22.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Beschluss27.06.2017

BVerwG erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH hinsichtlich Fragen zur Sekun­dä­r­mi­gration von anerkannten FlüchtlingenDarf ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt werden, wenn der Antragsteller bereits in anderem EU-Mitgliedstaat Flücht­lings­schutz erhalten hat?

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Klärung von Fragen angerufen, die die Sekun­dä­r­mi­gration von Ausländern betreffen, die bereits als Flüchtling in einem EU-Mitgliedstaat anerkannt worden sind. Insbesondere geht es um die in der Asyl­verfahrens­richtlinie eröffnete Möglichkeit, einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn der Antragsteller bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat Flücht­lings­schutz erhalten hat.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens ist nach eigenen Angaben Staats­an­ge­höriger Eritreas. Er wurde in Italien als Flüchtling anerkannt und erhielt dort eine bis zum 5. Februar 2015 gültige Aufent­halt­s­er­laubnis sowie einen Reiseausweis mit gleicher Gültigkeit. Im September 2011 reiste er nach Deutschland ein und beantragte hier die Anerkennung als Asylbe­rech­tigter. Im Februar 2013 teilte das Italienische Innen­mi­nis­terium der Bundes­po­li­zei­di­rektion seine Bereitschaft zur Rückübernahme des Klägers mit. Mit Bescheid vom Februar 2013 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe, und ordnete seine Abschiebung nach Italien an.

OVG verneint Anspruch auf Asylrecht aufgrund Einreise aus sicherem Drittstaat

Die Klage hatte in den Vorinstanzen bezüglich der Dritt­staa­ten­ent­scheidung keinen Erfolg. Das Oberver­wal­tungs­gericht hat dies damit begründet, dass dem Kläger kein Asylrecht nach Art. 16a GG zustehe, da er aus einem sicheren Drittstaat eingereist sei. Die Vermutung der Sicherheit im Drittstaat habe der Kläger nicht entkräftet. Insbesondere liege im Fall der Rückführung nach Italien nicht die Gefahr einer menschen­rechts­widrigen Behandlung vor, die Art. 3 EMRK widersprechen würde. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.

Asylantrag bei bereits durch anderen EU-Mitgliedstaat gewährtem internationalen Schutz unzulässig

Nach der Rechtsprechung des 1. Revisionssenats des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts kann die nach aktueller Rechtslage in § 29 Abs. 1 Nr. 3 Asylgesetz (AsylG) geregelte Unzulässigkeit eines Asylantrags wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat keine Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid darstellen. Denn sichere Drittstaaten sind in unions­rechts­kon­former Auslegung dieser Regelung nur Staaten, die keine EU-Mitgliedstaaten sind. Damit hängt der Erfolg der Revision davon ab, ob die Entscheidung, kein Asylverfahren durchzuführen, in eine Unzuläs­sig­keits­ent­scheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umgedeutet werden kann. Nach dieser mit Wirkung vom 6. August 2016 geschaffenen Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer EU-Mitgliedstaat dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. Für den hier vorliegenden Fall einer ausländischen Flücht­lings­a­n­er­kennung ermächtigte bereits Art. 25 Abs. 2 Buchstabe a der EU-Asylver­fah­rens­richtlinie von 2005 zu einer solchen Regelung.

Der 1. Revisionssenat sieht jedoch Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob eine Unzuläs­sig­keits­ent­scheidung auch dann getroffen werden darf, wenn die Lebens­be­din­gungen für anerkannte Flüchtlinge in dem anderen Mitgliedstaat, der dem Antragsteller bereits internationalen Schutz gewährt hat (hier: Italien), den Anforderungen der Art. 20 ff. der EU-Anerken­nungs­richtlinie 2011/95/EU nicht genügen, ohne bereits gegen Art. 3 EMRK zu verstoßen. Klärungsbedarf sieht der 1. Revisionssenat auch zu den Rechtsfolgen einer im behördlichen Verfahren unterbliebenen Anhörung, wenn es sich - wie bei der Unzuläs­sig­keits­ent­scheidung - um eine gebundene Entscheidung handelt.

Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht das Revisi­ons­ver­fahren ausgesetzt.

Vorlagefragen

1. Ist ein Mitgliedstaat (hier: Deutschland) unionsrechtlich gehindert, einen Antrag auf internationalen Schutz wegen der Zuerkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Italien) in Umsetzung der Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU bzw. der Vorgän­ger­re­gelung in Art. 25 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2005/85/EG als unzulässig abzulehnen, wenn die Ausgestaltung des internationalen Schutzes, namentlich die Lebens­be­din­gungen für anerkannte Flüchtlinge, in dem anderen Mitgliedstaat, der dem Antragsteller bereits internationalen Schutz gewährt hat (hier. Italien), den Anforderungen der Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU nicht genügt, ohne bereits gegen Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK zu verstoßen?

2. Falls Frage 1 zu bejahen ist: Gilt dies auch dann, wenn anerkannten Flüchtlingen im Mitgliedstaat der Flücht­lings­a­n­er­kennung (hier: Italien)

a) keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenz­si­chernde Leistungen gewährt werden, sie insoweit aber nicht anders behandelt werden als die Staats­an­ge­hörigen dieses Mitgliedstaates?

b) zwar die Rechte nach Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU gewährt werden, sie aber faktisch erschwerten Zugang zu den damit verbundenen Leistungen haben oder solchen Leistungen familiärer oder zivil­ge­sell­schaft­licher Netzwerke haben, die staatliche Leistungen ersetzen oder ergänzen?

3. Steht Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2013/32/EU bzw. die Vorgän­ger­re­gelung in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2005/85/EG der Anwendung einer nationalen Bestimmung entgegen, wonach eine unterbliebene persönliche Anhörung des Antragstellers bei einer von der Asylbehörde in Umsetzung der Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU bzw. der Vorgän­ger­re­gelung in Art. 25 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2005/85/EG ergangenen Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung wegen fehlender Anhörung führt, wenn der Antragsteller im Rechts­be­helfs­ver­fahren Gelegenheit hat, alle gegen eine Unzuläs­sig­keits­ent­scheidung sprechenden Umstände vorzubringen und auch unter Berück­sich­tigung dieses Vorbringens in der Sache keine andere Entscheidung ergehen kann?

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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