Die Richtlinie über die Familienzusammenführung* bestimmt die Voraussetzungen, unter denen ein Drittstaatsangehöriger, der sich rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedstaats aufhält, u. a. den Nachzug seines Ehegatten** und seiner minderjährigen Kinder beantragen kann (neunter Erwägungsgrund, Art. 1 und 2). Zur Förderung der Integration und zur Vermeidung von Zwangsehen erlaubt die Richtlinie den Mitgliedstaaten, für die Zusammenführung von Ehegatten ein Mindestalter von höchstens 21 Jahren festzusetzen, das sowohl der Zusammenführende als auch sein Ehegatte erreicht haben müssen, bevor der Ehegatte dem Zusammenführenden nachreisen darf. In der Richtlinie ist jedoch nicht festgelegt, auf welchen Zeitpunkt die nationalen Behörden zur Klärung der Frage abstellen müssen, ob die Voraussetzung des Mindestalters erfüllt ist.
In Österreich müssen Ehegatten und eingetragene Partner das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung vollendet haben, um nachzugsberechtigt zu sein. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hat den Gerichtshof gefragt, ob die Richtlinie einer solchen Regelung entgegensteht. Er war von einer afghanischen Staatsangehörigen angerufen worden, deren Antrag auf Zusammenführung mit ihrem in Österreich lebenden afghanischen Ehemann abgewiesen worden war, weil dieser zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Zum Zeitpunkt der Abweisung des Antrags hatte er das Alter von 21 Jahren allerdings erreicht.
Mit seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach Ehegatten und eingetragene Partner das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung vollendet haben müssen, um als nachzugsberechtigt gelten zu können.
Eine solche Regelung geht nicht über den Gestaltungsspielraum hinaus, den die Mitgliedstaaten bei der Festsetzung des Mindestalters besitzen. Nach den Ausführungen des Gerichtshofs entspricht dieses Alter letztlich dem Alter, ab dem eine Person nach Auffassung des betreffenden Mitgliedstaats nicht nur für die Verweigerung einer erzwungenen Eheschließung die nötige Reife besitzen dürfte, sondern auch für die Entscheidung, sich freiwillig mit dem Ehegatten in einem anderen Land niederzulassen, um dort mit ihm ein Familienleben zu führen und sich dort zu integrieren. Durch eine Regelung wie die in Österreich geltende wird weder die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung verhindert noch Letztere übermäßig erschwert.
Eine solche Regelung steht auch mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit im Einklang. Sie ermöglicht es nämlich, die Gleichbehandlung aller Antragsteller zu gewährleisten, die sich zeitlich in der gleichen Situation befinden, indem sichergestellt wird, dass der Erfolg eines Antrags in erster Linie von Umständen abhängt, die in der Sphäre der Antragsteller liegen, nicht aber von Umständen, die in der Behördensphäre liegen (wie die Dauer der Bearbeitung des Antrags).
Erläuterungen
* Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12).
** Nach der Richtlinie können die Mitgliedstaaten beschließen, eingetragene Lebenspartner im Hinblick auf die Familienzusammenführung ebenso zu behandeln wie Ehepartner (Art. 4 Abs. 3).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 18.07.2014
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online