Im zugrunde liegenden Fall erhielten mehrere Beschäftigte – darunter Frau Valenza –, die bei der italienischen Wettbewerbsbehörde (Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato, AGCM) im Rahmen aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge tätig waren, von dieser Behörde einen unbefristeten Arbeitsvertrag, verbunden mit der Einweisung in eine Planstelle.
Dieses so genannte Stabilisierungsverfahren für Beschäftigte des öffentlichen Sektors, das in einer italienischen Sonderregelung vorgesehen ist, verschafft einem Arbeitnehmer – wenn er bestimmte Voraussetzungen in Bezug auf die Dauer seines Arbeitsverhältnisses und das bei seiner Einstellung durchgeführte Auswahlverfahren erfüllt – den Beamtenstatus. Seine anfänglichen Bezüge werden ohne Anerkennung des im Rahmen befristeter Verträge erreichten Dienstalters festgesetzt. Die AGCM versagte daher diesen Beschäftigten die Anerkennung der zuvor bei ihr im Rahmen befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Dienstzeiten. Die Beschäftigten gingen dagegen vor.
Der Consiglio di Stato (Italien) möchte vom Gerichtshof wissen, ob die europäische "Rahmenvereinbarung" über befristete Arbeitsverträge1 dieser italienischen Regelung entgegensteht.
In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass das Diskriminierungsverbot in der Rahmenvereinbarung vorsieht, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmer in ihren Beschäftigungsbedingungen nur wegen ihrer befristeten Beschäftigung gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden dürfen, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Auch wenn die Betroffenen mittlerweile Dauerbeschäftigte sind, können sie sich auf diesen Grundsatz berufen, so dass er im vorliegenden Fall anwendbar ist.
Der Gerichtshof vergleicht sodann die Situation der Dauerbeschäftigten mit der befristet beschäftigter Arbeitnehmer. Er führt hierzu aus, dass – wie die italienische Regierung selbst erläutert hat – die nationale Regelung gerade dazu dienen soll, die beim Arbeitgeber erworbene Berufserfahrung zu valorisieren.
Der Gerichtshof stellt klar, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob sich die Beschäftigten, als sie ihre Aufgaben im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrags wahrnahmen, in einer vergleichbaren Situation wie die unbefristet angestellten Berufsbeamten befanden. Die Art der Aufgaben, die diese Beschäftigten im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse wahrnahmen, und die Art der Berufserfahrung, die sie dabei erwarben, stellen nämlich Kriterien dar, anhand deren sich feststellen lässt, ob ihre Situation mit derjenigen der Berufsbeamten vergleichbar ist. Jedenfalls kann der Umstand, dass sie – im Unterschied zu den Berufsbeamten – nicht mit Erfolg an einem öffentlichen Auswahlverfahren für den Zugang zum öffentlichen Dienst teilgenommen haben, nicht bedeuten, dass sie sich in einer unterschiedlichen Situation befinden, da die vom nationalen Gesetzgeber festgelegten Voraussetzungen gerade dazu dienen, die Stabilisierung allein der befristet beschäftigten Arbeitnehmer zu ermöglichen, deren Situation derjenigen der Berufsbeamten gleichgestellt werden kann.
Sollten die bei der AGCM im Rahmen befristeter Arbeitsverträge wahrgenommenen Aufgaben denjenigen eines Berufsbeamten der einschlägigen Laufbahn entsprechen, wäre sodann zu prüfen, ob die Nichtberücksichtigung der im Rahmen befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Dienstzeiten durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.
Dazu führt der Gerichtshof aus, dass ein sachlicher Grund, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, in einem speziellen Zusammenhang und bei Vorhandensein genau bezeichneter, konkreter Umstände, die sich aus der besonderen Art der Aufgaben ergeben, bestehen kann. Die Ungleichbehandlung muss auf objektiven und transparenten Kriterien beruhen, die die Prüfung erlauben, ob sie einem echten Bedarf entspricht und ob sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Jedenfalls stellt der bloße Umstand, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer Dienstzeiten auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags zurückgelegt hat, keinen solchen sachlichen Grund dar. Die bloße temporäre Natur eines Arbeitsverhältnisses zur Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern und Dauerbeschäftigten ausreichen zu lassen, würde nämlich die Ziele des Unionsrechts ihrer Substanz berauben und liefe auf die Fortschreibung einer für befristet beschäftigte Arbeitnehmer ungünstigen Situation hinaus.
Der Gerichtshof räumt ein, dass die Mitgliedstaaten bei der Organisation ihrer öffentlichen Verwaltungen und dem Zugang zum öffentlichen Dienst über ein Ermessen verfügen. Gleichwohl müssen die von den Mitgliedstaaten aufgestellten Kriterien in transparenter und nachprüfbarer Weise angewandt werden, um zu verhindern, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmer allein wegen der Befristung der Arbeitsverträge, mit denen sie ihre Dienstzeit und ihre Berufserfahrung nachweisen, benachteiligt werden. So könnten einige der Unterschiede hinsichtlich der Einstellung befristet beschäftigter Arbeitnehmer im Rahmen von Stabilisierungsverfahren gegenüber den aufgrund eines öffentlichen Auswahlverfahrens eingestellten Berufsbeamten, der verlangten Qualifikationen und der Art der Aufgaben, für die sie die Verantwortung zu tragen haben, grundsätzlich eine unterschiedliche Behandlung in Bezug auf ihre Beschäftigungsbedingungen rechtfertigen. Eine unterschiedliche Behandlung, bei der objektive Erfordernisse berücksichtigt werden, die sich auf die mit dem Einstellungsverfahren zu besetzende Stelle beziehen und nichts mit der Befristung des Arbeitsverhältnisses zu tun haben, könnte daher gerechtfertigt sein.
Das – von der italienischen Regierung angegebene – Ziel, eine umgekehrte Diskriminierung der nach erfolgreicher Absolvierung eines öffentlichen Auswahlverfahrens eingestellten Berufsbeamten zu vermeiden, könnte einen „sachlichen Grund“ darstellen. Der Gerichtshof ist jedoch der Ansicht, dass die italienische Regelung unverhältnismäßig ist, da sie die Berücksichtigung sämtlicher im Rahmen befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Dienstzeiten bei der Bestimmung ihres Dienstalters anlässlich ihrer unbefristeten Einstellung und somit der Höhe ihres Gehalts vollständig ausschließt. Ein solcher vollständiger und absoluter Ausschluss beruht nämlich auf der falschen Annahme, dass der unbefristete Charakter des Arbeitsverhältnisses bestimmter öffentlicher Bediensteter für sich genommen eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den befristet eingestellten öffentlichen Bediensteten rechtfertige, und beraubt damit die Ziele der Richtlinie und der Rahmenvereinbarung ihrer Substanz.
Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob „sachliche Gründe“ vorliegen, die diese unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 22.10.2012
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online