18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen drei Hände erschiedener Hautfarbe vor einer Weltkarte.
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil14.12.2016

Abschiebung eines ausgewiesenen Bulgaren nach Beitritt Bulgariens zur EU nur nach Prüfung des Freizügigkeits­verlustest zulässigAusweisung eines Drittstaats­angehörigen wird grundsätzlich nicht durch Beitritt des Landes zur EU unwirksam

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat entschieden, dass die Ausweisung eines Drittstaats­angehörigen nicht mit dem Beitritt des Landes seiner Staats­an­ge­hö­rigkeit zur Europäischen Union unwirksam wird. Mit Erlangung des Unions­bür­g­er­status darf von ihr aber nur Gebrauch gemacht werden, nachdem die Auslän­der­behörde in einer rechts­mit­tel­fähigen Entscheidung geprüft hat, ob auch die regelmäßig strengeren Voraussetzungen für eine Beschränkung des Freizügigkeits­rechts vorliegen.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens, ein bulgarischer Staats­an­ge­höriger, wurde 2005 aus Deutschland ausgewiesen. In der Folgezeit reiste er wiederholt in das Bundesgebiet ein und beging Straftaten. Nach dem Beitritt Bulgariens zur EU im Jahre 2007 stellte er einen Antrag auf Befristung des mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Einreise- und Aufent­halts­verbots, über den die Auslän­der­behörde nicht entschied. Stattdessen wurde er im Februar 2010 und nach erneuter Einreise nochmals im Januar 2011 nach Bulgarien abgeschoben. Mit Leistungs­be­scheid vom Februar 2011 setzte die Auslän­der­behörde die vom Kläger zu tragenden Kosten für die beiden Abschiebungen auf insgesamt 4 764,54 Euro fest.

VGH: Kläger hat nach Beitritt Bulgariens zur EU Status eines freizü­gig­keits­be­rech­tigten Unionsbürgers erlangt

Die hiergegen erhobene Klage hatte in erster Instanz teilweise Erfolg. Auf die Berufung des Klägers, die nur einen Teil der anlässlich der zweiten Abschiebung entstandenen Abschie­bungs­haft­kosten betraf, hob das Berufungs­gericht den Leistungs­be­scheid auch insoweit auf. Es begründete seine Entscheidung u.a. damit, dass der Kläger 2007 mit dem Beitritt Bulgariens zur EU den Status eines freizü­gig­keits­be­rech­tigten Unionsbürgers erlangt habe und die gegen ihn verfügte Ausweisung seitdem keine Rechtswirkungen mehr entfalte.

Ausweisung des Klägers wurde durch Beitritt Bulgariens zur EU nicht unwirksam

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht bestätigte im Ergebnis die Entscheidung des Berufungs­ge­richts. Allerdings ist die nach den für Drittstaatsangehörige geltenden Vorschriften ausgesprochene Ausweisung des Klägers entgegen der Auffassung des Berufungs­ge­richts mit dem Beitritt Bulgariens zur EU nicht unwirksam geworden. Zwar kann ein Unionsbürger nicht mehr ausgewiesen werden. Die bei Unionsbürgern an die Stelle der Ausweisung getretene Feststellung des Verlustes des Freizü­gig­keits­rechts (Verlust­fest­stellung) dient aber wie die Ausweisung der Gefahrenabwehr und hat ebenfalls ein gesetzliches Einreise- und Aufent­halts­verbot zur Folge. Aufgrund dieser Überein­stim­mungen im Zweck und in den Rechtswirkungen wurde die Ausweisung mit Erlangung des Unions­bür­g­er­status nicht wirkungslos und steht im Anwen­dungs­bereich des § 11 Freizü­gig­keits­gesetz/EU - FreizügG/EU - einer Verlust­fest­stellung gleich.

Auslän­der­behörde hätte Vorliegen der Voraussetzungen einer Beschränkung des Freizü­gig­keits­rechts als Unionsbürger prüfen müssen

Damit finden die Vorschriften im Aufent­halts­gesetz über die Inhaftnahme eines Ausländers zur Sicherung einer Abschiebung und seine Haftung für die Kosten einer Abschiebung auf den Kläger als Unionsbürger Anwendung. Nach diesen Vorschriften haftet ein Ausländer für die Kosten einer Abschiebung aber nur, wenn die zu ihrer Durchsetzung ergriffenen Amtshandlungen und Maßnahmen ihn nicht in seinen Rechten verletzen. Danach waren hier die Abschiebungen rechtswidrig. Da der Kläger mit dem Beitritt Bulgariens den Status eines Unionsbürgers erlangt hat, hätte die Auslän­der­behörde, bevor sie ihn wegen des mit der Ausweisung kraft Gesetzes verbundenen Einreise- und Aufent­halts­verbots abschiebt, zunächst im Wege einer rechts­mit­tel­fähigen Entscheidung klären müssen, ob auch die regelmäßig strengeren Voraussetzungen für eine Beschränkung seines Freizü­gig­keits­rechts als Unionsbürger vorliegen. Diese Entscheidung muss nicht zwingend in Form einer Verlust­fest­stellung nach § 6 FreizügG/EU ergehen. Sie kann auch im Rahmen einer Befris­tungs­ent­scheidung nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU erfolgen. Ohne eine solche Entscheidung durfte der Kläger nicht abgeschoben werden und haftet damit auch nicht für die noch im Streit befindlichen Abschie­bungs­kosten.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil23581

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI