18.10.2024
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Dokument-Nr. 11525

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Urteil19.04.2011BundesverwaltungsgerichtBVerwG 1 C 2.10 und BVerwG 1 C 16.10
Vorinstanzen zu BVerwG 1 C 2.10:
  • Verwaltungsgericht Braunschweig, Urteil23.11.2006, VG 5 A 88.06
  • Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Beschluss30.09.2009, OVG 12 LC 77.07
BVerwG 1 C 16.10:
  • Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, Urteil28.05.2009, 1 K 189.09.F(V)
  • Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil18.02.2010, 9 A 2080.09
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Bundesverwaltungsgericht Urteil19.04.2011

BVerwG zum Aufent­haltsrecht eines Ausländers nach Rücknahme der EinbürgerungNieder­las­sungs­er­laubnis lebt nicht automatisch nach einer wegen Täuschung entzogenen Einbürgerung wieder auf

Die Nieder­las­sungs­er­laubnis, die ein Ausländer vor seiner Einbürgerung als Deutscher besessen hat, lebt nicht wieder auf, wenn die deutsche Staats­an­ge­hö­rigkeit rückwirkend wegen einer durch Täuschung erwirkten Einbürgerung entzogen wird. Vielmehr bedarf es der Erteilung eines neuen Aufent­halt­s­titels. Dabei kommt in besonderen Fällen auch die Erteilung einer Aufent­halt­s­er­laubnis in entsprechender Anwendung der Regelung für ehemalige Deutsche (§ 38 Aufent­halts­gesetz – AufenthG) in Betracht. Dies setzt allerdings voraus, dass die frühere Nieder­las­sungs­er­laubnis nicht ebenfalls durch Täuschung erwirkt war. Das hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht entschieden.

Im den zwei zugrunde liegenden Verfahren ging es um die Frage, welche Rechtsfolgen die Rücknahme einer Einbürgerung für den weiteren Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland hat.

Sachverhalt in der Sache BVerwG 1 C 2.10

Das eine Verfahren betraf einen aus Pakistan stammenden Kläger, dem wegen der Ehe mit einer Deutschen der Aufenthalt in Deutschland erlaubt worden war. Er erhielt in der Folgezeit einen unbefristeten Aufent­halt­stitel. Gleichzeitig war er auch mit einer Frau in Pakistan verheiratet. Dies hatte er gegenüber den deutschen Behörden verschwiegen. Bekannt wurde dies erst nach der Einbürgerung des Klägers und führte zu deren Rücknahme. Der Kläger erhielt mit Rücksicht auf sein minderjähriges deutsches Kind eine (befristete) Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Seinen Antrag auf Wiedererlangung des ursprünglichen, unbefristeten Aufent­halt­s­titels (jetzt: Nieder­las­sungs­er­laubnis) aus der Zeit vor der Einbürgerung lehnte die Auslän­der­behörde ab. Die hiergegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg.

Bundes­ver­wal­tungs­gericht schließt automatisches Wiederaufleben der alten Aufent­halts­be­rech­tigung aus

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat entschieden, dass der frühere unbefristete Aufent­halt­stitel mit der Einbürgerung unwirksam wird (§ 43 Abs. 2 Verwal­tungs­ver­fah­rens­gesetz) und nach deren Rücknahme nicht wieder auflebt. Dies ergibt sich vor allem aus der in § 38 AufenthG getroffenen Regelung, die bei Verlust der deutschen Staats­bür­ger­schaft mit Wirkung für die Zukunft nicht vorsieht, dass der alte Aufent­halt­stitel automatisch wieder auflebt. Diese Wertung des Gesetzgebers verlangt, Ausländer, deren Einbürgerung - etwa wegen einer vom Ausländer begangenen Täuschung - mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird, nicht besser zu stellen. Ein automatisches Wiederaufleben der alten Aufent­halts­be­rech­tigung kommt deshalb nicht in Betracht. Aus den gleichen Gründen steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Neuerteilung einer Niederlassungserlaubnis in Anknüpfung an den früheren unbefristeten Aufent­halt­stitel zu.

Sachverhalt in der Sache BVerwG 1 C 16.10

In dem zweiten Verfahren ging es um einen marokkanischen Staats­an­ge­hörigen, der 2001 zu seiner deutschen Ehefrau nach Deutschland gezogen war, im März 2006 eine Nieder­las­sungs­er­laubnis erhalten hatte und Ende 2006 eingebürgert worden war. Die Einbürgerung wurde im September 2007 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, da sich herausstellte, dass sich die Eheleute bereits mehr als ein halbes Jahr vor der Einbürgerung des Klägers getrennt hatten und der Kläger dies im Einbür­ge­rungs­ver­fahren verschwiegen hatte. Seinen Antrag auf Erteilung einer Aufent­halt­s­er­laubnis als ehemaliger Deutscher nach § 38 AufenthG lehnte die Auslän­der­behörde ab und drohte ihm die Abschiebung nach Marokko an. Der Verwal­tungs­ge­richtshof hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen, da die Vorschrift in Fällen einer erschlichenen und mit Rückwirkung aufgehobenen Einbürgerung keinen Anspruch auf einen Aufent­halt­stitel vermittle.

Aufent­halts­rechtliche Regelung soll automatische Aufent­halts­be­en­digung ohne Prüfung der Verhält­nis­mä­ßigkeit im Einzelfall verhindern

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Berufungs­ent­scheidung aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an den Verwal­tungs­ge­richtshof zurückverwiesen. Es hält die für ehemalige Deutsche geltende aufent­halts­rechtliche Regelung des § 38 AufenthG in Fällen einer Rücknahme der Einbürgerung für entsprechend anwendbar. Bei der Einführung der gesetzlichen Grundlage für eine - bis zum Ablauf von fünf Jahren mögliche - Rücknahme der Einbürgerung (§ 35 Staats­an­ge­hö­rig­keits­gesetz) im Jahre 2009 hat der Gesetzgeber die aufent­halts­recht­lichen Folgen für den Betroffenen nicht geregelt. § 38 Abs. 1 bis 3 AufenthG regelt allerdings der Sache nach alle Fälle des sonstigen Verlusts der Staatsangehörigkeit mit Wirkung für die Zukunft. Er ermöglicht eine adäquate Berück­sich­tigung der Umstände des Einzelfalles auch in Fällen der Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit. Die entsprechende Anwendung der Vorschrift verhindert, dass es allein aufgrund der Rücknahme der Einbürgerung zu einer automatischen Aufent­halts­be­en­digung ohne Prüfung der Verhält­nis­mä­ßigkeit im Einzelfall kommen kann. Dies erlaubt zwar nicht die Erteilung einer Nieder­las­sungs­er­laubnis, ermöglicht in besonderen Fällen aber die Erteilung einer Aufent­halt­s­er­laubnis. Diese Auslegung führt im Ergebnis auch nicht zu einer ungerecht­fer­tigten Privilegierung von Ausländern, die - wie der Kläger des ersten Falles - nicht nur die Einbürgerung, sondern auch den früheren unbefristeten Aufent­halt­stitel durch Täuschung erlangt haben.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht weist Sache zur weiteren Klärung zurück an den Verwal­tungs­ge­richtshof

Da der Verwal­tungs­ge­richtshof im Fall des marokkanischen Klägers weder Feststellungen zu den Umständen des Erwerbs der Nieder­las­sungs­er­laubnis im März 2006 und der Täuschungs­handlung im Einbür­ge­rungs­ver­fahren noch zu den sonstigen allgemeinen Ertei­lungs­vor­aus­set­zungen getroffen hat, war das Verfahren zur weiteren Aufklärung an den Verwal­tungs­ge­richtshof zurück­zu­ver­weisen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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