Bundesverwaltungsgericht Urteil21.01.2015
Verzögerter Straßenbau: Grundstückseigentümer können bei vertraglich vereinbarten Erschließungskosten nicht zu Nachforderungen herangezogen werdenInflationsbedingte Steigerung des Erschließungsaufwandes begründet keinen Anpassungsanspruch der Gemeinde
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass Grundstückseigentümer, die sich mit der Gemeinde vertraglich über die von ihnen zu tragenden Erschließungskosten geeinigt haben, nicht für Mehrkosten herangezogen werden können, die im Wesentlichen inflationsbedingt entstanden sind.
Die beklagte Stadt Menden (Sauerland) schloss Anfang der 1970er Jahre mit den Klägern sogenannte Ablösungsverträge. Darin verpflichteten sich die Kläger, die auf ihre Baugrundstücke entfallenden anteiligen Erschließungskosten bereits vor Fertigstellung der Erschließungsstraße zu zahlen. Damit sollte der nach der endgültigen Herstellung der Straße an sich fällige Erschließungsbeitrag vollständig abgegolten sein.
Stadt zieht Grundstückseigentümer zu weiteren Erschließungskosten heran
Die Kläger zahlten daraufhin an die beklagte Stadt Beträge zwischen 3.283 DM und 4.144 DM. Die Straße wurde jedoch erst 2007 fertiggestellt. Mittlerweile hatte sich der Erschließungsaufwand von den ursprünglich veranschlagten 261.272 DM auf 407.172 Euro erhöht. Daraufhin zog die Beklagte die Kläger im Jahr 2012 - unter Anrechnung der in den 1970er Jahren geleisteten Zahlungen - zu Erschließungsbeiträgen zwischen 4.069 Euro und 6.426 Euro heran. Sie berief sich hierbei auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1990, dem zufolge ein Nacherhebungsrecht besteht, wenn der auf das Grundstück entfallende Erschließungsbeitrag das Doppelte oder mehr als das Doppelte des vereinbarten Ablösungsbetrags ausmacht (sogenannte Missbilligungsgrenze).
VG hebt angefochtene Erschließungsbeitragsbescheide auf
Das Verwaltungsgericht Arnsberg gab den dagegen gerichteten Klagen der Grundstückseigentümer statt und hob die angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheide auf.
Rein preissteigerungsbedingtes Überschreiten der Missbilligungsgrenze führen zu unangemessenen Ergebnissen zu Lasten des Bürgers
Die dagegen gerichteten Sprungrevisionen der beklagten Stadt wies das Bundesverwaltungsgericht zurück. An der Missbilligungsgrenze hält das Bundesverwaltungsgericht nicht fest. Die vorliegenden Fälle eines rein preissteigerungsbedingten Überschreitens dieser Grenze zeigen, dass diese zu unangemessenen Ergebnissen zu Lasten des Bürgers führen kann. Auch soweit aus anderen, nicht preissteigerungsbedingten Gründen in Einzelfällen ein nicht mehr tolerierbares Missverhältnis zwischen der Belastung eines Grundstücks mit Erschließungskosten und dem ihm vermittelten Vorteil bestehen sollte, bedarf es keiner absoluten Grenze. Den bundesrechtlichen Vorgaben ist vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage unter Abwägung aller sich im Zusammenhang mit Ablösungsverträgen ergebenden Umstände und gegenläufigen Interessen Rechnung zu tragen. Eine Steigerung des Erschließungsaufwandes, die im Wesentlichen inflationsbedingt ist, stellt danach ein ablösungstypisches Risiko dar und begründet keinen Anpassungsanspruch der Gemeinde.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.01.2015
Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online