21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil17.11.2015

Vergabe öffentlicher Aufträge darf von Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns abhängig gemacht werdenAusschluss vom Bieterverfahren bei verweigerter Mindest­lohn­zahlung verstößt nicht gegen Unionsrecht

Die Vergabe öffentlicher Aufträge kann durch Gesetz davon abhängig gemacht werden, dass ein Mindestlohn gezahlt wird. Es verstößt nicht gegen das Unionsrecht, wenn ein Bieter, der es ablehnt, sich zur Zahlung des Mindestlohns an seine Beschäftigten zu verpflichten, vom Verfahren zur Vergabe eines Auftrags ausgeschlossen wird.

Im Juli 2013 schloss die Stadt Landau (Rheinland-Pfalz, Deutschland) das deutsche Unternehmen RegioPost von der Beteiligung an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über die Postdienst­leis­tungen der Stadt* aus, weil sich dieses Unternehmen entgegen den Bestimmungen der Verga­be­be­kannt­machung auch nach Aufforderung nicht verpflichtet hatte, den Beschäftigten, die im Fall des Zuschlags zur Ausführung der Leistungen eingesetzt würden, einen Mindestlohn zu zahlen.

Verga­be­be­kannt­machung schreibt Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns vor

Sowohl die Verga­be­be­kannt­machung als auch die Verga­be­un­terlagen nahmen auf ein Gesetz des Landes Rheinland-Pfalz** Bezug, wonach in diesem Land öffentliche Aufträge nur an Unternehmen (und Nachunternehmer) vergeben werden dürfen, die sich bei Angebotsabgabe verpflichten, den zur Ausführung der Leistungen eingesetzten Beschäftigten ein Mindestentgelt von (während des im Ausgangs­ver­fahren maßgebenden Zeitraums) 8,70 Euro brutto pro Stunde zu zahlen. Im maßgebenden Zeitraum gab es in Deutschland für die Postdienst­leis­tungs­branche keinen Tarifvertrag über einen verbindlichen Mindestlohn. Erst später wurde dort ein allgemein verbindlicher Mindestlohn eingeführt***.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Vereinbarkeit der Verga­be­vor­aus­set­zungen mit dem Unionsrecht

Das von RegioPost angerufene Oberlan­des­gericht Koblenz (Deutschland) fragt den Gerichtshof, ob diese Rechts­vor­schriften des Landes Rheinland-Pfalz mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Richtlinie 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienst­leis­tungs­auf­trä­ge**** vereinbar sind. Nach dieser Richtlinie können die öffentlichen Auftraggeber zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorschreiben, sofern sie mit dem Unionsrecht vereinbar sind und in der Verga­be­be­kannt­machung oder in den Verdin­gungs­un­terlagen angegeben werden. Diese Bedingungen können u. a. soziale Aspekte betreffen.

Nationales Vorschriften stehen EU-Richtlinie nicht entgegen

Mit seinem Urteil stellt der Gerichtshof der Europäischen Union fest, dass die Richtlinie 2004/18 Rechts­vor­schriften nicht entgegensteht, nach denen sich Bieter und deren Nachunternehmer in einer schriftlichen, ihrem Angebot beizufügenden Erklärung verpflichten müssen, den Beschäftigten, die zur Ausführung der Leistungen eingesetzt werden sollen, einen im Vorhinein festgelegten Mindestlohn zu zahlen.

Verpflichtung in Verga­be­be­kannt­machung stellt zulässige zusätzliche Bedingung dar

Der Gerichtshof sieht in der fraglichen Verpflichtung eine nach der Richtlinie grundsätzlich zulässige zusätzliche Bedingung, da sie sich auf die Ausführung des Auftrags bezieht und soziale Aspekte betrifft. Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass diese Verpflichtung im vorliegenden Fall sowohl transparent als auch nicht­dis­kri­mi­nierend ist. Sie ist auch mit einer weiteren Richtlinie der Union, der Richtlinie 96/71 über die Entsendung von Arbeitnehmern, vereinbar, da sie sich aus einer Rechts­vor­schrift ergibt, die einen Mindestlohnsatz im Sinne dieser Richtlinie vorsieht. Der in Rede stehende Mindestlohn gehört daher zu dem Schutzniveau, das den von Unternehmen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten zur Ausführung des öffentlichen Auftrags entsandten Arbeitnehmern garantiert werden muss.

Beschränkung des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs kann durch das Ziel des Arbeit­neh­mer­schutzes gerechtfertigt sein

Zwar gilt der in Rede stehende Mindestlohn nur für öffentliche Aufträge und nicht für private Aufträge, doch ist diese Beschränkung die bloße Folge des Umstands, dass es für diesen Bereich spezielle Regeln des Unionsrechts gibt (im konkreten Fall die der Richtlinie 2004/18). Auch wenn der Mindestlohn geeignet ist, den freien Dienst­leis­tungs­verkehr zu beschränken, kann er grundsätzlich durch das Ziel des Arbeit­neh­mer­schutzes gerechtfertigt sein. Der Gerichtshof differenziert insoweit zwischen der vorliegenden Rechtssache und der Rechtssache Rüffert (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 03.04.2008 - C-346/06 -).

Ausschluss von Bietern bei verweigerter Mindest­lohn­zahlung zulässig

Der Gerichtshof entscheidet darüber hinaus, dass die Richtlinie 2004/18 Rechts­vor­schriften nicht entgegensteht, die vorsehen, dass Bieter und deren Nachunternehmer von der Beteiligung an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausgeschlossen werden, wenn sie sich weigern, sich durch eine schriftliche, ihrem Angebot beizufügende Erklärung zu verpflichten, den Beschäftigten, die zur Ausführung der Leistungen eingesetzt werden sollen, einen im Vorhinein festgelegten Mindestlohn zu zahlen.

Ebenso wie die Richtlinie dem Erfordernis der Abgabe einer schriftlichen Erklärung über die Einhaltung des Mindestlohns nicht entgegensteht, gestattet sie nämlich auch den Ausschluss eines Bieters, der sich weigert, eine solche Verpflichtung einzugehen, von der Beteiligung an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags.

Erläuterungen

*Der öffentliche Auftrag betraf insbesondere den Abschluss eines Rahmenvertrags über die Abholung, Beförderung und Zustellung von Briefen, Päckchen und Paketen. Die vorgesehene Vertrags­laufzeit betrug zwei Jahre und war höchstens zweimal um je ein Jahr verlängerbar. Da der Wert des öffentlichen Auftrags weit über 200 000 Euro hinausging, wurde er unionsweit ausgeschrieben.

** Rheinland-pfälzisches Landesgesetz zur Gewährleistung von Tariftreue und Mindestentgelt bei öffentlichen Auftrags­vergaben (Landes­t­a­rif­t­reu­e­gesetz) vom 1. Dezember 2010. Mit diesem Gesetz will das Land Verzerrungen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge entgegenwirken, die durch den Einsatz von Niedrig­lohn­kräften entstehen, und Belastungen für die sozialen Siche­rungs­systeme mildern.

*** Das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) sieht ab dem 1. Januar 2015 grundsätzlich für alle Arbeitnehmer einen Mindest­brut­tolohn von 8,50 Euro pro Stunde vor.

**** Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienst­leis­tungs­aufträge (ABl. L 134, S. 114, berichtigt im ABl. 2004, L 351, S. 44, und im ABl. 2008, L 198, S. 74) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1251/2011 der Kommission vom 30. November 2011 (ABl. L 319, S. 43) geänderten Fassung.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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