23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil09.07.2015

EU-Mitglieds­s­taaten dürfen Familien­zusammen­führung bei Dritt­staats­angehörigen von Integra­ti­o­ns­prüfung abhängig machenFamilien­zusammen­führung darf dabei jedoch nicht übermäßig erschwert werden

Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass Dritt­staats­angehörige vor einer Familien­zusammen­führung eine Integra­ti­o­ns­prüfung erfolgreich ablegen. Die Ausübung des Rechts auf Familien­zusammen­führung darf jedoch nicht unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

In einer EU-Richtlinie sind die Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Famili­en­zu­sam­men­führung durch Drittstaatsangehörige festgelegt, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten*.

Niederlande machen Recht auf Famili­en­zu­sam­men­führung vom Bestehen einer Integra­ti­o­ns­prüfung abhängig

In den Niederlanden setzt nach den dort geltenden Rechts­vor­schriften das Recht auf Famili­en­zu­sam­men­führung das Bestehen einer Integra­ti­o­ns­prüfung voraus. Diese Prüfung umfasst den Bereich Gesprochenes Niederländisch, den Bereich Kenntnisse der nieder­län­dischen Gesellschaft und den Bereich Lese- und Schreib­kun­digkeit sowie Leseverstehen. Die Prüfung wird in einer Botschaft oder einem Generalkonsulat im Land der Herkunft oder des ständigen Aufenthalts des Familien­an­ge­hörigen des Zusam­men­füh­renden abgelegt und wird über ein Telefon abgenommen, das direkt mit einem sprechenden Computer verbunden ist. Ausnahmen sind vorgesehen für Antragsteller, die aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung dauerhaft nicht in der Lage sind, die Prüfung abzulegen, oder in Fällen, in denen die Ablehnung zu einer schwerwiegenden Unbilligkeit führen könnte.

Nationales Gericht erbittet Prüfung der Vereinbarkeit von Integra­ti­o­ns­prüfung mit EU-Richtlinie durch EuGH

K, eine aserbai­dscha­nische Staats­an­ge­hörige, und A, eine nigerianische Staats­an­ge­hörige, machten Gesund­heits­probleme bzw. psychische Probleme geltend, derentwegen sie die Integra­ti­o­ns­prüfung nicht ablegen könnten. Ihre Anträge auf vorläufige Aufent­halt­s­er­laubnis wurden jedoch von den nieder­län­dischen Behörden abgelehnt. Der Raad van State (Staatsrat, Niederlande), bei dem die Rechtss­trei­tig­keiten über diese Ablehnung anhängig sind, hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen über die Vereinbarkeit der Integra­ti­o­ns­prüfung mit der Richtlinie vorgelegt.

Mitglieds­s­taaten dürfen Erteilung einer Einrei­se­er­laubnis von bestimmten Integra­ti­o­ns­maß­nahmen abhängig machen

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass die Mitgliedstaaten bei Famili­en­zu­sam­men­füh­rungen, die nicht Flüchtlinge und Familien­an­ge­hörige von Flüchtlingen betreffen, durch die Richtlinie nicht daran gehindert sind, die Erteilung einer Einrei­se­er­laubnis davon abhängig zu machen, dass vorher bestimmten Integra­ti­o­ns­maß­nahmen nachgekommen wird.

Vorgegebene Maßnahmen müssen Integration der Familien­an­ge­hörigen erleichtern

Jedoch sind, da die Richtlinie** nur "Integra­ti­o­ns­maß­nahmen" erfasst, solche Maßnahmen nur dann legitim, wenn sie die Integration der Familien­an­ge­hörigen des Zusam­men­füh­renden erleichtern. Der Gerichtshof hebt in diesem Zusammenhang die Bedeutung hervor, die dem Erwerb von Kenntnissen sowohl der Sprache als auch der Gesellschaft des Aufnah­me­mit­glied­staats insbesondere für eine Erleichterung der Verständigung, der Interaktion und der Entwicklung sozialer Beziehungen sowie des Zugangs zu Arbeitsmarkt und Berufs­aus­bildung zukommt.

Für Zusammenführung erforderliche Grundkenntnisse über Mitgliedsstaat stehen EU-Richtlinie nicht entgegen

Zudem sieht der Gerichtshof im Hinblick darauf, dass Grundkenntnisse verlangt werden, in diesem Erfordernis für sich allein betrachtet keine Beein­träch­tigung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels der Famili­en­zu­sam­men­führung. Allerdings darf mit den Integra­ti­o­ns­maß­nahmen nicht der Zweck verfolgt werden, die Personen zu ermitteln, die das Recht auf Famili­en­zu­sam­men­führung ausüben können, sondern sie haben dem Zweck zu dienen, die Integration dieser Personen in den Mitgliedstaaten zu erleichtern.

Individuelle Umstände des Betroffenen müssen berücksichtigt werden

Außerdem sind die besonderen individuellen Umstände, wie Alter, Bildungsniveau, finanzielle Lage oder Gesund­heits­zustand zu berücksichtigen, um die Familien­an­ge­hörigen von dem Erfordernis der erfolgreichen Ablegung einer Basis-Integra­ti­o­ns­prüfung zu befreien, falls sie aufgrund dieser Umstände nicht in der Lage sind, diese Prüfung abzulegen oder zu bestehen. Andernfalls könnte dieses Erfordernis bei Vorliegen solcher Umstände ein kaum überwindbares Hindernis für die effektive Wahrnehmung des Rechts auf Famili­en­zu­sam­men­führung darstellen.

Famili­en­zu­sam­men­führung darf nicht unmöglich gemacht werden

Der Gerichtshof stellt anhand der Angaben in der Vorla­ge­ent­scheidung fest, dass die nieder­län­dischen Rechts­vor­schriften es nicht ermöglichen, Familien­an­ge­hörige des Zusam­men­füh­renden von dem Erfordernis, die Integra­ti­o­ns­prüfung erfolgreich abzulegen, in allen Fällen zu befreien, in denen dieses Erfordernis die Famili­en­zu­sam­men­führung unmöglich macht oder übermäßig erschwert.

Prüfungs­ge­bühren könnten Famili­en­zu­sam­men­führung übermäßig erschweren

Ferner weist der Gerichtshof darauf hin, dass sich die einmalig anfallenden Kosten des Pakets zur Vorbereitung auf die Prüfung auf 110 Euro und das Prüfungsgeld auf 350 Euro belaufen. Diese Beträge könnten nach Auffassung des Gerichtshofs die Famili­en­zu­sam­men­führung unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Dies gilt umso mehr, als das Prüfungsgeld bei jedem weiteren Prüfungsversuch und für jeden Familien­an­ge­hörigen des Zusam­men­füh­renden, der zu diesem in den Aufnah­me­mit­gliedstaat nachziehen will, erneut anfällt und zu diesen Kosten die Kosten für die Reise zum Sitz der nächsten nieder­län­dischen Vertretung hinzukommen, die die Familien­an­ge­hörigen des betreffenden Zusam­men­füh­renden aufbringen müssen, um die Prüfung abzulegen.

Erläuterungen

* Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Famili­en­zu­sam­men­führung (ABl. L 251, S. 12).

** Art. 7, Abs. 2, Unterabs. 1.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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