21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil17.09.2015

Fluggästen steht bei Annullierung eines Fluges wegen unerwarteter technischer Probleme Ausgleichs­zahlung zuLuft­fahrt­unternehmen können nur in Ausnahmen bei versteckten Fabri­ka­ti­o­ns­fehlern von Ausgleichs­pflicht befreit werden

Luft­fahrt­unternehmen müssen Fluggästen auch bei Annullierung eines Fluges wegen unerwarteter technischer Probleme Ausgleich leisten. Jedoch können bestimmte technische Probleme, die u. a. aus versteckten Fabri­ka­ti­o­ns­fehlern, die die Flugsicherheit beeinträchtigen, aus Sabotageakten oder aus terroristischen Handlungen resultieren, die Luft­fahrt­unternehmen von ihrer Ausgleichs­pflicht befreien. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Im Fall der Annullierung eines Fluges ist das Luftfahrtunternehmen nach dem Unionsrecht* verpflichtet, den betroffenen Fluggästen Betreuungs- und Ausgleichs­leis­tungen (je nach Entfernung zwischen 250 und 600 Euro) zu erbringen. Es ist allerdings dann nicht zu einer solchen Ausgleichs­zahlung verpflichtet, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außer­ge­wöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Sachverhalt

Im zugrunde liegenden Verfahren hatte Frau van der Lans ein Flugticket für einen von KLM durchgeführten Flug von Quito (Ecuador) nach Amsterdam (Niederlande) gebucht. Das Flugzeug landete in Amsterdam mit einer Verspätung von 29 Stunden. Nach Angaben von KLM war die Verspätung auf außer­ge­wöhnliche Umstände, nämlich eine Kombination von Mängeln zurückzuführen: Zwei Teile, die Kraftstoffpumpe und die hydro­me­cha­nische Einheit, seien defekt gewesen. Diese Teile, die nicht verfügbar gewesen seien, hätten per Flugzeug aus Amsterdam geliefert werden müssen, um sodann in das betreffende Flugzeug eingebaut zu werden. KLM wies ferner darauf hin, dass bei den defekten Teilen die durch­schnittliche Lebensdauer nicht überschritten gewesen sei. Auch habe deren Hersteller keinen spezifischen Hinweis gegeben, der darauf hindeutete, dass bei diesen Teilen ab einem bestimmten Alter Mängel auftreten könnten.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Frage eines Ausgleichs­an­spruchs bei einem unerwarteten technischen Defekt

Frau van der Lans erhob Klage bei der Rechtbank Amsterdam, die dem Gerichtshof Fragen zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt hat. Sie möchte wissen, ob ein technisches Problem, das unerwartet auftrat, das nicht auf eine fehlerhafte Wartung zurückzuführen und auch nicht während einer regulären Wartung festgestellt worden ist, unter den Begriff „außer­ge­wöhnliche Umstände“ fällt und somit das Luftfahrt­un­ter­nehmen von seiner Ausgleichs­pflicht befreit.

Die Flugsicherheit gefährdender versteckter Fabri­ka­ti­o­ns­fehler wäre als "außer­ge­wöhn­licher Umstand" einzustufen

In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass aus seiner Rechtsprechung hervorgeht, dass technische Probleme tatsächlich zu den außer­ge­wöhn­lichen Umständen zählen können. Die Umstände im Zusammenhang mit dem Auftreten dieser Probleme können jedoch nur dann als „außergewöhnlich“ eingestuft werden, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrt­un­ter­nehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 22.12.2008 - C-549/07 -). So verhält es sich nach Auffassung des Gerichtshofs u. a. dann, wenn der Hersteller der Maschinen, aus denen die Flotte des betroffenen Luftfahrt­un­ter­nehmens besteht, oder eine zuständige Behörde entdeckte, dass diese bereits in Betrieb genommenen Maschinen einen versteckten Fabri­ka­ti­o­ns­fehler aufweisen, der die Flugsicherheit beeinträchtigt. Gleiches gelte auch bei durch Sabotageakte oder terroristische Handlungen verursachten Schäden an den Flugzeugen.

Technische Probleme in der Regel keine "außer­ge­wöhn­lichen Umstände"

Da jedoch der Betrieb von Flugzeugen unausweichlich technische Probleme mit sich bringt, sehen sich Luftfahrt­un­ter­nehmen im Rahmen ihrer Tätigkeit gewöhnlich solchen Problemen gegenüber. Im Hinblick hierauf können technische Probleme, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen oder infolge einer unterbliebenen Wartung auftreten, als solche keine "außer­ge­wöhn­lichen Umstände" darstellen.

Kein Teil eines Flugzeugs hat unbegrenzte Lebensdauer

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass ein Ausfall, der durch das vorzeitige Auftreten von Mängeln an bestimmten Teilen eines Flugzeugs hervorgerufen wurde, zwar ein unerwartetes Vorkommnis darstellt. Dennoch bleibt ein solcher Ausfall untrennbar mit dem sehr komplexen System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden, das vom Luftfahrt­un­ter­nehmen oft unter schwierigen oder gar extremen Bedingungen, insbesondere Wetter­be­din­gungen, betrieben wird, wobei kein Teil eines Flugzeugs eine unbegrenzte Lebensdauer hat.

Unerwarteter technischer Defekt ist Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrt­un­ter­nehmens

Daher ist dieses unerwartete Vorkommnis im Rahmen der Tätigkeit eines Luftfahrt­un­ter­nehmens Teil der normalen Ausübung seiner Tätigkeit, und das Luftfahrt­un­ter­nehmen sieht sich dieser Art von unvor­her­ge­sehenen technischen Problemen gewöhnlich gegenüber. Im Übrigen ist die Vorbeugung eines solchen Ausfalls oder der dadurch hervorgerufenen Reparatur, einschließlich des Austauschs eines vorzeitig defekten Teils, vom betroffenen Luftfahrt­un­ter­nehmen zu beherrschen, da es seine Aufgabe ist, die Wartung und den reibungslosen Betrieb der Flugzeuge, die es zum Zweck seiner wirtschaft­lichen Tätigkeiten betreibt, sicherzustellen. Folglich kann ein technisches Problem wie das in Rede stehende nicht unter den Begriff "außer­ge­wöhnliche Umstände" fallen.

Luftfahrt­un­ter­nehmen kann Schaden­ver­ur­sacher in Regress nehmen

In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof ferner darauf hin, dass die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen unbeschadet des Rechts des Luftfahrt­un­ter­nehmens zu erfüllen sind, bei anderen Schadens­ver­ur­sachern, wie insbesondere dem Hersteller bestimmter defekter Teile, Regress zu nehmen.

Erläuterungen

* Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unter­stüt­zungs­leis­tungen für Fluggäste im Fall der Nicht­be­för­derung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, S. 1).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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