18.10.2024
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Sie sehen ein Justizia-Figur und im Hintergrund einen Mann am Telefon.

Dokument-Nr. 13820

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Urteil18.07.2012Bundesarbeitsgericht7 AZR 443/09 und 7 AZR 783/10
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • MDR 2013, 103Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2013, Seite: 103
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Vorinstanz zu 7 AZR 443/09:
  • Landesarbeitsgericht Köln, Urteil15.05.2009, 4 Sa 877/08
Vorinstanz zu 7 AZR 783/10:
  • Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil09.08.2010, 5 Sa 196/10
ergänzende Informationen

Bundesarbeitsgericht Urteil18.07.2012

„Ketten­be­fristung“ kann trotz Vorliegens eines Sachgrundes rechts­miss­bräuchlich und unwirksam seinLange Gesamtdauer und außergewöhnlich hohe Anzahl aufeinander folgender befristeter Arbeitsverträge können Anzeichen für Rechts­miss­brauch sein

Die Befristung eines Arbeitsvertrags kann trotz Vorliegens eines Sachgrunds aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechts­miss­bräuchlich und daher unwirksam sein. Für das Vorliegen eines Rechts­miss­brauchs können insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeits­ver­trägen mit demselben Arbeitgeber sprechen. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­a­r­beits­ge­richts hervor.

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG ist die Befristung eines Arbeitsvertrags zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG nennt beispielhaft derartige Sachgründe. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG liegt ein sachlicher Grund vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Dem Sachgrund der Vertretung steht nach der Rechtsprechung des Bundes­a­r­beits­ge­richts auch eine größere Anzahl der mit einem Arbeitnehmer geschlossenen befristeten Verträge nicht entgegen. Entscheidend ist allein, ob bei der letzten Befris­tungs­abrede ein Vertretungsfall vorlag. Ein bei dem Arbeitgeber vorhandener ständiger Vertre­tungs­bedarf schließt den Sachgrund der Vertretung nicht aus.

BAG erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Vereinbarkeit wiederholter Befristung von Arbeits­ver­trägen mit EU-Richtlinien

Das Gericht hatte allerdings Bedenken, ob er aus Gründen des Unionsrechts gehindert ist, an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten. Er bat deshalb mit Beschluss vom 17. November 2010 den EuGH um Beantwortung der Frage, ob es mit § 5 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmen­ver­ein­barung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 (Rahmen­ver­ein­barung) vereinbar ist, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrags auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertre­tungs­bedarf besteht, der ebenso durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte.

EuGH verneint Missbrauch durch Mehrfach­be­fristung

Der EuGH antwortete mit Urteil vom 26. Januar 2012, dass der Umstand, dass ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreife, weder der Annahme eines sachlichen Grundes im Sinne der Rahmen­ver­ein­barung entgegenstehe, noch das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung daraus folge. Die nationalen staatlichen Stellen müssten aber auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie einen Hinweis auf Missbrauch geben können, den § 5 Nr. 1 der Rahmen­ver­ein­barung verhindern soll. Bei dieser Prüfung könnten sich die Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.

Gesamtdauer und Anzahl der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge sind zu berücksichtigen

Hiervon ausgehend entschied das Bundes­a­r­beits­gericht, dass das Vorliegen eines ständigen Vertre­tungs­bedarfs der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegensteht, sondern an den Grundsätzen der Sachgrund­prüfung uneingeschränkt festgehalten werden kann. Allerdings kann unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechts­miss­bräuch­licher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestal­tungs­mög­lichkeit unwirksam sein. Das entspricht den sich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergebenden Grundsätzen des insti­tu­ti­o­nellen Rechts­miss­brauchs. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch sind hohe Anforderungen zu stellen. Es sind dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen.

Gesamtdauer von mehr als 11 Jahren und Anzahl von 13 Befristungen sprechen für Ausnutzung rechts­miss­bräuch­licher Vertre­tungs­be­fristung

Das Bundes­a­r­beits­gericht hob daher ein Urteil des Landes­a­r­beits­ge­richts Köln auf, das die Befris­tungs­kon­trollklage einer beim Land Nordrhein-Westfalen beschäftigten Justi­z­an­ge­stellten abgewiesen hatte. Die Klägerin war beim beklagten Land aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeits­ver­trägen von Juli 1996 bis Dezember 2007 im Geschäfts­stel­len­bereich des Amtsgerichts Köln tätig. Die befristete Beschäftigung diente fast durchgehend der Vertretung von Justi­z­an­ge­stellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Mit ihrer Klage griff die Klägerin die Befristung des letzten im Dezember 2006 geschlossenen Vertrags an. Für diese Befristung lag zwar der Sachgrund der Vertretung vor. Die Gesamtdauer von mehr als 11 Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen sprechen aber dafür, dass das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertre­tungs­be­fristung rechts­miss­bräuchlich ausgenutzt hat.

BAG weist Sache zur Klärung möglichen Rechts­miss­brauchs an LAG zurück

Das Bundes­a­r­beits­gericht konnte der Klage dennoch nicht stattgeben. Der Rechtsstreit war vielmehr an das Landes­a­r­beits­gericht zurück­zu­ver­weisen, um dem beklagten Land Gelegenheit zu geben, noch besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechts­miss­brauchs entgegenstehen.

Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten und Anzahl von vier Befristungen geben keinen Anhaltspunkt für Rechts­miss­brauch

Dagegen wies das Bundes­a­r­beits­gericht - wie schon die Vorinstanzen - die Befris­tungs­kon­trollklage einer anderen Klägerin ab. Diese war vom 1. März 2002 bis zum 30. November 2009 aufgrund von vier jeweils befristeten Arbeits­ver­trägen bei einem Einzel­han­dels­un­ter­nehmen beschäftigt. Die letzte im Januar 2008 vereinbarte Befristung erfolgte zur Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers. Die Befristung war nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt. Angesichts der Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten sowie der Anzahl von vier Befristungen gab es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Rechts­miss­brauchs.

Quelle: Bundesarbeitsgericht/ra-online

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