15.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil14.09.2016

Verlängerung befristeter Arbeitsverträge zur Deckung eines dauerhaften Personalbedarfs verstößt gegen UnionsrechtVerwendung befristeter Verträge grundsätzlich nur zur Deckung zeitweiligen Bedarfs gerechtfertigt

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass der Rückgriff auf aufein­an­der­folgende befristete Verträge zur Deckung eines dauerhaften Bedarfs im Bereich der Gesund­heits­dienste gegen Unionsrecht verstößt. Die Verwendung solcher Verträge kann nur damit gerechtfertigt werden, dass ein zeitweiliger Bedarf gedeckt werden muss.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Frau María Elena Pérez López wurde für den Zeitraum vom 5. Februar bis zum 31. Juli 2009 als Kranken­schwester im Univer­si­täts­kran­kenhaus von Madrid eingestellt. Ihre Ernennung wurde mit der "Ausführung bestimmter zeitlich begrenzter, konjunktureller oder außer­or­dent­licher Dienste" gerechtfertigt. Die Ernennung von Frau Pérez López wurde mittels identisch formulierter befristeter Arbeitsverträge siebenmal verlängert. Kurz vor Ablauf ihres letzten Vertrags im März 2013 teilte ihr die Verwaltung mit, dass sie erneut ernannt werde, so dass sie zwischen Februar 2009 und Juni 2013 ununterbrochen für das Krankenhaus arbeitete. Parallel hierzu wurde Frau Pérez López darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihr Arbeits­ver­hältnis danach auslaufe.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung zur Zulässigkeit der Verlängerung befristeter Arbeitsverträge im Gesund­heits­dienst

Frau Pérez López erhob gegen die Entscheidung über die Beendigung ihres Arbeits­ver­hält­nisses Klage. Nach ihrer Auffassung dienten ihre aufein­an­der­fol­genden Ernennungen nicht der Deckung eines konjunkturellen oder außer­or­dent­lichen Bedarfs der Gesund­heits­dienste, sondern entsprachen in Wirklichkeit einer dauerhaften Tätigkeit. Der mit dieser Klage befasste Juzgado de la Contencioso Administrativo n° 4 de Madrid (Verwal­tungs­gericht Nr. 4 Madrid, Spanien) fragt den Gerichtshof, ob die spanische Regelung, die die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge im Bereich der Gesund­heits­dienste zulässt, gegen die Rahmen­ver­ein­barung über befristete Arbeits­ver­träge* (eine Vereinbarung, nach der die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen müssen, um Missbräuchen durch die Verwendung aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge vorzubeugen und die Prekarisierung der Lage der Beschäftigten zu verhindern) verstößt. Dieses Gericht hat insbesondere Zweifel in Bezug auf die sachlichen Gründe, die eine Verlängerung solcher Verträge rechtfertigen können.

Nationale Regelung bei dauerhaft bestehendem Personalbedarf unzulässig

Mit seinem Urteil entschied der Gerichtshof, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge zur Deckung eines zeitweiligen Personalbedarfs ermöglicht, während dieser Bedarf in Wirklichkeit ständig besteht.

Verwendung befristeter Arbeitsverträge bedarf bestimmter Gründe

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Rahmen­ver­ein­barung die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vermeidung der missbräuch­lichen Verwendung befristeter Arbeitsverträge verpflichtet, in ihrer Gesetzgebung mindestens einen der drei folgenden Punkte durch ein Mittel ihrer Wahl zu regeln: 1) sachliche Gründe, die die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen, 2) die insgesamt maximal zulässige Dauer, für die solche aufein­an­der­fol­genden Verträge geschlossen werden können, und 3) die zulässige Zahl ihrer Verlängerungen.

Vorübergehende Vertretung eines Arbeitnehmers kann sachlichen Grund zur Deckung eines zeitweiligen Bedarfs darstellen

Da die spanische Regelung keine Beschränkung zur Dauer oder zur Zahl der Verlängerungen befristeter Arbeitsverträge vorsieht (Nrn. 2 und 3 der vorstehenden Aufzählung), prüft der Gerichtshof, ob ein auf genau bezeichnete, konkrete Umstände bezogener sachlicher Grund die aufein­an­der­fol­genden Ernennungen von Frau Pérez López rechtfertigen konnte (Nr. 1 der vorstehenden Aufzählung). Insoweit erkennt der Gerichtshof an, dass die vorübergehende Vertretung eines Arbeitnehmers zur Deckung eines zeitweiligen Bedarfs einen sachlichen Grund darstellen kann. Er stellt jedoch fest, dass die Verträge nicht für ständige und dauerhafte Aufgaben verlängert werden können, die zur normalen Tätigkeit des festen Kranken­haus­per­sonals gehören. Der sachliche Grund muss die Erfor­der­lichkeit der Deckung eines zeitweiligen und nicht eines ständigen Bedarfs konkret rechtfertigen können.

Verlängerungen beruhen vorliegend offensichtlich nicht auf bloßem zeitweiligen Bedarf des Arbeitgebers

Im Fall von Frau Pérez López beruhen ihre aufein­an­der­fol­genden Ernennungen offensichtlich nicht auf einem bloß zeitweiligen Bedarf des Arbeitgebers. Eine solche Verlängerung befristeter Arbeitsverträge führt zu einer Unsicherheit, unter der in Anbetracht des strukturellen Mangels an Planstellen im Bereich der Gesund­heits­dienste in der Autonomen Gemeinschaft Madrid nicht nur Frau Pérez López zu leiden hatte.

Spanische Regelung verstößt gegen Rahmen­ver­ein­barung

Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass für die spanische öffentliche Verwaltung keinerlei Verpflichtung zur Schaffung von Planstellen besteht und dass es ihr freisteht, die Stellen durch die Ernennung von für eine Übergangszeit beschäftigten Kräften (sogenanntes Interims­personal) zu besetzen, und zwar ohne eine Beschränkung der Dauer der Verträge oder der Anzahl ihrer Verlängerungen. Daraus ergibt sich, dass die Unsicherheit, in der sich die Arbeitnehmer befinden, andauern würde. Daher entscheidet der Gerichtshof, dass die spanische Regelung, indem sie trotz eines strukturellen Mangels an Planstellen die Verlängerung von befristeten Verträgen zur Deckung eines ständigen und dauerhaften Bedarfs zulässt, gegen die Rahmen­ver­ein­barung verstößt.

Erläuterungen
Der Gerichtshof hat ferner zwei weitere Urteile über die Verwendung befristeter Arbeitsverträge in Spanien erlassen (nämlich zum einen das Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-184/15 Florentina Martínez Andrés/Servicio Vasco de Salud und C-197/15 Juan Carlos Castrejana López/Ayuntamiento de Vitoria sowie zum anderen das Urteil in der Rechtssache C-596/14 Ana de Diego Porras/Ministerio de Defensa). In den verbundenen Rechtssachen C-184/15 und C-197/15 stellt der Gerichtshof klar, dass die nationalen Behörden geeignete, hinreichend effektive und abschreckende Maßnahmen vorsehen müssen, um festgestellte Missbräuche sowohl bei dem Arbeitsrecht unterliegenden befristeten Verträgen als auch bei dem Verwal­tungsrecht unterliegenden befristeten Verträgen zu verhindern und zu ahnden. Bezogen auf die Rechtssache C-596/14 stellt der Gerichtshof unter Verweis auf den Grundsatz der Nicht­dis­kri­mi­nierung fest, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmer in gleicher Weise wie Dauer­be­schäftigte einen Anspruch auf eine Ausgleichs­zahlung wegen Vertrags­be­en­digung haben.

* Rahmen­ver­ein­barung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmen­ver­ein­barung über befristete Arbeitsverträge enthalten ist (ABl. 1999, L 175, S. 43).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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