15.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil18.10.2012

Dienstzeiten aus befristeten Arbeits­ver­hält­nissen müssen zur Erzielung des Beamten­sta­tusses anerkannt werdenBefristeter Arbeitsvertrag stellt keinen "sachlicher Grund" zum Ausschuss dar

Sofern Dienstzeiten eines Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst, der zuvor ein befristetes Arbeits­ver­hältnis hatte und im Anschluss über ein unbefristetes Dienst­ver­hältnis verfügt, zur Stabilisierung des Arbeits­ver­hält­nisses nicht anerkannt werden, verstößt dies gegen das Unionsrecht; es sei denn, es liegen sachliche Gründe vor. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Im zugrunde liegenden Fall erhielten mehrere Beschäftigte – darunter Frau Valenza –, die bei der italienischen Wettbe­wer­bs­behörde (Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato, AGCM) im Rahmen aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge tätig waren, von dieser Behörde einen unbefristeten Arbeitsvertrag, verbunden mit der Einweisung in eine Planstelle.

Beamtenstatus durch Stabi­li­sie­rungs­ver­fahren für Beschäftigte im öffentlichen Sektor

Dieses so genannte Stabi­li­sie­rungs­ver­fahren für Beschäftigte des öffentlichen Sektors, das in einer italienischen Sonderregelung vorgesehen ist, verschafft einem Arbeitnehmer – wenn er bestimmte Voraussetzungen in Bezug auf die Dauer seines Arbeits­ver­hält­nisses und das bei seiner Einstellung durchgeführte Auswahlverfahren erfüllt – den Beamtenstatus. Seine anfänglichen Bezüge werden ohne Anerkennung des im Rahmen befristeter Verträge erreichten Dienstalters festgesetzt. Die AGCM versagte daher diesen Beschäftigten die Anerkennung der zuvor bei ihr im Rahmen befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Dienstzeiten. Die Beschäftigten gingen dagegen vor.

Der Consiglio di Stato (Italien) möchte vom Gerichtshof wissen, ob die europäische "Rahmen­ver­ein­barung" über befristete Arbeits­ver­träge1 dieser italienischen Regelung entgegensteht.

Befristete Arbeitnehmer dürfen nicht schlechter behandelt werden als Dauer­be­schäftigte

In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass das Diskriminierungsverbot in der Rahmen­ver­ein­barung vorsieht, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmer in ihren Beschäf­ti­gungs­be­din­gungen nur wegen ihrer befristeten Beschäftigung gegenüber vergleichbaren Dauer­be­schäf­tigten nicht schlechter behandelt werden dürfen, es sei denn, die unter­schiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Auch wenn die Betroffenen mittlerweile Dauer­be­schäftigte sind, können sie sich auf diesen Grundsatz berufen, so dass er im vorliegenden Fall anwendbar ist.

Nationale Regelung dient zur Valorisierung der erworbenen Berufserfahrung

Der Gerichtshof vergleicht sodann die Situation der Dauer­be­schäf­tigten mit der befristet beschäftigter Arbeitnehmer. Er führt hierzu aus, dass – wie die italienische Regierung selbst erläutert hat – die nationale Regelung gerade dazu dienen soll, die beim Arbeitgeber erworbene Berufserfahrung zu valorisieren.

Anhand bestimmter Kriterien kann festgestellt werden, ob die Situation mit derjenigen eines Berufsbeamten vergleichbar ist

Der Gerichtshof stellt klar, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob sich die Beschäftigten, als sie ihre Aufgaben im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrags wahrnahmen, in einer vergleichbaren Situation wie die unbefristet angestellten Berufsbeamten befanden. Die Art der Aufgaben, die diese Beschäftigten im Rahmen befristeter Arbeits­ver­hältnisse wahrnahmen, und die Art der Berufserfahrung, die sie dabei erwarben, stellen nämlich Kriterien dar, anhand deren sich feststellen lässt, ob ihre Situation mit derjenigen der Berufsbeamten vergleichbar ist. Jedenfalls kann der Umstand, dass sie – im Unterschied zu den Berufsbeamten – nicht mit Erfolg an einem öffentlichen Auswahl­ver­fahren für den Zugang zum öffentlichen Dienst teilgenommen haben, nicht bedeuten, dass sie sich in einer unter­schied­lichen Situation befinden, da die vom nationalen Gesetzgeber festgelegten Voraussetzungen gerade dazu dienen, die Stabilisierung allein der befristet beschäftigten Arbeitnehmer zu ermöglichen, deren Situation derjenigen der Berufsbeamten gleichgestellt werden kann.

Überprüfung der zurückgelegten Dienstzeiten

Sollten die bei der AGCM im Rahmen befristeter Arbeitsverträge wahrgenommenen Aufgaben denjenigen eines Berufsbeamten der einschlägigen Laufbahn entsprechen, wäre sodann zu prüfen, ob die Nicht­be­rück­sich­tigung der im Rahmen befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Dienstzeiten durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.

Ungleich­be­handlung muss auf objektiven und transparenten Kriterien beruhen

Dazu führt der Gerichtshof aus, dass ein sachlicher Grund, der eine Ungleich­be­handlung rechtfertigt, in einem speziellen Zusammenhang und bei Vorhandensein genau bezeichneter, konkreter Umstände, die sich aus der besonderen Art der Aufgaben ergeben, bestehen kann. Die Ungleich­be­handlung muss auf objektiven und transparenten Kriterien beruhen, die die Prüfung erlauben, ob sie einem echten Bedarf entspricht und ob sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Jedenfalls stellt der bloße Umstand, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer Dienstzeiten auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags zurückgelegt hat, keinen solchen sachlichen Grund dar. Die bloße temporäre Natur eines Arbeits­ver­hält­nisses zur Rechtfertigung einer unter­schied­lichen Behandlung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern und Dauer­be­schäf­tigten ausreichen zu lassen, würde nämlich die Ziele des Unionsrechts ihrer Substanz berauben und liefe auf die Fortschreibung einer für befristet beschäftigte Arbeitnehmer ungünstigen Situation hinaus.

Von Mitgliedstaaten aufgestellte Kriterien sollen Benachteiligung von befristeten Arbeitnehmern verhindern

Der Gerichtshof räumt ein, dass die Mitgliedstaaten bei der Organisation ihrer öffentlichen Verwaltungen und dem Zugang zum öffentlichen Dienst über ein Ermessen verfügen. Gleichwohl müssen die von den Mitgliedstaaten aufgestellten Kriterien in transparenter und nachprüfbarer Weise angewandt werden, um zu verhindern, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmer allein wegen der Befristung der Arbeitsverträge, mit denen sie ihre Dienstzeit und ihre Berufserfahrung nachweisen, benachteiligt werden. So könnten einige der Unterschiede hinsichtlich der Einstellung befristet beschäftigter Arbeitnehmer im Rahmen von Stabi­li­sie­rungs­ver­fahren gegenüber den aufgrund eines öffentlichen Auswahl­ver­fahrens eingestellten Berufsbeamten, der verlangten Qualifikationen und der Art der Aufgaben, für die sie die Verantwortung zu tragen haben, grundsätzlich eine unter­schiedliche Behandlung in Bezug auf ihre Beschäf­ti­gungs­be­din­gungen rechtfertigen. Eine unter­schiedliche Behandlung, bei der objektive Erfordernisse berücksichtigt werden, die sich auf die mit dem Einstel­lungs­ver­fahren zu besetzende Stelle beziehen und nichts mit der Befristung des Arbeits­ver­hält­nisses zu tun haben, könnte daher gerechtfertigt sein.

Umgekehrte Diskriminierung kann "sachlichen Grund" darstellen

Das – von der italienischen Regierung angegebene – Ziel, eine umgekehrte Diskriminierung der nach erfolgreicher Absolvierung eines öffentlichen Auswahl­ver­fahrens eingestellten Berufsbeamten zu vermeiden, könnte einen „sachlichen Grund“ darstellen. Der Gerichtshof ist jedoch der Ansicht, dass die italienische Regelung unver­hält­nismäßig ist, da sie die Berück­sich­tigung sämtlicher im Rahmen befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Dienstzeiten bei der Bestimmung ihres Dienstalters anlässlich ihrer unbefristeten Einstellung und somit der Höhe ihres Gehalts vollständig ausschließt. Ein solcher vollständiger und absoluter Ausschluss beruht nämlich auf der falschen Annahme, dass der unbefristete Charakter des Arbeits­ver­hält­nisses bestimmter öffentlicher Bediensteter für sich genommen eine unter­schiedliche Behandlung gegenüber den befristet eingestellten öffentlichen Bediensteten rechtfertige, und beraubt damit die Ziele der Richtlinie und der Rahmen­ver­ein­barung ihrer Substanz.

Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob „sachliche Gründe“ vorliegen, die diese unter­schiedliche Behandlung rechtfertigen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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