21.11.2024
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Dokument-Nr. 14711

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Urteil22.11.2012Gerichtshof der Europäischen UnionC-385/11
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • DÖV 2013, 158Zeitschrift: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), Jahrgang: 2013, Seite: 158
  • NZA 2012, 1425Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Jahrgang: 2012, Seite: 1425
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ergänzende Informationen

Gerichtshof der Europäischen Union Urteil22.11.2012

Spaniens Rechts­vor­schriften zur beitrags­be­zogenen Altersrente von Teilzeit­beschäftigten vor allem für Frauen diskriminierendProportional längere Beitragszeiten schaffen Ungleich­be­handlung

Die spanischen Rechts­vor­schriften über die beitrags­be­zogene Altersrente von Teilzeit­beschäftigten sind diskriminierend. Das für Teilzeit­beschäftigte (bei denen es sich großenteils um Frauen handelt) geltende Erfordernis, proportional längere Beitragszeiten zurücklegen zu müssen, schafft eine Ungleich­be­handlung

Wer in Spanien eine beitrags­be­zogene Altersrente erhalten will, muss das 65. Lebensjahr vollendet haben und eine Mindest­bei­tragszeit von 15 Jahren erfüllen*. Im Rahmen der Berechnung der erforderlichen Beitragszeiten werden nach den spanischen Rechts­vor­schriften ausschließlich die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden berücksichtigt, die in theoretische Beitragstage umgerechnet werden. Dieser Grundsatz wird durch zwei Korrekturregeln gemildert, um Teilzeit­be­schäf­tigten den Zugang zum Schutz der sozialen Sicherheit zu erleichtern.

Hintergrund

Dazu ist erstens der Begriff eines „theoretischen Beitragstags“ festgelegt worden, der fünf tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden täglich oder 1.826 Stunden jährlich entspricht. Es werden die auf der Grundlage der geleisteten Arbeitsstunden gezahlten Beiträge berücksichtigt, die in theoretische Beitragstage umgerechnet werden. Zweitens kommt für die Begründung eines Anspruchs auf Leistungen bei Alter eine spezifische Maßnahme zur Anwendung, nach der die Anzahl der theoretischen Beitragstage mit 1,5 multipliziert und dadurch erhöht wird, um den Zugang zum Schutz zu erleichtern.

Altersrente mit Verweis auf nicht ausreichende Minde­st­a­r­beitszeit verweigert

Frau Elbal Moreno hat 18 Jahre lang ausschließlich als teilzeit­be­schäftigte Reinigungskraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von vier Stunden (10 % der gesetzlichen wöchentlichen Arbeitszeit in Spanien, die sich auf 40 Stunden beläuft) für eine Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft gearbeitet. Mit 66 Jahren hat sie beim Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) eine Altersrente beantragt. Diese Rente wurde ihr mit der Begründung verweigert, dass sie die Mindest­bei­tragszeit von 15 Jahren nicht erfülle, die Voraussetzung für einen Anspruch auf Altersrente sei.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung über Vereinbarkeit der nationalen Rechts­vor­schriften mit Richtlinie über Gleich­be­handlung von Männern und Frauen

Das mit dieser Rechtssache befasste Juzgado de lo Social (Sozialgericht) de Barcelona möchte hierzu vom Gerichtshof insbesondere wissen, ob die Richtlinie über die Gleich­be­handlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit** den spanischen Rechts­vor­schriften entgegensteht.

Reinigungskraft hätte für Rentenanspruch 100 Jahre lang arbeiten müssen

Das vorlegende Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die spanischen Rechts­vor­schriften ausschließlich die geleisteten Arbeitsstunden, nicht aber die Beitragszeiten, d. h. die Arbeitstage, berücksichtigen, so dass sie letztlich die – wenn auch berichtigte – zweifache Anwendung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes zur Folge haben. Von einem Teilzeit­be­schäf­tigten wird demnach für den Erhalt einer Altersrente, deren Höhe bereits unmittelbar und proportional zur Verringerung der Arbeitszeit herabgesetzt ist, eine im umgekehrten Verhältnis zur Verkürzung seiner Arbeitszeit längere Wartezeit verlangt. Bei Frau Elbal Moreno führt die Anwendung der spanischen Rechts­vor­schriften dazu, dass die über einen Zeitraum von 18 Jahren für 10 % der täglichen Arbeitszeit entrichteten Beiträge der Zahlung von Beiträgen über weniger als drei Jahre entsprechen. Demzufolge hätte sie 100 Jahre lang arbeiten müssen, um die Mindest­war­tezeit von 15 Jahren nachweisen zu können, die ihr einen Anspruch auf eine Altersrente von monatlich 112,93 Euro gäbe.

EuGH bejaht Verstoß gegen Richtlinie über Gleich­be­handlung von Männern und Frauen

Der Gerichtshof hat in seinem für Recht erkannt, dass die Richtlinie über die Gleich­be­handlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit den spanischen Rechts­vor­schriften entgegensteht, nach denen Teilzeit­be­schäftigte, bei denen es sich überwiegend um Frauen handelt, gegenüber Vollzeit­be­schäf­tigten proportional längere Beitragszeiten zurücklegen müssen, um einen Anspruch auf eine beitrags­be­zogene Altersrente zu haben, deren Höhe bereits proportional zu ihrer Arbeitszeit herabgesetzt ist.

Nationale Maßnahme benachteiligt mehr Frauen als Männer und stellt somit mittelbare Diskriminierung dar

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, wenn eine nationale Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber wesentlich mehr Frauen als Männer benachteiligt. Zum einen benachteiligen die fraglichen Rechts­vor­schriften Arbeitnehmer, die über lange Zeit in geringem Umfang teilzeit­be­schäftigt waren, denn durch die Methode, die zur Berechnung der für den Erhalt einer Altersrente erforderlichen Beitragszeiten angewandt wird, nimmt diese Regelung den betroffenen Arbeitnehmern praktisch jede Möglichkeit, eine derartige Altersrente zu erhalten, und zum anderen betreffen sie wesentlich mehr Frauen als Männer, da in Spanien mindestens 80 % der Teilzeit­be­schäf­tigten Frauen sind.

Versagung jeglicher Möglichkeit für Teilzeit­be­schäftigte zum Erhalt von Altersrente verfolgt kein gerecht­fer­tigtes, legitimes Ziel

Diese nationale Regelung könnte allerdings durch objektive Faktoren gerechtfertigt sein, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Dies ist der Fall, wenn die gewählten Mittel einem legitimen Ziel der Sozialpolitik des Mitgliedstaats dienen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind. Der Gerichtshof betont jedoch in diesem Zusammenhang, dass nichts darauf schließen lässt, dass es sich zum einen bei der Versagung jeglicher Möglichkeit für Teilzeit­be­schäftigte wie Frau Elbal Moreno, eine Altersrente zu erhalten, um eine Maßnahme handelt, die zur Erreichung des vom INSS und von der spanischen Regierung genannten Ziels, das beitrags­be­zogene System der sozialen Sicherheit zu schützen, tatsächlich erforderlich ist, und dass zum anderen dieses Ziel nicht durch eine andere, für die betroffenen Arbeitnehmer weniger einschneidende Maßnahme erreicht werden könnte. Diese Schluss­fol­gerung wird durch das Vorbringen, wonach die beiden bei der Berechnung der Arbeitszeit angewandten Korrek­tur­maß­nahmen Teilzeit­be­schäf­tigten den Zugang zur Altersrente erleichtern sollen, nicht in Frage gestellt. Diese beiden Korrek­tur­maß­nahmen haben nämlich offenkundig auf die Situation von Teilzeit­be­schäf­tigten wie im Fall von Frau Elbal Moreno keinerlei positive Auswirkungen gehabt. Demzufolge verstößt eine derartige nationale Regelung gegen die Richtlinie 79/7 und stellt eine mittelbare Diskriminierung dar.

Erläuterungen

* Siebte Zusatz­be­stimmung der Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Sozia­l­ver­si­che­rungs­gesetz), angenommen durch das Real Decreto Legislativo 1/94 vom 20. Juni 1994 (BOE Nr. 154 vom 29. Juni 1994, S. 20658).

** Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleich­be­handlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. L 6, S. 24).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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