21.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil19.06.2014

Leistungen der Conter­gan­stiftung an durch Contergan schwerst­ge­schädigte Menschen müssen nicht erhöht werdenAusgestaltung und Bemessung der gesetzlichen Entschädigungs­leistungen nach dem Contergan­stiftungs­gesetz verstoßen nicht gegen das Grundgesetz

Die Leistungen der Conter­gan­stiftung an durch Contergan schwerst­ge­schädigte Menschen müssen für die Jahre 2004 bis 2012 nicht erhöht werden. Ausgestaltung und Bemessung der gesetzlichen Entschädigungs­leistungen nach dem Contergan­stiftungs­gesetz widersprechen nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Zweck der Stiftung. Sie sind auch mit dem Grundgesetz, insbesondere dem Sozial­staats­prinzip, vereinbar. Dies hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens kam im Jahre 1961 mit Fehlbildungen an allen vier Gliedmaßen und Schädigungen an inneren Organen zur Welt. In der Folgezeit zeigten sich weitere Schäden. Seine Mutter hatte während der Schwangerschaft das Schlaf- und Beruhi­gungs­mittel Contergan der Firma Grünenthal eingenommen. Der Kläger bezieht seit ihrer Errichtung Leistungen der „Conter­gan­stiftung für behinderte Menschen“ (bis 2005: Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“). Wegen der Schwere seines Körperschadens ist der Kläger der höchsten Schädi­gungsstufe zugeordnet, die die Richtlinien für die Stiftungs­leis­tungen jeweils festlegen. Er erhält die gesetzlich vorgesehene Höchstrente und den Höchstbetrag der im Jahre 2009 eingeführten jährlichen Sonderzahlung.

Kläger verlangt Verdoppelung der Stiftungs­leis­tungen

Der Kläger begehrt von der beklagten Stiftung für die Zeit ab 2004 eine Verdoppelung dieser Stiftungs­leis­tungen. Spätestens seit Ende 2003 sei deutlich geworden, dass die Leistungen nicht ausreichten, um die besonderen Belastungen und die spezifischen Bedarfe insbesondere der durch Contergan Schwerst­ge­schä­digten angemessen auszugleichen und den Versor­gungs­de­fiziten zu begegnen, die sich für diesen Personenkreis ergäben. Spät- und Folgeschäden seien nicht erfasst. Das Ziel des Stiftungs­ge­setzes, den geschädigten Menschen wirksam und dauerhaft Hilfe zu leisten, werde durch die Stiftung nicht erfüllt. Zudem könne sich die Stiftung ihrer Aufgabe nicht unabhängig und autonom widmen, weil die Richtlinien für die Leistungs­be­messung durch ein Bundes­mi­nis­terium erlassen würden.

Vorausgegangene Entscheidungen

Das Verwal­tungs­gericht Köln wies die Klage ab, weil das Begehren im Stiftungsgesetz keine Grundlage finde und das Gesetz auch verfas­sungsgemäß sei. Mit der vom Verwal­tungs­gericht zugelassenen Sprungrevision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit für die Zeit ab 1. Januar 2013 für erledigt erklärt, nachdem der Gesetzgeber die laufenden Renten rückwirkend zum 1. Januar 2013 verfünffacht hatte.

BVerwG: Kläger hat wegen Schwere seines Körperschadens bereits höchstmögliche Leistungen erhalten

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht entschied, dass es für die begehrten Leistungen keine Rechtsgrundlage gibt. Der Kläger hat wegen der Schwere seines Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körper­funk­ti­o­ns­s­tö­rungen jeweils die nach dem Stiftungsgesetz bzw. den im Einklang mit dem Gesetz vom Bundes­mi­nis­terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beschlossenen Leistungs­richt­linien höchstmöglichen Leistungen erhalten. Die vom Kläger geltend gemachten Verstöße gegen den Gleichheitssatz oder das Stiftungsrecht könnten selbst dann, wenn ihr Vorliegen zu Gunsten des Klägers unterstellt würde, keine Überschreitung der gesetzlichen Leistungs­höchst­grenzen rechtfertigen.

BVerfG erklärt Ablösung der privat­recht­lichen Schaden­er­satz­ansprüche durch öffentlich-rechtliche Stiftungs­leis­tungen bereits 1976 für verfas­sungsgemäß

Das gesetzliche Leistungssystem verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat im Jahre 1976 die Ablösung der privat­recht­lichen Schaden­er­satz­ansprüche gegen die Firma Grünenthal durch die öffentlich-rechtlichen Stiftungs­leis­tungen, die Strukturen der Stiftung und die Grundzüge der Leistungs­be­messung als verfas­sungsgemäß bestätigt. Als besondere Leistungen des sozialen Entschä­di­gungs­rechts dienen die Stiftungs­leis­tungen vor allem dem Nachteils­aus­gleich und der sozialen Hilfe für die durch Contergan Geschädigten. Bei derartigen Leistungen, die nicht strikt bedarf­s­o­ri­entiert der Sicherung des Grundrechts auf ein menschen­würdiges Existenzminimum dienen, kommt dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestal­tungs­spielraum zu. Für einen Verfas­sungs­verstoß durch unterlassene Nachbesserung eines Gesetzes muss evident sein, dass eine ursprünglich rechtmäßige Regelung wegen zwischen­zeit­licher Änderung der Verhältnisse verfas­sungs­rechtlich untragbar geworden ist; der Gesetzgeber muss gleichwohl weiterhin untätig geblieben sein oder offensichtlich fehlsame Nachbes­se­rungs­maß­nahmen getroffen haben. Dies lässt sich vorliegend nicht feststellen.

Gesetzgeber hat durch Verdoppelung der Renten und Einführung einer jährlichen Sonderzahlung ausreichend reagiert

Der Gesetzgeber hat auf Hinweise, es komme zu einer spürbaren Unterversorgung durch Contergan geschädigter Menschen, im Jahre 2008 durch eine Verdoppelung der Renten und die Einführung einer jährlichen Sonderzahlung im Jahre 2009 reagiert. Zugleich hat er eine umfassende Untersuchung der Lebenslage der Geschädigten in die Wege geleitet, deren Endbericht im Dezember 2012 vorgelegt worden ist. Das Unter­su­chungs­er­gebnis hat der Gesetzgeber zum Anlass für eine deutliche Erhöhung der laufenden Leistungen und die Einführung von Leistungen bei besonderen Bedarfen genommen. Eine sozial­staats­widrige Unterversorgung von durch Contergan Geschädigten - auch in den anderen Systemen sozialer Sicherung - musste sich dem Gesetzgeber auch nicht spätestens seit 2004 so aufdrängen, dass er die Leistungen hätte erhöhen müssen. Die deutliche Leistungs­er­höhung ab 1. Januar 2013 ist zur Verbesserung der Situation der betroffenen Menschen erfolgt und hat nicht der Beseitigung eines Verfas­sungs­ver­stoßes gedient.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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