18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.08.2007

Umstrittener Contergan-Film darf im November ausgestrahlt werden

Die Firma Chemie Grünenthal GmbH brachte zum 1. Oktober 1957 das Medikament Contergan auf den Markt. Nachdem es in den Jahren ab 1959 Hinweise darauf gab, dass die Einnahme dieses Medikaments durch Schwangere das Risiko embryonaler Missbildungen steigere, nahm die Herstellerin 1961 das Medikament vom Markt. Ein Strafverfahren gegen mehrere Mitarbeiter des Unternehmens wurde 1970 eingestellt, nachdem das Unternehmen 100 Millionen DM zur Entschädigung der Contergan-Opfer bereitgestellt hatte.

Der WDR ließ einen Spielfilm erstellen, der an das historische Geschehen um Contergan unter Nennung dieser Arznei­be­zeichnung sowie der Herstellerin anknüpft. Im Mittelpunkt des Films steht die Figur eines Rechtsanwalts, der gegen das verantwortliche Unternehmen mit juristischen Mitteln vorgeht, um es zu Entschä­di­gungs­zah­lungen an Contergan-Geschädigte aus der Einnahme von Contergan zu veranlassen. Die Filmhandlung schildert vielfältige Bemühungen des Unternehmens, seine Inanspruchnahme auf Zahlung einer solchen Entschädigung sowie einer Bestrafung von Mitarbeitern zu verhindern. Im Vor- und Abspann des Films wird darauf hingewiesen, dass es sich nicht um einen Dokumentarfilm, sondern um einen Spiel- und Unter­hal­tungsfilm auf der Grundlage eines historischen Stoffes handle. Die im Film handelnden Personen und ihre beruflichen und privaten Handlungen und Konflikte seien frei erfunden.

Nachdem das Landgericht die ursprünglich für Herbst 2006 vorgesehene Ausstrahlung des Films auf Antrag des früheren Opferanwalts sowie des Pharma­un­ter­nehmens untersagt hatte, hob das Hanseatische Oberlan­des­gericht die einstweiligen Verfügungen auf. Hiergegen richten sich die Verfas­sungs­be­schwerden der Beschwer­de­führer, die eine Verletzung ihres Persön­lich­keits­rechts geltend machen. Zugleich beantragten sie, im Wege einer Eilentscheidung die nunmehr für den 7. und 8. November 2007 geplante Ausstrahlung des Films bis zur Entscheidung über ihre Verfas­sungs­be­schwerde zu verbieten. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Anträge auf Erlass einer Eilentscheidung abgelehnt. Über die Verfas­sungs­be­schwerde ist noch nicht entschieden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte zwischen den Folgen abzuwägen, die einerseits den Beschwer­de­führern bei Ausstrahlung des Films und andererseits der Rundfunkanstalt bei einem Verbot der Ausstrahlung drohen.

Die Folgenabwägung kann die Würdigung des Oberlan­des­ge­richts zugrunde legen, dass eine Ausstrahlung des Films nicht die von den Beschwer­de­führern befürchtete schwerwiegende Beein­träch­tigung ihres Persön­lich­keits­rechts bewirken kann. Das Oberlan­des­gericht berücksichtigt, dass die Filmhandlung, ungeachtet ihrer Anknüpfung an ein historisches Geschehen, bereits nach dem Gesamtcharakter des Films, der zudem durch die Formulierung im Vor- und Abspann unterstrichen wird, nicht den Eindruck erweckt, nach Art eines Dokumen­tar­spiels das historische Geschehen in sämtlichen Einzelheiten möglichst detailgetreu nachzubilden. Zwar ermöglicht die Anknüpfung an einen realen Sachverhalt, einen Bezug zu den Beschwer­de­führern herzustellen. Dies ist eine notwendige Folge der beabsichtigten und offen gelegten Anknüpfung der Spielhandlung an einen historischen Sachverhalt. Ein verständiger Zuschauer wird das in der Filmhandlung dargestellte Geschehen um den Rechtsanwalt und die ihm entge­gen­wir­kenden Mitarbeiter des Unternehmens aufgrund der Fülle von Abweichungen in den Charakteristika und Handlungsweisen der Filmfiguren jedoch nicht als umfassend tatsa­chen­getreue Schilderung des seinerzeitigen Verhaltens der konkret Betroffenen auffassen.

Demgegenüber steht das Anliegen der Rundfunkanstalt, den Film noch in zeitlichem Zusammenhang zu dem im Oktober 2007 anstehenden und zeitge­schichtlich bedeutsamen Jahrestag der 50jährigen Wiederkehr der Markteinführung des Medikaments Contergan auszustrahlen und so eine besondere publizistische Wirkung zu erzielen. Es stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit der Rundfunkanstalt zur Gestaltung und Verbreitung ihres Programms dar, wenn sie durch Erlass einer Eilanordnung an der Erstausstrahlung eines Spielfilms zu einem nach Gesichtspunkten der tagesaktuellen Bedeutsamkeit gewählten Zeitpunkt und in einem nach medien­spe­zi­fischen Gesichtspunkten gewählten Kontext gehindert wird. Die Verbreitung eines unterhaltend aufgemachten Films in Anknüpfung an einen bedeutsamen zeitge­schicht­lichen Jahrestag kann aber auch der öffentlichen Meinungsbildung bedeutsame Anstöße vermitteln, die bei einer Verzögerung der Ausstrahlung des Films bis zu einem späteren Zeitpunkt wegen des dann geringen Aktua­li­täts­bezugs verloren gingen. Die Abwägung der aufgezeigten Folgen ergibt nicht, dass die den Beschwer­de­führern bei der Verweigerung einer Eilentscheidung drohenden Nachteile schwerer wögen als die mit ihrem Erlass verbundenen Beein­träch­ti­gungen der Belange der Rundfunkanstalt und des Infor­ma­ti­o­ns­in­teresses der Öffentlichkeit.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht (pm)

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