monopol erfassten Spiele, eine Politik, mit der zur Teilnahme an diesen Spielen ermuntert wird. Unter diesen Umständen lässt sich das präventive Ziel des Monopols nicht mehr wirksam verfolgen, so dass das Monopol nicht mehr gerechtfertigt werden kann.

Monopol darf nicht weiter angewandt werden

Im Übrigen weist der Gerichtshof darauf hin, dass die dieses Monopol betreffende nationale Regelung, die gegen die Grundfreiheiten der Union verstößt, auch während der Zeit, die erforderlich ist, um sie mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen, nicht weiter angewandt werden darf.

Mitgliedstaaten verfügen bei Festlegung des Niveaus zum Schutz vor Gefahren durch Glücksspiele über weiten Wertungs­spielraum

Schließlich legt der Gerichtshof dar, dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung des Niveaus des Schutzes gegen die von Glücksspielen ausgehenden Gefahren über einen weiten Wertungs­spielraum verfügen. Daher – und in Ermangelung jeglicher gemein­schaft­licher Harmonisierung dieses Bereichs – sind sie nicht verpflichtet, die von anderen Mitgliedstaaten im Glückss­piel­sektor erteilten Erlaubnisse anzuerkennen. Aus den gleichen Gründen und angesichts der Gefahren, die im Internet angebotene Glücksspiele im Vergleich zu herkömmlichen Glücksspielen aufweisen, können die Mitgliedstaaten auch das Anbieten von Glücksspielen im Internet verbieten.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH)/ra-online

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