21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil02.05.2012

Kein Urheber­rechts­schutz für Program­mier­sprache und Funktionalität eines Compu­ter­pro­grammsIdeen und Grundsätze eines Compu­ter­pro­gramms nicht im Sinne der EU-Richtlinie urheber­rechtlich geschützt

Die Funktionalität eines Compu­ter­pro­gramms und die Program­mier­sprache sind nicht urheber­rechtlich geschützt. Der Erwerber einer Programmlizenz ist grundsätzlich berechtigt, das Funktionieren des Programms zu beobachten, zu untersuchen oder zu testen, um die ihm zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Die SAS Institute Inc. entwickelte das SAS-System, einen integrierten Satz von Programmen, der es den Nutzern ermöglicht, Aufgaben im Bereich der Daten­ver­a­r­beitung und -analyse zu verrichten und insbesondere statistische Analysen durchzuführen. Der zentrale Bestandteil des SAS-Systems ist die so genannte Base SAS. Sie ermöglicht den Nutzern, Anwen­dungs­pro­gramme (auch als „Skripte“ bekannt) zu schreiben und zu verwenden, die in der SAS-Program­mier­sprache geschrieben sind und eine Daten­ver­a­r­beitung ermöglichen.

World Programming Ltd stellt Alternativ-Software zu SAS her

Die World Programming Ltd (WPL) sah eine potenzielle Marktnachfrage nach alternativer Software, die in der Lage wäre, in der SAS-Sprache geschriebene Anwen­dungs­pro­gramme auszuführen. Sie erstellte daher das World Programming System (WPS). Dieses bildet einen großen Teil der Funkti­o­na­litäten der SAS-Komponenten in dem Sinne nach, dass WPL sicherzustellen versuchte, dass derselbe Input (Dateneingabe in das System) zu demselben Output (Datenausgabe) führte. Dies sollte den Nutzern des SAS-Systems ermöglichen, die für die Verwendung mit dem SAS-System entwickelten Skripte unter dem WPS auszuführen.

Für die Erstellung des WPS erwarb WPL rechtmäßig Kopien der Lernausgabe des SAS-Systems, die mit einer Lizenz geliefert wurden, nach der die Rechte des Lizenznehmers auf nichtproduktive Zwecke beschränkt waren. WPL benutzte und untersuchte diese Programme, um ihr Funktionieren zu verstehen, doch weist nichts darauf hin, dass sie Zugang zum Quellcode der SAS-Komponenten hatte oder diesen vervielfältigt hätte.

Das SAS Institute rügt Verletzung der Urheberrechte von SAS und der Lizenz­be­stim­mungen der Lernausgabe

SAS Institute erhob Klage beim High Court of Justice (Vereinigtes Königreich) auf Feststellung, dass WPL die Handbücher und Komponenten des SAS-Systems vervielfältigt und damit die Urheberrechte von SAS Institute und die Lizenz­be­stim­mungen der Lernausgabe verletzt hat. Vor diesem Hintergrund befragt der High Court den Gerichtshof zum Umfang des rechtlichen Schutzes, den das Unionsrecht Compu­ter­pro­grammen gewährt, und möchte insbesondere wissen, ob sich dieser Schutz auf die Funktionalität und die Program­mier­sprache erstreckt.

Urheber­recht­licher Schutz erstreckt sich nur auf Ausdrucksformen der eigenen geistigen Schöpfung des Urhebers eines Compu­ter­pro­gramms

Der Gerichtshof weist erstens darauf hin, dass die Richtlinie über den Rechtsschutz von Compu­ter­pro­grammen* den urheber­recht­lichen Schutz auf alle Ausdrucksformen der eigenen geistigen Schöpfung des Urhebers eines Compu­ter­pro­gramms erstreckt**. Dagegen sind Ideen und Grundsätze, die irgendeinem Element eines Compu­ter­pro­gramms zugrunde liegen, einschließlich der den Schnittstellen zugrun­de­lie­genden Ideen und Grundsätze, nicht im Sinne der Richtlinie urheber­rechtlich geschützt.

Weder Funktionalität eines Compu­ter­pro­gramms noch Program­mier­sprache stellen urheber­rechtlich geschützte Ausdrucksform dar

Somit ist nur die Ausdrucksform dieser Ideen und Grundsätze urheber­rechtlich zu schützen. Der durch die Richtlinie 91/250 geschaffene Schutz­ge­genstand bezieht sich auf das Computerprogramm in allen seinen Ausdrucksformen wie Quellcode und Objektcode, die seine Verviel­fäl­tigung in den verschiedenen Daten­ver­a­r­bei­tungs­sprachen erlauben. Auf der Grundlage dieser Erwägungen entscheidet der Gerichtshof, dass weder die Funktionalität eines Compu­ter­pro­gramms noch die Program­mier­sprache oder das Dateiformat, die im Rahmen eines Compu­ter­pro­gramms verwendet werden, um bestimmte Funktionen des Programms zu nutzen, eine Ausdrucksform darstellen. Daher genießen sie keinen urheber­recht­lichen Schutz.

Urheberrecht für Funktionalität eines Compu­ter­pro­gramms würde technischen Fortschritt bremsen

Ließe man nämlich zu, dass die Funktionalität eines Compu­ter­pro­gramms urheber­rechtlich geschützt wird, würde man zum Schaden des technischen Fortschritts und der industriellen Entwicklung die Möglichkeit eröffnen, Ideen zu monopolisieren.

Verbot der Beschaffung des Quell- oder Objektcodes möglicherweise zulässig

In diesem Zusammenhang führt der Gerichtshof aus, dass, würde sich ein Dritter den Teil des Quell- oder Objektcodes beschaffen, der sich auf die Program­mier­sprache oder das Dateiformat bezieht, die im Rahmen eines Compu­ter­pro­gramms verwendet werden, und würde er mit Hilfe dieses Codes in seinem eigenen Compu­ter­programm ähnliche Komponenten erstellen, dieses Verhalten vom Urheber des Programms möglicherweise verboten werden könnte. Im vorliegenden Fall ist jedoch den Ausführungen des vorlegenden Gerichts zu entnehmen, dass WPL keinen Zugang zum Quellcode des Programms von SAS Institute hatte und den Objektcode dieses Programms nicht dekompiliert hat. Sie hat das Verhalten des Programms nur beobachtet, untersucht und getestet und auf dieser Grundlage seine Funktionalität vervielfältigt, wobei sie dieselbe Program­mier­sprache und dasselbe Dateiformat verwendet hat.

Vertragliche Bestimmungen, die Beobachten, Untersuchen oder Testen eines Compu­ter­pro­gramms untersagen, unwirksam

Zweitens stellt der Gerichtshof zum einen fest, dass nach der Richtlinie über den Rechtsschutz von Compu­ter­pro­grammen der Erwerber einer Softwarelizenz berechtigt ist, das Funktionieren eines Compu­ter­pro­gramms zu beobachten, zu untersuchen oder zu testen, um die einem Programmelement zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln. Vertragliche Bestimmungen, die im Widerspruch zu diesem Recht stehen, sind unwirksam. Zum anderen ist die Ermittlung dieser Ideen und Grundsätze im Rahmen der von der Lizenz gestatteten Handlungen möglich.

Daher kann der Inhaber des Urheberrechts an einem Compu­ter­programm nicht unter Berufung auf den Lizenzvertrag verhindern, dass der Erwerber der Lizenz das Funktionieren dieses Programms beobachtet, untersucht oder testet, um die einem Programmelement zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln, wenn dieser von der Lizenz umfasste Handlungen sowie Handlungen zum Laden und Ablaufen vornimmt, die für die Benutzung des Programms erforderlich sind, und unter der Voraussetzung, dass der Erwerber die Ausschließ­lich­keits­rechte des Inhabers des Urheberrechts an diesem Programm nicht verletzt.

EuGH verneint Urheber­rechts­ver­letzung durch Vorgehensweise von WPL

Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass kein Verstoß gegen das Urheberrecht vorliegt, wenn wie im vorliegenden Fall der rechtmäßige Erwerber der Lizenz keinen Zugang zum Quellcode des Compu­ter­pro­gramms hatte, sondern sich darauf beschränkt hat, dieses Programm zu untersuchen, zu beobachten und zu testen, um seine Funktionalität in einem zweiten Programm zu vervielfältigen.

EuGH zum urheber­recht­lichen Schutz der Inhalte vom Benut­zer­handbuch

Schließlich entscheidet der Gerichtshof, dass die in einem Compu­ter­programm oder in einem Benut­zer­handbuch für dieses Programm erfolgte Verviel­fäl­tigung bestimmter Elemente, die in dem urheber­rechtlich geschützten Benut­zer­handbuch eines anderen Compu­ter­pro­gramms beschrieben werden, eine Verletzung des Urheberrechts an dem letztgenannten Handbuch darstellen kann, sofern diese Verviel­fäl­tigung die eigene geistige Schöpfung des Urhebers des Benut­zer­handbuchs zum Ausdruck bringt. Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass im vorliegenden Fall die Schlüsselwörter, die Syntax, die Befehle und die Kombinationen von Befehlen, die Optionen, die Vorein­stel­lungen und die Wiederholungen aus Wörtern, Zahlen oder mathematischen Konzepten bestehen, die einzeln betrachtet keine geistige Schöpfung des Urhebers des Compu­ter­pro­gramms sind. Erst mit Hilfe der Auswahl, der Anordnung und der Kombination dieser Wörter, Zahlen oder mathematischen Konzepte bringt der Urheber seinen schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangs­ver­fahren behauptete Verviel­fäl­tigung die eigene geistige Schöpfung des Urhebers des Benut­zer­handbuchs für das Compu­ter­programm zum Ausdruck bringt, die urheber­rechtlich geschützt ist.

Erläuterungen

*Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Compu­ter­pro­grammen (ABl. L 122, S. 42).

** Urteil des Gerichtshofs vom 22. Dezember 2010, Bezpeènostní softwarová asociace (C-393/09).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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