15.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil28.05.2013

Streichung von der Liste terroristischer Organisationen: Betroffener hat Anspruch auf Nichti­g­er­klärungBejahte Rechts­wid­rigkeit kann Wieder­gut­machung des erlittenen immateriellen Schadens darstellen

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass eine Person, gegen die eine Maßnahme des Einfrierens von Geldern gerichtet wurde, ein Interesse daran behält, dass die Maßnahme vom Unionsrichter für nichtig erklärt wird, selbst wenn sie im Lauf des Verfahrens aufgehoben worden ist. Das Bejahen der Rechts­wid­rigkeit kann eine Form der Wieder­gut­machung des erlittenen immateriellen Schadens darstellen.

Am 21. Oktober 2008 wurde der Name von Herrn Abdulrahim in die Liste, die der Sankti­o­ns­aus­schuss* des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen 1999 zur Situation in Afghanistan erstellt hatte, aufgenommen, weil er an der Mittel­be­schaffung zugunsten der Libyschen Islamischen Kampfgruppe (Libyan Islamic Fighting Group, LIFG) beteiligt gewesen sei und in der LIFG führende Positionen innegehabt habe. Daher wurde Herr Abdulrahim in die Liste aufgenommen, die gemäß der Regelung der Europäischen Union** betreffend Personen und Organisationen, deren Gelder einzufrieren sind, erstellt worden war, und zwar durch die Verordnung über die Anwendung bestimmter restriktiver Maßnahmen gegen Personen, die mit Osama bin Laden*** in Verbindung stehen (im Folgenden: streitige Liste).

Kläger hält Einfrieren der Gelder für unver­hält­nis­mäßige Maßnahme

2009 erhob Herr Abdulrahim beim Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichti­g­er­klärung der gegen ihn gerichteten europäischen Regelung. Er machte geltend, dass weder der Rat noch die Kommission die Gründe für seine Aufnahme erläutert hätten, dass ihm die ihm zur Last gelegten Umstände nicht mitgeteilt worden seien und dass er hierzu nicht gehört worden sei. Er trug vor, dass das Einfrieren der Gelder eine unver­hält­nis­mäßige Maßnahme sei, da es sein Eigentumsrecht und sein Recht auf Privatleben beeinträchtige. Schließlich machte er geltend, dass er zu keiner Zeit mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk oder den Taliban in Verbindung gestanden habe.

Name von Herrn Abdulrahim wird aus Liste gestrichen

Als die Rechtssache dem Gericht zur Prüfung vorlag, wurde der Name von Herrn Abdulrahim zunächst aus der Liste des Sankti­o­ns­aus­schusses und dann durch eine Verordnung**** aus der streitigen Liste gestrichen. Da das Gericht der Ansicht war, dass der Antrag auf Nichti­g­er­klärung seiner Aufnahme in die Liste infolgedessen gegenstandslos geworden sei, entschied es mit Beschluss*****, dass sich die Hauptsache erledigt habe, obwohl Herr Abdulrahim dem entgegen getreten ist.

Kläger macht unterlaufen Rechtsfehler seitens des Gerichts geltend

Zur Stützung seines Rechtsmittels, das er beim Gerichtshof gegen den Beschluss eingelegt hat, macht Herr Abdulrahim geltend, dem Gericht sei ein Rechtsfehler unterlaufen, als es die Ansicht vertreten habe, dass er kein Rechts­schut­z­in­teresse mehr habe, weil ihm die Nichti­g­er­klärung der Verordnung, mit der er in die streitige Liste aufgenommen worden sei, keinen Vorteil verschaffen könne.

Nichtig­keitsklage beim Gericht war auf Unterbindung der fortdauernden Verletzung seines Privat- und Familienlebens gerichtet

Er beruft sich insbesondere auf sein offenkundiges Interesse an einer Gericht­s­ent­scheidung, um den Rechtsakt für nichtig erklären zu lassen, durch den er als Person bezeichnet worden sei, die Verbindungen zu einer terroristischen Vereinigung habe. Konkret war seine Nichtigkeitsklage beim Gericht darauf gerichtet, der fortdauernden Verletzung seines Privat- und Familienlebens Einhalt zu gebieten, seinen Ruf wieder­her­zu­stellen und die Anstellungs- und Reise­hin­dernisse sowie die sich für ihn und für seine Familie ergebenden Folgen seiner Aufnahme in die streitige Liste zu beseitigen.

Vom Rechtsakt Betroffener behält Interesse an Nichti­g­er­klärung einer Sache

In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst auf seine Rechtsprechung hin, mit der er anerkannt hat, dass das Rechts­schut­z­in­teresse eines Klägers nicht zwangsläufig entfällt, weil der angefochtene Rechtsakt im Lauf des Verfahrens außer Kraft tritt. Vielmehr behält der von diesem Rechtsakt Betroffene ein Interesse an dessen Nichti­g­er­klärung, sei es, um zu erreichen, dass er wieder in einen früheren Stand versetzt wird, sei es, um den Urheber der angefochtenen Handlung zu veranlassen, sie für die Zukunft in geeigneter Weise zu ändern und um somit das Risiko zu vermeiden, dass sich der Rechtsverstoß in Zukunft wiederholt, sei es schließlich, um eine etwaige Haftungsklage zu erheben.

Gerichtshof verweist auf Unterschied zwischen Aufhebung einer Handlung und Nichtig­keits­urteil

Der Gerichtshof bestätigt sodann die vom Gericht vorgenommene Unterscheidung zwischen der Aufhebung einer Handlung (die keine rückwirkende Anerkennung ihrer Rechts­wid­rigkeit impliziert) und einem Nichtig­keits­urteil (mit dem die Handlung rückwirkend aus der Rechtsordnung entfernt und sie so betrachtet wird, als ob sie niemals bestanden hätte). Insofern stellt der Gerichtshof fest, dass das Gericht zu Unrecht zu dem Schluss gekommen ist, dass dieser Unterschied für Herrn Abdulrahim kein Interesse an der Nichti­g­er­klärung der ihn betreffenden Verordnung begründen könne.

Einfrieren von Geldern erschüttert Berufs- und Familienleben

Der Gerichtshof hebt nämlich hervor, dass die restriktiven Maßnahmen konkrete negative Konsequenzen für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen haben: Das Einfrieren von Geldern erschüttert zutiefst ihr Berufs- und Familienleben und behindert ihre Freiheit zum Abschluss von Rechts­ge­schäften. Außerdem sind restriktive Maßnahmen mit einer Stigmatisierung und mit Misstrauen durch die Gesellschaft verbunden.

Gericht ist bei verneintem Rechts­schut­z­in­teresse des Klägers Rechtsfehler unterlaufen

Der Gerichtshof folgert daraus, dass das Rechts­schut­z­in­teresse von Herrn Abdulrahim, vom Unionsrichter anerkennen zu lassen, dass er niemals in diese Liste hätte aufgenommen werden dürfen, trotz der Streichung seines Namens aus der streitigen Liste fortbesteht. In Anbetracht des Ausmaßes der Beein­träch­tigung seines Rufes hat Herr Abdulrahim ein Rechts­schut­z­in­teresse daran, die Nichti­g­er­klärung der Verordnung Nr. 1330/2008, soweit sie ihn betrifft, zu beantragen und, falls seiner Klage stattgegeben werden sollte, seine Rehabilitierung und somit eine gewisse Form der Wieder­gut­machung seines immateriellen Schadens zu erlangen. Folglich ist dem Gericht bei seiner Entscheidung, dass der Kläger kein Rechts­schut­z­in­teresse mehr habe, ein Rechtsfehler unterlaufen.

Da das Gericht die Begründetheit des Rechtsstreits nicht geprüft hat, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass der Rechtsstreit nicht zur Entscheidung reif ist; daher verweist er die Sache an das Gericht zurück.

Erläuterungen
* Ausschuss, der mit der Resolution 1267 (1999) des Sicher­heitsrates der Vereinten Nationen vom 15. Oktober 1999 zur Situation in Afghanistan eingesetzt wurde.

** Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen (ABl. L 139, S. 9).

*** Verordnung (EG) Nr. 1330/2008 der Kommission vom 22. Dezember 2008 (ABl. L 345, S. 60).

**** Verordnung (EU) Nr. 36/2011 der Kommission vom 18. Januar 2011 zur 143. Änderung der Verordnung Nr. 881/2002 (ABl. L 14, S. 11).

***** Beschluss des Gerichts vom 28. Februar 2012 (T-127/09). Nach Art. 113 seiner Verfah­rens­ordnung kann das Gericht darüber entscheiden, ob unverzichtbare Prozess­vor­aus­set­zungen fehlen, oder feststellen, dass die Klage gegenstandslos geworden und die Hauptsache erledigt ist.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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