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Bundesverwaltungsgericht Urteil16.05.2012

Ausgleichs­leistung zugunsten der Erben eines Wehrmachtrichters rechtmäßigAnnahme eines grundsätzlichen Verstoßes gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts­s­taat­lichkeit durch Wehrmachtrichter nicht gerechtfertigt

Allein die Tätigkeit als Wehrmachtrichter während des Zweiten Weltkriegs an einem Feldkriegs­gericht in den besetzten Gebieten rechtfertigt nicht die Annahme, dieser habe gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts­s­taat­lichkeit verstoßen oder dem natio­nal­so­zi­a­lis­tischen System erheblichen Vorschub geleistet. Dies entschied das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

Die Klägerinnen des zugrunde liegenden Falls begehren eine Ausgleichs­leistung für die während der sowjetischen Besatzungszeit Anfang 1949 erfolgte entschä­di­gungslose Enteignung von sechs Grundstücken in Berlin, die im Miteigentum ihres verstorbenen Vaters standen. Dieser war Rechtsanwalt und wurde ab 1940 als Wehrmachtrichter bei einem Feldkriegs­gericht des Heeres in dem durch die Wehrmacht besetzten Norwegen eingesetzt.

VG: Erben ist Ausgleichs­leistung für Verlust des Eigentums zu gewähren

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwal­tungs­gericht das beklagte Land Berlin verpflichtet, den Klägerinnen eine Ausgleichs­leistung für den Verlust des Eigentums an den Grundstücken nach Maßgabe des Ausgleichs­leis­tungs­ge­setzes (AusglLeistG) zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, Einzelheiten, wie der Vater der Klägerinnen sein Amt ausgeübt habe, seien nicht bekannt. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei die Gewährung der Ausgleichs­leistung weder wegen eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts­s­taat­lichkeit noch wegen eines erheblichen Vorschub­leistens zugunsten des natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Systems gemäß § 1 Abs. 4 Alt. 1 und 3 AusglLeistG* ausgeschlossen.

Ausschluss der Ausgleichs­leistung ohne belegbare Verstöße des Richters gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts­s­taat­lichkeit nicht gerechtfertigt

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Der Senat ist an die Annahme des Verwal­tungs­ge­richts gebunden, es könne nicht festgestellt werden, dass der Vater der Klägerinnen durch sein individuelles Wirken an dem Feldkriegs­gericht einen der vorbezeichneten Ausschluss­tat­be­stände erfüllt habe. Deshalb wäre der Ausschluss der Ausgleichs­leistung nur dann gerechtfertigt, wenn eine "tatsächliche Vermutung" dahin besteht, dass allein die Tätigkeit als Wehrmachtrichter darauf schließen lässt, der Vater habe gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts­s­taat­lichkeit verstoßen oder dem natio­nal­so­zi­a­lis­tischen System erheblichen Vorschub geleistet. Eine solche Vermutung setzt einen Erfahrungssatz voraus, nach dem grundsätzlich jeder Wehrmachtrichter an einem Feldkriegs­gericht in den besetzten Gebieten gegen die vorgegebenen natürlichen Rechte des Einzelnen verstoßen oder Handlungen vorgenommen hat, die die Verwirklichung der spezifischen Ziele des Natio­nal­so­zi­a­lismus in erheblicher Weise gefördert haben. Diese Typizität lässt sich mit der insoweit gebotenen Gewissheit nicht aus zeitge­schicht­lichem Erfah­rungs­wissen, wie es aus allgemein zugänglichen Quellen zuverlässig zu entnehmen ist, ableiten. Zweifellos bewirkte die natio­nal­so­zi­a­lis­tische Gewalt­herr­schaft eine Perversion der Rechtsordnung einschließlich der Rechtsprechung, die schlimmer kaum vorstellbar ist. Die Strafpraxis der Feldkriegs­ge­richte war durch oftmals drakonische und übermäßige Strafen und insbesondere durch die exzessive Verhängung der Todesstrafe geprägt. Sie leistete einen maßgeblichen Beitrag zur Stabilisierung des natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Systems. Die Voraussetzungen einer tatsächlichen Vermutung, dass grundsätzlich jeder Wehrmachtrichter gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts­s­taat­lichkeit verstoßen wie auch dem natio­nal­so­zi­a­lis­tischen System erheblichen Vorschub geleistet hat, können gleichwohl nicht festgestellt werden. Den Erkenntnissen der historischen Forschung ist nämlich zu entnehmen, dass ein Teil der Wehrmachtrichter – wenn auch eine Minderheit – bestrebt war, Unrecht zu vermeiden und Gerechtigkeit sowie Ausgewogenheit walten zu lassen. Es wird auch davon ausgegangen, dass ein beschränkter Teil der Strafpraxis der Feldkriegs­ge­richte rechtsstaatlich noch vertretbar war.

* § 1 Abs. 4 AusglLeistG lautet auszugsweise:

"Leistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der nach den Absätzen 1 und 2 Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, […] gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechts­s­taat­lichkeit verstoßen, […] oder dem natio­nal­so­zi­a­lis­tischen […] System […] erheblichen Vorschub geleistet hat."

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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