21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil18.09.2014

Bei Vergabe öffentlicher Aufträge vorge­schriebenes Mindestentgelt darf nicht auf Unternehmen mit Sitz in anderem Mitgliedstaat erstreckt werdenVerpflichtung zur Zahlung eines Mindestentgelts verstößt gegen Dienst­leistungs­frei­heit

Ein bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vorge­schriebenes Mindestentgelt kann nicht auf die Arbeitnehmer eines Nachun­ter­nehmers mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat erstreckt werden, wenn diese Arbeitnehmer den betreffenden Auftrag ausschließlich in diesem Staat ausführen. Die Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestentgelts, das keinen Bezug zu den Lebens­haltungs­kosten in diesem anderen Mitgliedstaat hat, verstößt gegen die Dienst­leistungs­frei­heit. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Ein Gesetz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen (Deutschland)* sieht vor, dass bestimmte öffentliche Dienst­leis­tungs­aufträge nur an Unternehmen vergeben werden dürfen, die sich bei der Angebotsabgabe verpflichtet haben, ihren Beschäftigten für die Ausführung der Leistung wenigstens ein Mindest­stun­den­entgelt von 8,62 Euro zu zahlen. Diese gesetzliche Regelung soll gewährleisten, dass die Beschäftigten einen angemessenen Lohn erhalten, um sowohl „Sozialdumping“ als auch eine Benachteiligung konkurrierender Unternehmen zu vermeiden, die ihren Arbeitnehmern ein angemessenes Entgelt zahlen.

Stadt verlangt von Bietern Zahlung von Mindestentgelt auch für Arbeitnehmer bei Produktion in anderen Mitglieds­s­taaten

Im Rahmen der Ausschreibung eines Auftrags zur Akten­di­gi­ta­li­sierung und Konvertierung von Daten ihres Stadtplanungs- und Bauordnungsamts verlangte die Stadt Dortmund in Anwendung dieses Gesetzes von allen Bietern, dass das Mindestentgelt von 8,62 Euro auch den Arbeitnehmern zu gewährleisten sei, die bei einem vom Bieter vorgesehenen Nachunternehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Polen) beschäftigt sind und den betreffenden Auftrag ausschließlich in diesem Staat ausführen. Die an diesem Auftrag interessierte deutsche Bundesdruckerei rief hiergegen die zuständige Vergabekammer in Deutschland an, die ihrerseits Zweifel an der Vereinbarkeit der fraglichen Regelung (in deren Anwendung durch die Stadt Dortmund) mit dem Unionsrecht hegt, insbesondere mit der Dienstleistungsfreiheit, und sich deshalb an den Gerichtshof wandte.

Forderung nach Mindestentgelt läuft Dienst­leis­tungs­freiheit zuwider

In seinem Urteil gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass es in einer Situation, in der wie im vorliegenden Fall ein Bieter beabsichtigt, einen öffentlichen Auftrag ausschließlich durch Inanspruchnahme von Arbeitnehmern auszuführen, die bei einem Nachunternehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem des öffentlichen Auftraggebers beschäftigt sind, der Dienst­leis­tungs­freiheit zuwiderläuft, wenn der Mitgliedstaat, dem der öffentliche Auftraggeber angehört, den Nachunternehmer verpflichtet, den Arbeitnehmern ein Mindestentgelt zu zahlen.

Verpflichtung des Bieters zur Zahlung eines Mindestentgelts in einem anderen Mitgliedstaat stellt zusätzliche wirtschaftliche Belastung dar

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass eine solche Regelung eine Beschränkung der Dienst­leis­tungs­freiheit darstellen kann (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 03.04.2008 - C-346/06 -). Die Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestentgelts, die den Nachun­ter­nehmern eines Bieters auferlegt wird, die in einem anderen Mitgliedstaat mit niedrigeren Mindest­lohn­sätzen ansässig sind, stellt nämlich eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung dar, die geeignet ist, die Erbringung von Dienst­leis­tungen in diesem anderen Mitgliedstaat zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.

Regelung rechtfertigt hier nicht Ziel des Arbeit­neh­mer­schutzes

Zwar kann eine solche Regelung grundsätzlich durch das Ziel des Arbeit­neh­mer­schutzes gerechtfertigt sein. Da die Regelung jedoch nur auf öffentliche Aufträge Anwendung findet, ist sie nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen, wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die auf dem privaten Markt tätigen Arbeitnehmer nicht desselben Lohnschutzes bedürfen wie die im Rahmen öffentlicher Aufträge tätigen Arbeitnehmer.

Jedenfalls erscheint die fragliche nationale Regelung unver­hält­nismäßig, soweit sich ihr Geltungsbereich auf eine Situation wie die vorliegende erstreckt.

Mindestentgelt hat keinen Bezug zu bestehenden Lebens­hal­tungs­kosten in anderem Mitgliedstaat

Indem diese Regelung nämlich ein festes Mindestentgelt vorgibt, das zwar dem entspricht, das erforderlich ist, um in Deutschland eine angemessene Entlohnung der Arbeitnehmer im Hinblick auf die in diesem Land bestehenden Lebens­hal­tungs­kosten zu gewährleisten, aber keinen Bezug zu den in dem Mitgliedstaat bestehenden Lebens­hal­tungs­kosten hat, in dem die Leistungen im Zusammenhang mit dem betreffenden öffentlichen Auftrag ausgeführt werden (im vorliegenden Fall Polen), und damit den in diesem Mitgliedstaat ansässigen Nachun­ter­nehmern die Möglichkeit vorenthalten würde, aus den zwischen den jeweiligen Lohnniveaus bestehenden Unterschieden einen Wettbe­wer­bs­vorteil zu ziehen, geht sie nämlich über das hinaus, was erforderlich ist, um zu gewährleisten, dass das Ziel des Arbeit­neh­mer­schutzes erreicht wird.

Erläuterungen

* Gesetz über die Sicherung von Tariftreue und Sozialstandards sowie fairen Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen – TVgG – NRW).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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