21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil26.01.2012

EuGH erklärt mehrfache Befristung von Arbeits­ver­trägen für zulässigMehrfach befristeter Einsatz kann im Einzelfall im Hinblick auf Anzahl und Gesamtdauer der Befristung Missbrauchs­kon­trolle unterzogen werden

Die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge kann auch dann durch einen Vertre­tungs­bedarf gerechtfertigt sein, wenn sich dieser Bedarf als wiederkehrend oder sogar ständig erweist. Der Einsatz dieser aufein­an­der­fol­genden befristeten Verträge kann jedoch gegebenenfalls unter Berück­sich­tigung ihrer Zahl und Gesamtdauer einer Missbrauchs­kon­trolle unterzogen werden. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Das Unionsrecht*, welches eine Rahmen­ver­ein­barung der europäischen Sozialpartner über befristete Arbeitsverträge durchführt, betrachtet unbefristete Arbeitsverträge als die übliche Form der Beschäf­ti­gungs­ver­hältnisse. Die Mitgliedstaaten sind daher verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um Missbräuche durch aufein­an­der­folgende befristete Arbeitsverträge zu vermeiden. Zu diesen Maßnahmen gehört insbesondere die Festlegung „sachlicher Gründe“, die die Verlängerung solcher Verträge rechtfertigen können. Nach deutschem Recht stellt die vorübergehende Vertretung eines Arbeitnehmers einen solchen sachlichen Grund dar, und zwar u. a. im Fall einer Vertretung aufgrund von Mutter­schafts­urlaub oder Elternzeit.

Sachverhalt

Frau Kücük war über einen Zeitraum von elf Jahren auf der Grundlage von insgesamt 13 befristeten Arbeits­ver­trägen beim Land Nordrhein-Westfalen als Justi­z­an­ge­stellte im Geschäfts­stel­len­bereich des Amtsgerichts Köln tätig. Alle diese Verträge wurden zur Vertretung unbefristet eingestellter Justi­z­an­ge­stellter geschlossen, die sich vorübergehend (beispielsweise im Rahmen der Elternzeit) hatten beurlauben lassen.

Klägerin bezweifelt vorrüber­ge­henden Bedarf an Vertre­tungs­kräften bei 13 aneinander anschließenden befristeten Arbeits­ver­trägen

Vor dem Arbeitsgericht Köln hat Frau Kücük geltend gemacht, ihr letzter Arbeitsvertrag müsse als auf unbestimmte Zeit geschlossen gelten, da kein sachlicher Grund vorliege, der seine Befristung rechtfertige. Bei insgesamt 13 in einem Zeitraum von elf Jahren unmittelbar aneinander anschließenden befristeten Arbeits­ver­trägen könne nämlich nicht mehr von einem vorübergehenden Bedarf an Vertre­tungs­kräften ausgegangen werden. Das Bundes­a­r­beits­gericht, das diesen Rechtsstreit in letzter Instanz zu entscheiden hat, fragt den Gerichtshof der Europäischen Union nach der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts.

Vorübergehender Bedarf an Vertre­tungs­kräften stellt grundsätzlich sachlich gerecht­fer­tigten Grund für Befristung dar

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass der vorübergehende Bedarf an Vertre­tungs­kräften – wie im deutschem Recht vorgesehen – grundsätzlich einen sachlichen Grund im Sinne des Unionsrechts darstellen kann, der sowohl die Befristung der mit den Vertre­tungs­kräften geschlossenen Verträge als auch deren Verlängerung rechtfertigt.

Wiederholtes Zurückgreifen auf Befristung von Verträgen stellt vor allem bei kleineren Unternehmen keinen Missbrauch dar

Aus dem bloßen Umstand, dass ein Arbeitgeber gezwungen sein mag, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückzugreifen, und dass diese Vertretungen auch durch die Einstellung von Arbeitnehmern mit unbefristeten Arbeits­ver­trägen gedeckt werden könnten, folgt weder, dass kein solcher sachlicher Grund gegeben ist, noch das Vorliegen eines Missbrauchs. Automatisch den Abschluss unbefristeter Verträge zu verlangen, wenn die Größe des betroffenen Unternehmens oder der betroffenen Einrichtung und die Zusammensetzung des Personals darauf schließen lassen, dass der Arbeitgeber mit einem wiederholten oder ständigen Bedarf an Vertre­tungs­kräften konfrontiert ist, ginge nämlich über die Ziele hinaus, die mit der durch das Unionsrecht umgesetzten Rahmen­ver­ein­barung der europäischen Sozialpartner verfolgt werden, und würde somit den Wertungs­spielraum verletzen, der den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern eingeräumt wird.

Nationale Behörden müssen grundsätzlich Umstände des Einzelfalls detailliert berücksichtigen

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags im Einzelfall durch einen sachlichen Grund wie den vorübergehenden Bedarf an Vertre­tungs­kräften gerechtfertigt ist, müssen die nationalen Behörden jedoch alle Umstände dieses Einzelfalls einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Verträge berücksichtigen.

Erläuterungen

* Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999, die die zwischen den allgemeinen branchen­über­grei­fenden Organisationen (EGB, UNICE und CEEP) geschlossene Rahmen­ver­ein­barung über befristete Arbeitsverträge durchführt (ABl. L 175, S. 43).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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