Bundesverwaltungsgericht Urteil14.12.2016
Abschiebung eines ausgewiesenen Bulgaren nach Beitritt Bulgariens zur EU nur nach Prüfung des Freizügigkeitsverlustest zulässigAusweisung eines Drittstaatsangehörigen wird grundsätzlich nicht durch Beitritt des Landes zur EU unwirksam
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen nicht mit dem Beitritt des Landes seiner Staatsangehörigkeit zur Europäischen Union unwirksam wird. Mit Erlangung des Unionsbürgerstatus darf von ihr aber nur Gebrauch gemacht werden, nachdem die Ausländerbehörde in einer rechtsmittelfähigen Entscheidung geprüft hat, ob auch die regelmäßig strengeren Voraussetzungen für eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts vorliegen.
Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens, ein bulgarischer Staatsangehöriger, wurde 2005 aus Deutschland ausgewiesen. In der Folgezeit reiste er wiederholt in das Bundesgebiet ein und beging Straftaten. Nach dem Beitritt Bulgariens zur EU im Jahre 2007 stellte er einen Antrag auf Befristung des mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots, über den die Ausländerbehörde nicht entschied. Stattdessen wurde er im Februar 2010 und nach erneuter Einreise nochmals im Januar 2011 nach Bulgarien abgeschoben. Mit Leistungsbescheid vom Februar 2011 setzte die Ausländerbehörde die vom Kläger zu tragenden Kosten für die beiden Abschiebungen auf insgesamt 4 764,54 Euro fest.
VGH: Kläger hat nach Beitritt Bulgariens zur EU Status eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers erlangt
Die hiergegen erhobene Klage hatte in erster Instanz teilweise Erfolg. Auf die Berufung des Klägers, die nur einen Teil der anlässlich der zweiten Abschiebung entstandenen Abschiebungshaftkosten betraf, hob das Berufungsgericht den Leistungsbescheid auch insoweit auf. Es begründete seine Entscheidung u.a. damit, dass der Kläger 2007 mit dem Beitritt Bulgariens zur EU den Status eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers erlangt habe und die gegen ihn verfügte Ausweisung seitdem keine Rechtswirkungen mehr entfalte.
Ausweisung des Klägers wurde durch Beitritt Bulgariens zur EU nicht unwirksam
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte im Ergebnis die Entscheidung des Berufungsgerichts. Allerdings ist die nach den für Drittstaatsangehörige geltenden Vorschriften ausgesprochene Ausweisung des Klägers entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mit dem Beitritt Bulgariens zur EU nicht unwirksam geworden. Zwar kann ein Unionsbürger nicht mehr ausgewiesen werden. Die bei Unionsbürgern an die Stelle der Ausweisung getretene Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts (Verlustfeststellung) dient aber wie die Ausweisung der Gefahrenabwehr und hat ebenfalls ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Folge. Aufgrund dieser Übereinstimmungen im Zweck und in den Rechtswirkungen wurde die Ausweisung mit Erlangung des Unionsbürgerstatus nicht wirkungslos und steht im Anwendungsbereich des § 11 Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU - einer Verlustfeststellung gleich.
Ausländerbehörde hätte Vorliegen der Voraussetzungen einer Beschränkung des Freizügigkeitsrechts als Unionsbürger prüfen müssen
Damit finden die Vorschriften im Aufenthaltsgesetz über die Inhaftnahme eines Ausländers zur Sicherung einer Abschiebung und seine Haftung für die Kosten einer Abschiebung auf den Kläger als Unionsbürger Anwendung. Nach diesen Vorschriften haftet ein Ausländer für die Kosten einer Abschiebung aber nur, wenn die zu ihrer Durchsetzung ergriffenen Amtshandlungen und Maßnahmen ihn nicht in seinen Rechten verletzen. Danach waren hier die Abschiebungen rechtswidrig. Da der Kläger mit dem Beitritt Bulgariens den Status eines Unionsbürgers erlangt hat, hätte die Ausländerbehörde, bevor sie ihn wegen des mit der Ausweisung kraft Gesetzes verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots abschiebt, zunächst im Wege einer rechtsmittelfähigen Entscheidung klären müssen, ob auch die regelmäßig strengeren Voraussetzungen für eine Beschränkung seines Freizügigkeitsrechts als Unionsbürger vorliegen. Diese Entscheidung muss nicht zwingend in Form einer Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ergehen. Sie kann auch im Rahmen einer Befristungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU erfolgen. Ohne eine solche Entscheidung durfte der Kläger nicht abgeschoben werden und haftet damit auch nicht für die noch im Streit befindlichen Abschiebungskosten.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 15.12.2016
Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online