18.10.2024
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Dokument-Nr. 6041

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil06.05.2008

Gerichtshof kippt EU-Richtlinie zur Zu- und Aberkennung von FlüchtlingenEuropäischer Rat hat seine Befugnisse überschritten

Der Europäische Gerichtshof erklärt verschiedene Bestimmungen der Richtlinie über die Zuerkennung und Aberkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft nichtig. Der EU-Rat hat dadurch, dass er für die zukünftige Erstellung gemeinsamer Listen sicherer Staaten nur die Anhörung des Parlaments und nicht das Mitent­schei­dungs­ver­fahren vorsieht, die ihm durch den Vertrag zugewiesenen Befugnisse im Bereich der Asylpolitik überschritten.

Am 1. Dezember 2005 hat der EU-Rat eine Richtlinie über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft erlassen. Diese Richtlinie sieht vor, dass der Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments mit qualifizierter Mehrheit eine gemeinsame Minimalliste der Drittstaaten, die von den Mitgliedstaaten als sichere Herkunfts­s­taaten zu betrachten sind, sowie eine gemeinsame Liste sicherer europäischer Drittstaaten erstellt. Auch die Änderung dieser beiden Listen bedarf der qualifizierten Mehrheit im Rat nach Anhörung des Parlaments.

Das Parlament hat eine Nichtig­keitsklage gegen die Bestimmungen der Richtlinie erhoben, die seine bloße Anhörung vorsehen. Seines Erachtens hätten diese Bestimmungen für die Erstellung der genannten Listen das Mitent­schei­dungs­ver­fahren vorsehen müssen, bei dem das Parlament als Mitgesetzgeber beteiligt ist. Der Rat habe rechtswidrig in einer Maßnahme des abgeleiteten Rechts - der Richtlinie - Rechts­grundlagen geschaffen, die es ihm erlaubten, diese Listen zu erstellen, und damit einen "Recht­set­zungs­vor­behalt" für sich in Anspruch genommen. Der Rat macht dagegen geltend, der Rückgriff auf abgeleitete Rechts­grundlagen sei eine bewährte, durch keine Bestimmung des EG-Vertrags verbotene gesetz­ge­be­rische Technik. Die Empfindlichkeit dieses Politikbereichs mache es erforderlich, schnell und wirksam auf Veränderungen der Situation in den betreffenden Drittstaaten zu reagieren. Schließlich lägen die Voraussetzungen für den Übergang zum Mitent­schei­dungs­ver­fahren nicht vor. Dem Gerichtshof stellt sich im Wesentlichen die Frage, ob der Rat berechtigt war, in der Richtlinie vorzusehen, dass die Listen sicherer Staaten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments mit qualifizierter Mehrheit erstellt und geändert werden.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass jedes Organ nur nach Maßgabe der ihm im Vertrag zugewiesenen Befugnisse handeln darf. Das von der Richtlinie für die Erstellung der Listen geschaffene Verfahren unterscheidet sich von dem im Vertrag vorgesehenen Verfahren. Die Grundsätze über die Willensbildung der Gemein­schafts­organe sind aber im Vertrag festgelegt und stehen nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten oder der Organe selbst. Würde einem Organ die Möglichkeit zur Schaffung abgeleiteter Rechts­grundlagen gegeben, so liefe dies darauf hinaus, ihm eine Recht­set­zungs­be­fugnis zu verleihen, die über das im Vertrag vorgesehene Maß hinausginge.

Daher hat der Rat dadurch, dass er abgeleitete Rechts­grundlagen in die Richtlinie eingefügt hat, seine ihm durch den Vertrag verliehenen Befugnisse überschritten. Unter diesen Umständen erklärt der Gerichtshof die angefochtenen Bestimmungen für nichtig.

Der Gerichtshof fügt in Bezug auf die zukünftige Erstellung und Änderung von Listen sicherer Staaten hinzu, dass der Rat die im Vertrag vorgesehenen Verfahren beachten muss. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass das Mitent­schei­dungs­ver­fahren sowohl für die Erstellung und die Änderung der Listen sicherer Staaten im Wege der Gesetzgebung als auch im Falle der etwaigen Entscheidung für die Anwendung von Art. 202 dritter Gedankenstrich EG, der Durch­füh­rungs­be­fugnisse betrifft, anzuwenden ist.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 29/08 des EuGH vom 06.05.2008

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