21.11.2024
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Oberlandesgericht Hamburg Urteil10.04.2007

Contergan-Film "Eine einzige Tablette": Hanseatisches OLG hebt Urteile des LG Hamburg weitgehend aufTrotz Teilerfolges darf Film weiter nicht gesendet werden

Der Pressesenat des Hanseatischen Oberlan­des­ge­richts hat als zweite Instanz in vier einstweiligen Verfü­gungs­ver­fahren zum so genannten "Contergan-Film" Berufungs­urteile verkündet. Es hat die einstweiligen Verfügungen gegen den im Auftrag des WDR von der Firma Zeitsprung produzierten Spielfilm "Eine einzigen Tablette" teilweise aufgehoben. Das Pharma­un­ter­nehmen Grünenthal und der seinerzeitige Opferanwalt Karl-Hermann Schulte-Hillen hatten vor dem Landgericht Hamburg in insgesamt 32 Punkten einstweilige Verfügungen gegen den Film erwirkt. Anders als noch das Landgericht machte das Oberlan­des­gericht den Film und nicht das Drehbuch zur Grundlage seiner Entscheidung.

Das Gericht fest, dass der Filmanwalt eine völlig eigenständige Kunstfigur sei, über die der Film keine herabsetzenden Aussagen enthält. Dementsprechend hob der Senat alle von Schulte-Hillen erwirkten 17 Verfü­gungs­punkte auf. Auch die Darstellungen in Bezug auf die Pharmafirma Grünenthal würden nicht den Anspruch erheben, die historischen Ereignisse dokumentarisch genau abzubilden. Das Gericht hob dementsprechend das Unter­sa­gungs­urteil in 14 von 15 Verfü­gungs­punkten auf.

WDR-Fernsehdirektor Ulrich Deppendorf freute sich über die Urteile. "Nun ist es auch in Zukunft möglich, zeithistorische Stoffe künstlerisch aufzuarbeiten. Mit 'Eine einzige Tablette' bringen wir unserem Publikum ein brisantes Thema nahe und leisten auch ein Stück Aufklä­rungs­arbeit."

Zeitsprung-Geschäftsführer und Produzent Michael Souvignier meinte, dass die Urteile zeigten, was er immer schon sagte: "Unser Film ist im Kern historisch korrekt. Wir hätten uns gewünscht, dass auch das Landgericht Hamburg den Film und nicht das Drehbuch zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hätte. Denn bereits dort lag der Film in der endgültigen Fassung vor. Änderungen am Film hat es nicht gegeben. Dieses Urteil ist ein großer Sieg für alle Kunst­schaf­fenden in Deutschland."

Das Gericht begründete die Entscheidungen wie folgt:

Firma Grünenthal GmbH

Der Senat hat in den Verfahren der Firma Grünenthal GmbH gegen die Zeitsprung Film + TV Produktion GmbH bzw. den WDR (Aktenzeichen 7 U 141/06 und 7 U 143/06) die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg mit Ausnahme weniger Filmpassagen aufgehoben. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die einstweilige Verfügung zu einer Zeit erging, als der Film noch nicht vorlag und dass einige der Szenen, die ursprünglich im Drehbuch vorhanden waren und verboten wurden, nicht oder verändert in den Film übernommen worden sind. Insofern hat sich die Firma Grünenthal GmbH im Ergebnis in größerem Umfang durchgesetzt, als dies nunmehr den Anschein hat.

Der Senat hat bei seiner Abwägung insbesondere berücksichtigt, dass es sich bei dem Spielfilm um ein Kunstwerk handelt, welches nicht den Anspruch erhebt, in allen Details die damaligen Ereignisse dokumentarisch abzubilden. Das der Grünenthal GmbH zustehende Recht der Unter­neh­mens­per­sön­lichkeit ist zudem hier von relativ geringem Gewicht, da die dargestellten Ereignisse bereits rund 40 Jahre zurückliegen und kein Mitglied der Firmenleitung aus der damaligen Zeit noch für das Unternehmen tätig ist. Daher kommt ein Verbot nur dort in Betracht, wo das Unternehmen besonders schwerwiegend in seinem Unter­neh­mens­per­sön­lich­keitsrecht verletzt wird.

Der Film enthält in der jetzigen Fassung Szenen, in denen dem Unternehmen zu Unrecht im Zuge der damaligen Ausein­an­der­setzung - insbesondere mit dem Anwalt der Geschädigten - infame und skrupellose Methoden unterstellt werden. Diese Darstellung ist geeignet, die Firma Grünenthal GmbH auch heute noch schwer in ihrem Ansehen zu schädigen. Dies muss sie nicht hinnehmen. Der Senat hat daher das Verbot hinsichtlich dieser Szenen aufrecht­er­halten. Eine vergleichbare schwere Persön­lich­keits­rechts­ver­letzung enthalten die übrigen angegriffenen Passagen des Films nicht.

Schulte-Hillen

In den Verfahren Schulte-Hillen gegen Zeitsprung bzw. WDR (Aktenzeichen 7 U 142/06 und 7 U 144/06) hat der Senat das Verbot des Landgerichts Hamburg insgesamt aufgehoben. Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass das ursprüngliche Drehbuch weitere Szenen mit unwahren Aussagen enthielt, die auf das landge­richtliche Verbot hin nicht in den Film übernommen worden sind. Insoweit hat auch Herr Schulte-Hillen mit seinem Anliegen im Ergebnis zum Teil obsiegt.

Der Senat geht davon aus, dass für einen gewissen Kreis Herr Schulte-Hillen als Urbild der Filmfigur Paul Wegener erkennbar ist, wobei aber bereits durch die andere Benennung der Filmfigur aber auch durch eine Vielzahl anderer Abweichungen deutlich wird, dass es sich bei Paul Wegener um eine eigenständige Figur und nicht um ein Abbild Schulte-Hillens handeln sollte. Insofern ist er vergleichbar mit einer Romanfigur. Da der Zuschauer trotz der Nennung des Namens des Medikaments Contergan und seines Herstellers nicht erwartet, dass - noch dazu nach Ablauf von rund 40 Jahren - die damaligen Gespräche und Handlungen gleichsam dokumentarisch wiedergegeben werden, führt nicht schon jede Abweichung von der damaligen Realität zu einem Unter­las­sungs­an­spruch. Unter Berück­sich­tigung der verfas­sungsmäßig garantierten Freiheit der Kunst kann vielmehr nur eine schwere Persön­lich­keits­rechts­ver­letzung zu einem Verbot führen. Eine solche schwere Verzerrung des Persön­lich­keits­bildes des Antragstellers enthält der Film nach Ansicht des Senats nicht. Die beanstandeten Szenen werden ohnehin überwiegend vom Zuschauer nicht als realitätsgetreu wahrgenommen und enthalten zudem keine Aussagen, die Herrn Schulte-Hillen (über die Figur des Paul Wegener) schwer herabzusetzen vermögen.

Gegen diese Urteile können keine Rechtsmittel eingelegt werden.

Quelle: ra-online

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